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AfD - Der Firnis bricht

Alexander Gauland: Hauptsache jagen Foto: Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images

Apokalyptisches Vokabular ist leicht zur Hand: ARD-Wahlforscher Jörg Schönenborn nennt es eine „tektonische Verschiebung" des Parteiensystems, Grünen-Politiker Habeck sprach von einer „Wasserscheide der Republik", die ZEIT sprach schon am Morgen vom „Ende der Bundesrepublik". Und immer wieder „Zäsur". In jedem Fall ist nicht zu leugnen, dass das Ergebnis der AfD eine schwerwiegende Veränderung in Deutschland anzeigt.

Denn sie fordert nicht nur den Kurzschluss der Geschichte, das Erledigen der demokratischen Geschichte seit Kriegsende und Einheit - sie ist dieser Kurzschluss. Dass 6 Millionen Wähler sich für diese Partei entscheiden, wirkt wie ein historisch-politischer Anachronismus. Vor 4 Jahren war die alte AfD an der Fünfprozenthürde gescheitert. Heute, massiv radikalisiert und mit rechtsradikalem Personal gerüstet, zieht sie als drittstärkste Kraft in den Bundestag ein. Das ist einerseits Resultat eines metapolitischen Langstreckenlaufs der sogenannten Neuen Rechten. Diejenigen, die von nun an mit Diäten ausgestattet vor „Mischvölkern" und der „New World Order" warnen können, sind ja nicht vom Himmel gefallen. Doch ohne den massiven Wandel der politischen Landschaft wäre der Erfolg der AfD nicht denkbar gewesen. Noch vor wenigen Jahren galt es als Schwarzmalerei, einer Partei wie der AfD Erfolg zu prognostizieren. Wer warnte, dass der Firnis von Demokratie und Zivilisation dünn ist, galt als Unkenrufer. Nun bricht der Firnis und was darunter zum Vorschein kommt, ist unappetitlich.


Die Achillesferse der Demokratie

Selbst wenn die AfD freilich weit davon entfernt ist, in Machtpositionen zu kommen, so ist sie doch erfolgreich. Und das nicht nur, weil die Diskursverschiebung, die sie aggressiv verfolgte, schon dafür gesorgt hat, dass die deutsche Erinnerungspolitik im Wahl-O-Mat zur Ankreuzfrage degradiert wird. Wenngleich der Schmerz der Volksparteien ehrlich sein mag, sollte nicht vergessen werden, dass sich die Große Koalition seit zwei Jahren vor den Rechten hertreiben lässt. In der Asyl- und Migrationspolitik ist die Große Koalition längst auf den Kurs der AfD geschwenkt: abschotten und abschieben. Allein, genützt hat es nichts. Das starke Ergebnis für die AfD ist auch die Abwahl der Großen Koalition.

Ja, man kann das relativieren, zum Beispiel mit den Zahlen der Demoskopen: etwa 60% der AfD-Wähler hätten diese nicht aus Überzeugung, sondern aus Enttäuschung gewählt. Es gibt eine Schizophrenie der AfD-Wähler, die das erklären kann: Während die Partei in den Medien fast nur noch durch Antiliberalismus und völkischen Rassismus auffällt, geben ihre Wähler noch immer zu Protokoll, es ginge ihnen um Sicherheit und Migrationsfragen. Zugleich fordern sie, die Partei sollte sich mehr vom Rechtsradikalismus abgrenzen. Und jetzt? Das wird Gauland und seine Kameraden nicht daran hindern, Gegnern mit „Entsorgung" zu drohen. Bereits kurz nach 18 Uhr kündigte er an: „Wir werden sie jagen!" Ob das nun Angela Merkel sei oder andere, war zunächst egal. Hauptsache jagen.

Aber es ist auch ein Kurzschluss der Geschichte, weil die Demokratie eine Schwäche zeigt, die man insbesondere in Deutschland überwunden glaubte. Die Achillesferse des demokratischen Rechtsstaats ist eben, dass eine Partei, die so eindeutig gegen die Werte von Liberalismus und Demokratie, gegen Aufklärung und Humanismus steht, problemlos in ein Parlament einziehen kann. Die Deutschen, Weltmeister in Vergangenheitsbewältigung und moralische Speerspitze der freien Welt, wählen millionenfach eine völkisch-nationalistische Partei.

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