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Column

Auf ein Wort: Entschuldigung

"Entschuldigung!" pflegen viele zu rufen, die bei diesem Ruf irgendwie wissen, dass sie die Gerufenen stören und sich das eigentlich nicht gehört. Indem sie das tun, bitten sie allerdings nicht um Entschuldigung, sondern entschuldigen sie sich selber. Sie erlauben es sich, den so Angesprochenen zu stören.

Nähme sie dieser beim Wort, so wäre seine Antwort zunächst eine Art Lossprechung, etwa "Ich verzeihe Ihnen" oder "Ich vergebe ihnen diese Schuld". Der "Entschuldigung!" Rufende hätte strenggenommen erst einmal abzuwarten, ob überhaupt eine solche Lossprechung erfolgt. Aus gutem Grund könnte ja auch die Antwort sein: "Ich sehe mich außerstande, Sie zu entschuldigen; denn dazu bin ich nicht berufen." Auch ein schlichtes Überhören des Rufs wäre deshalb keine Unhöflichkeit und durchaus angemessen, ähnlich wie bei dem Zuruf "Meister!" sich die meisten Passanten nicht angesprochen fühlen müssen, haben es doch nur wenige in ihrem Berufsleben so weit gebracht.

Die bisherige Betrachtung deutet freilich auf die echte Schwierigkeit hin, ein Gespräch mit einer Person zu eröffnen, die einem weder persönlich bekannt  ist noch eigens für irgendwelche Dienstleistungen bereitsteht, so dass als Initialzündung eine Grußformel wie "Guten Tag!" vielleicht allzu unvermittelt ausfiele. Dagegen wäre etwa die höfliche Frage "Darf ich stören?" zwar zugleich eine besonders ehrliche, jedoch eben darum eine der Höflichkeit zuwiderlaufende, weil sie – performativ – als solche schon die Störung darstellt.

Immerhin kann sehr oft zuvor noch ausgelotet werden, ob in der gegebenen Situation die Störung eine eher erhebliche oder eher unerhebliche ist. Ein Passant, der gerade mit dem Handy telefoniert oder mit aufgesetztem Kopfhörer für etwas anderes ganz Ohr ist, sollte vielleicht geschont werden, zumindest dann, wenn er nicht weit und breit der einzige ist, den man vorfindet. Ebenso ein Verkäufer, der gerade einen anderen Kunden bedient.

Immer vorausgesetzt, im eigenen Leben passiert kein Unglück, während man mit dem nicht gar so dringenden Hilferuf ein bisschen auf den günstigeren Augenblick warten muss. Es sieht aber so aus, als ob ein solches Unglück fast ständig über vielen Leuten schwebt, so dass es für viele andere zum Unentschuldbarsten gehören kann, den "Entschuldigung!"-Rufern nicht unter allen Umständen zu Diensten zu sein.