Kriegsromane sind ein heikles Genre. Gefährlich, die Klischee-Falle, sperrig, das moralische Beiwerk, und andauernd drängt sich einem die bittere Vokabel „authentisch" auf. Nach dem Ersten Weltkrieg sprossen eine Zeit lang „authentische" Kriegserzählungen überall in der europäischen Literaturlandschaft. Die einen erzählten vom „Stahlgewitter", die anderen von der „verlorenen Generation". Manche Publikation geriet zum Politikum. Da geht es heute unverkrampfter zu. Jahrzehntelanger Friede und das Verlegen der Konflikte an die Peripherie haben uns vom Krieg entfremdet. Ein Glück, gewiss, doch Verdrängtes kehrt zurück, spätestens in Form gezeichneter Kombattanten - und in jedem Fall über die Medien.
Es gibt wahrscheinlich nur eine Voraussetzung, einen „authentischen" Kriegsroman zu schreiben, und Brian van Reet erfüllt sie: Als Panzergrenadier zog er 2003 für die USA in den Irakkrieg. Dieser Krieg ist das perfekte Kohlepapier, um die Spuren der weltpolitischen Entwicklungen der ersten eineinhalb Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts nachzuverfolgen. In seinem Roman Beute beschreibt van Reet diesen Krieg mit schonungslosem Blick.
Der Plot ist so simpel wie brutal: Wenige Wochen nach Kriegsbeginn werden drei junge Soldaten von einer Gruppe Dschihadisten entführt. Cassandra, als Frau und Lesbe eine Kuriosität in der Armee, findet sich in einem dunklen Verlies wieder, in dem sie alles daransetzen muss, nicht verrückt zu werden. Ihr Gegenpol ist Abu al-Hul, „Vater des Schreckens", ein Veteran des Heiligen Krieges. Auf einem Nebenschauplatz erfährt man von Sleed, einer Figur, die am ehesten dem Autor nachempfunden wirkt: der junge Panzergrenadier, der vor allem nach Abenteuer lechzt und vom kriegerischen Mahlstrom mitgerissen wird. Van Reet lässt alle durch den Horror taumeln, den der Krieg darstellt. Am Zusammenbruch ihrer Selbstwahrnehmung als „Befreier" zeigt sich der doppelte Wendepunkt, den der Irakkrieg darstellte: das Trauma einer besiegbaren Weltmacht und der Wandel des Dschihads. Während Sleeds Truppe über der Suche nach den Entführten verzweifelt und eine Konvention nach der anderen bricht, wird Abu al-Hul von seinem Rivalen Dr. Walid abgedrängt, der die moderne Kriegführung des Dschihads etablieren will: den Terror. Mit einer Videokamera plant er die Geiselnahme in die Wohnzimmer der Metropolen zu bringen. Auch sein Verhältnis zum Islam wird zunehmend instrumenteller.
So werden die Protagonisten zu Chiffren ihrer Zeit: Abu al-Hul, aus wohlhabendem Hause, der auf Sinnsuche in den Dschihad zog und schon mit amerikanischen Waffen gegen die Sowjets in Afghanistan focht. Und Cassandra flüchtete einmal aus der Enge der amerikanischen Provinz in die große Welt.
Mit viel Gefühl fürs Detail zeichnet van Reet al-Hul und Cassandra fast wie zwei Spiegel. Ist al-Huls Traum nicht auch der von Cassandra? Mit erstaunlichem Feingefühl zeichnet er die Figur Abu al-Hul: ein gnadenloser Gotteskrieger, voller Selbstzweifel und Sehnsüchte nach dem verlorenen Glück - ein Bild, das sich bei dem Wort „Terrorist" nicht gerade aufdrängt.
Im Krieg, so scheint es, sind einem der eigene Körper und seine Unzulänglichkeiten nah wie nie. Die Beschreibung der Empfindungen - die sengende Hitze, der Staub, das Adrenalin, die Dunkelheit, die Schmerzen - ist außerordentlich gut gelungen. Und als die Islamisten völlig aus dem Häuschen sind, weil Cassandra ihre Tage bekommt, hat das eine unfreiwillige Tragikomik. Die Leistung, die die Übersetzer Kathrin Passig und Marcus Gärtner erbracht haben, trägt einen Gutteil zur Stärke des Textes bei. Das schnoddrige Soldaten-Englisch übertragen sie treffsicher ins ansonsten ja eher holzige Deutsche. Die militärische Terminologie sitzt ebenso wie der Jargon und die Unmittelbarkeit.
Beizeiten komponiert wie ein Spielfilm, reißt die Geschichte den Leser fort und wie beim Sandsturm ist die Sicht vermindert. Vieles bleibt unausgesprochen; hat man zu Beginn noch einen Informationsvorsprung gegenüber Cassandra, gerät man zunehmend ins Hintertreffen, fühlt sich ratlos. Das gibt der Hoffnung Raum. Die verschiedenen Teile des Buches sind jedoch mit Zitaten eingeleitet, deren apokalyptischer Gehalt von Beginn an keinen Zweifel daran lässt, dass diese unberechtigt ist. Die irakischen Kinder, die von den Invasoren Lebensmittel erbetteln, sind auf merkwürdige Weise versehrt. Als Krüppel zeugen sie sowohl vom vergangenen als auch vom kommenden Schicksal der Region - und dienen den Soldaten als Omen.
Aber vielleicht ist Kriegsroman auch das falsche Etikett für dieses Buch. Schließlich spielt ein nicht unwesentlicher Teil in einer stillgelegten Wasseraufbereitungsanlage - und nicht auf dem Schlachtfeld. Es handelt sich eher um ein Zeugnis, eine präzise Aufnahme eines entscheidenden Moments der jüngsten Geschichte, in Fiktion gewendet. Van Reet verunmöglicht es, Distanz zu den Protagonisten und ihrem Handeln zu wahren. Als Sleed einen Kameraden daran erinnert, dass das Fotografieren von Leichen gegen die Genfer Konvention verstößt, schnauzt dieser ihn nur an, „dass dieser ganze Scheißkrieg illegal ist". Spätestens da verstummt die Moral. Konsequent erspart er dem Leser kein moralisches Dilemma, am Ende ist jeder besudelt. Ohne Klischee, ohne Vereinfachung. Jede Phrase vom sauberen, moralischen Krieg löst sich auf. Es bleibt dreckig - und es bleibt kompliziert.
Beute Brian van Reet Kathrin Passig, Marcus Gärtner (Übers.), Rowohlt 2017, 336 S., 19,95 €