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Linksextremismus - Hufeisen im Wahlkampf

Thomas de Maizière hat es verstanden, die sich im Nachgang zu Hamburg formierte Volksgemeinschaft gegen links zu füttern Foto: Sean Gallup/Getty Images

Wahrscheinlich fällt es einem Konservativen schwer, an anderes als straffe Organisationen zu denken. Also muss es eine Art Schützenverein für Linke geben, inklusive Antifa-König. Ganz anders die nun verbotene Plattform linksunten.indymedia: Kaum Struktur, viel Anonymität, wenig Hierarchie. Indymedia ist eine internationale Plattform, die, so die Eigenbeschreibung, „nichthierarchische, nicht konzerngebundene Berichterstattung leisten" will. Das Netzwerk entstand 1999, um einen anderen Blick auf die Proteste anlässlich der WTO-Konferenz in Seattle zu ermöglichen. Es zeichnet sich vor allem durch seinen radikaldemokratischen Ansatz aus. Jeder kann anonym auf den indymedia-Seiten veröffentlichen, ohne dass jedoch alles geduldet würde. Man versteht sich als Teil einer globalen, emanzipatorischen Bewegung. Neben dem deutschen Ableger

de.indymedia.org, gibt es eben auch linksunten, sozusagen die kleine, radikalere Schwester. In den Augen des Innenministeriums die „einflussreichste Internetplattform gewaltbereiter Linksextremisten in Deutschland"


Die Debatte nach den G20-Protesten

Auf der Seite fanden sich in der Tat immer wieder Bekennerschreiben zu verübten Anschlägen gegen Sachen. Aber auch Veranstaltungshinweise, Demo-Aufrufe und Vernetzungsmöglichkeiten für Aktivisten aus einem breiten politischen Spektrum. Nach dem Anschlag auf den BVB-Bus im vergangenen Herbst tauchte sogar kurzzeitig ein gefälschtes Bekennerschreiben auf.

Dass Thomas de Maizière die Szene für so gefährlich hält, dass er glaubt, mit dem Verbot sei ihm ein Coup zur Rettung der Bundesrepublik gelungen, mag dieser sogar schmeicheln - wenn damit nicht Hausdurchsuchungen und Schikanen durch Polizisten verbunden wären. Früher führten alle Wege des Marxismus nach Moskau, heute eben nach Südbaden. Plötzlich erscheint das beschauliche Freiburg als Keimzelle des kommenden Aufstands, als Avantgarde der Revolution.

Der Verdacht drängt sich auf, dass es de Maizière gar nicht darum geht, dieses Land sicherer zu machen. Ein Vereinsverbot, ohnehin ein heikles rechtsstaatliches Instrument, das mitten im Wahlkampf von einem konservativen Minister gegen eine linke Gruppe ausgesprochen wird, erweckt zwangsläufig den Eindruck, dass es in erster Linie um Wählermobilisierung geht. Zwar betonte de Maizière, dass die Ermittlungen schon lange liefen, es also Zufall sei, dass es jetzt zu dem Verbot kam. Doch die Zwanghaftigkeit und Emphase, mit der er in seiner Stellungnahme die Wörter „linksextremistisch" und „gewaltbereit" einstreute, sprachen Bände. Er zitierte erneut die - viel kritisierte - Statistik „gewaltbereiter Linksextremer", um die Drohkulisse zu stützen. Angeblich sind es um die 8.000. Auch der Verweis auf die Krawalle von Hamburg im Zuge des G20-Gipfels durfte nicht fehlen. Nach dem Motto: Wer von linksunten nicht reden will, muss von Hamburg schweigen.

Die Gleichsetzung von rechts und links

Im Innenministerium hat man es verstanden, die sich im Nachgang zu Hamburg formierte Volksgemeinschaft gegen links zu füttern. Dazu sprach der Minister auch von „Waffenfunden". Dass die gefundenen Gegenstände dann doch nicht illegal waren und unklar ist, ob es überhaupt eine Verbindung zu den Betreibern der Seite gibt - das ging dann schon unter.

Die Plattform ist allerdings „mitnichten auf Aufrufe zur Gewalt zu reduzieren", wie es die Freiburger Wagengruppe „Sand im Getriebe" in einem Solidaritätsschreiben ausdrückte. Für die Parallele, die de Maizière zur rechtsextremen Szene aufmacht, reicht es nie und nimmer. Die voriges Jahr dicht gemachte Seite „Altermedia Deutschland" nennt das Ministerium das „rechtsextremistische Pendant" zu linksunten. Besonders perfide an diesem Vergleich: damals ermittelte die Bundesanwaltschaft direkt gegen die Betreiber, es ging um den Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Das ist etwas völlig anderes, als ein vom Innenminister verhängtes Vereinsverbot.

Doch es ist ein beliebtes Credo der sogenannten Mitte: Links- oder Rechtsextreme, die sind doch alle gleich. Die fixe Idee, es gebe eine Mitte und gefährliche Ränder, dient vor allem der Verdrängung der Tatsache, dass noch jeder Faschismus aus der Mitte der Gesellschaft kam. Dass sich Bürgertum und Rechtsradikalismus gar nicht ausschließen, hat auch der Historiker Volker Weiß in seinem Buch zur Neuen Rechten jüngst eindrücklich aufgezeigt. Die populäre Vorstellung der sich wie ein Hufeisen beinahe berührenden Ränder der Gesellschaft, setzt die menschenverachtenden Ziele der Rechten mit der Kritik der Verhältnisse gleich. Zentral für die Hufeisentheorie ist das Bemühen der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung", die von ihren Feinden von links und rechts bedroht werde.

Diese Verfassungsgrundwerte juristisch einzusetzen, ist jedoch schwierig und heikel. Denn erstens bezieht sich eine Verfassung auf das Handeln des Staates und seine Funktionen - für die Beziehungen zwischen Staat und Bürger ist das Strafrecht da. Zweitens müsste nach dieser Logik jeder Verfassungsbruch ein extremistischer Anschlag sein - und somit jeder Urheber eines vom Bundesverfassungsgericht einkassierten Gesetzes ein Feind der Freiheit.

Das Hufeisen der bürgerlichen Imagination hinkt zumal gewaltig. So sinnlos oder falsch es sein mag, S-Klasse-Autos oder Kabel der Bahn anzuzünden, so harmlos ist es im Vergleich zu den Brandanschlägen auf Flüchtlingsheime und den Morden des NSU. Natürlich gibt es auch Linke, die mit Gewaltverherrlichung und -drohungen kokettieren; de Maizière hat sie genüsslich zitiert. Ein - fraglos falscher - Aufruf zu nicht-reaktiver Gewalt an Polizisten ist hingegen nicht mit den Völkermordfantasien der Neonazis gleichzusetzen.


Der tiefe Staat

Doch Wahlkämpfer de Maizière scheinen diese Differenzierungen nicht zu stören. Schließlich sind es auch die ihm unterstehenden Behörden, die die neonazistischen Mörder selbst dann noch decken, wenn schon längst ein Prozess läuft. Die Wahrheit über die Verstrickungen des Staates in die rechtsextreme Terrorgruppe NSU wird wohl nie ans Licht kommen. Die Strukturen von linksunten werden jetzt akribisch zu Tage gefördert. Dabei wird auch deutlich werden, was seit jeher eine der Kernaufgaben jeder antifaschistischen Gruppe ist: Nazi-Strukturen aufdecken und bekämpfen. Auch das ist eine unbequeme Wahrheit, es ist die linke Szene, die in der Fläche die Arbeit macht, die der Staat sich nicht nur weigert, zu erledigen, sondern oftmals selbst nötig macht. Insofern birgt das Verbot eine bittere Pointe, linksunten war auch eine der wichtigsten Plattformen, um Aktivitäten gegen Neonazis zu koordinieren und Informationen zu sammeln.

Manchmal hat der Weltgeist einen eigentümlichen Sinn für Humor, drei Tage nach dem Verbot von linksunten flogen in Mecklenburg-Vorpommern zwei Männer aus der rechten Szene auf, die anscheinend planten, in einer Krisensituation Linke zu töten. Pointe? Der eine ist Rechtsanwalt, der andere Polizist.

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