„Hoffe, dass die Bundesregierung nicht mehr lange definiert, wann Lebensfreude anfängt"
In Plasbergs Sendung „Hart aber Fair" stellt Karl Lauterbach sein Entlastungsgesetz für die Krankenpflege vor. Eine Krankenpflegerin berichtet aus ihrem Arbeitsalltag. Bei der Diskussion um Für und Wider der aktuellen Corona-Maßnahmen gibt es zwei Lager.
Die Weihnachtsmarktsaison hat begonnen. Vergangene Woche öffnete der erste Weihnachtsmarkt in Essen - ganz ohne Corona-Auflagen. Und auch in anderen Städten wie Köln, Dresden und Nürnberg sind aktuell keine Einschränkungen für Weihnachtsmärkte geplant.
Das Oktoberfest in München zeigte: Die Inzidenzen stiegen in und kurz nach den Feierwochen in der bayerischen Landeshauptstadt deutlich an. Mittlerweile befinden sie sich wieder unter dem Bundesschnitt. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) fand es richtig, dass das Oktoberfest stattgefunden hat, aber „da wäre mehr Sicherheit möglich gewesen", monierte er direkt zu Beginn der „Hart aber Fair"-Sendung am Montagabend in der ARD und ergänzte: „Man darf auch nicht vergessen, es sind auch sehr viele Menschen krank geworden und es sind auch in der Folge der gestiegenen Fallzahlen Menschen wieder unnötigerweise gestorben."
Und auch Frank Plasbergs anderen Gäste bezogen deutlich ihre Positionen zur aktuellen Corona-Politik: Neben Lauterbach appellierte Christina Berndt, Wissenschaftsredakteurin der „Süddeutschen Zeitung", die Pandemie weiterhin ausreichend ernst zu nehmen.
Einen anderen Fokus setzte der bayerische Staatsminister für Gesundheit und Pflege, Klaus Holetschek, der darauf verwies, dass die Corona-Lage beherrschbar sei. Und auch Martin Machowecz, Leiter des ZEIT-Ressorts „Streit" betonte, „wir leben in einer Zeit, in der Corona nicht mehr das ist, was es einmal zu Beginn dieser Pandemie war". Für ihn sei Corona heutzutage mit der Grippe vergleichbar und im Wesentlichen nicht mehr gefährlicher als diese.
Lisa Schlagheck, Krankenpflegerin am Universitätsklinikum Münster, sprach sich für eine Maskenpflicht in Innenräumen aus, verstand aber auch, „dass die Menschen wieder zurückkehren wollen in ihren Alltag".
Auf Plasbergs Frage, wie es um die Wichtigkeit von Lebensfreude für eine Gesellschaft stehe, antwortete Lauterbach: „Man kann ja auch Lebensfreude genießen und haben, ohne dass man in unnötige Risiken geht." ZEIT-Journalist Machowecz konterte: „Ich hoffe sehr, dass es nicht mehr allzu lange dauern wird, bis die Bundesregierung nicht mehr definieren möchte, wann Lebensfreude anfängt und wann sie aufhört."
Lauterbach betonte die deutliche Übersterblichkeit in Deutschland. Machowecz verwies darauf, dass man nicht genau sagen könne, wie diese zustande komme.
Der CSUler Holetschek fasste den Schlagabtausch zusammen: Letztendlich sei es die Verantwortung eines jeden Einzelnen, ob er Veranstaltungen wie das Oktoberfest oder die anstehenden Weihnachtsmärkte besuche.
Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (Stiko), hatte dem Bayerischen Rundfunk vor zwei Wochen gesagt: „Natürlich könnte man auch sagen, es handle sich mittlerweile um eine endemische Virusinfektion." Das sah Lauterbach anders und verwies auf den Expertenrat der Bundesregierung und die Weltgesundheitsorganisation - beide stufen Corona weiterhin als Pandemie ein. Noch seien die Ausbrüche der Viruserkrankung nicht lokal und saisonal eingrenzbar. „Wir haben neue Varianten, wir rechnen damit, dass die neuen Varianten ansteckbarer sind", betonte der Gesundheitsminister.
Machowecz kritisierte: „Auch mit dem ständigen Warnen vor Gefahren, die nicht sichtbar sind, spielt man mit dem Vertrauen der Menschen in die Pandemiebekämpfung."
Berndt hielt dagegen: „Es kann sich jederzeit die Lage wieder verschärfen." Dem entgegnete der ZEIT-Journalist: „Die Leute hören ja auf Maske zu tragen, weil sie das Gefühl haben, dass diese Maßnahme keinen Sinn ergibt." Er mache sich Sorgen, dass sich Deutschland mit der Vielzahl an Maßnahmen isoliere: „Kein anderes Land in Europa hat diese strengen Regeln.
Schlagheck berichtete von ihrem Arbeitsleben als Krankenpflegerin: Patienten, die stundenlang in der Notaufnahme warten müssten, Behandlungen, die aus Platzmangel auf den Gängen stattfänden und dauerhafter Personalmangel. All das gehöre zum Berufsalltag dazu. Nach 77 Streiktagen hätte sie es mit ihren Kollegen im Universitätsklinikum in Münster nun geschafft, dass sie in den Nachtschichten nicht mehr allein in den Schichtplan eingeteilt werden. „Irgendwann ist man erschöpft, das ist eine körperliche und eine emotionale Erschöpfung", fasste sie den aktuellen Zustand der Pfleger zusammen.
Lauterbach erklärte das „System der Fallpauschale" beenden zu wollen. Mit seinem Gesetzesentwurf, dem „Krankenhauspflegeentlastungsgesetz", wolle er die Situation in den Krankenhäusern revolutionieren. Schlagheck kritisierte, der Gesetzesentwurf beziehe sich nur auf „bettenführende Pflegebereiche", Notaufnahmen seien damit ausgenommen genauso wie beispielsweise die Bereiche der Radiologie und des Transportes. „Es gibt jetzt einen Änderungsantrag", wiegelte Lauterbach die Kritik ab, in diesem Antrag werde die Intensivmedizin mitberücksichtigt.
„Ich sehe es so, dass endlich was passiert", sprang Berndt Lauterbach zu Hilfe: „Wir brauchen diese Gemeinschaft von Bund und Ländern", hätten die Länder doch eine große Rolle bei Investitionen und Planungen, so die Journalistin. Und mit Blick auf die Krankenpflegerin ergänzte sie: „Es muss diese Revolution geben, auch mit Rücksicht auf die Menschen und deren Gutmütigkeit."
„Es wird die größte Reform im Krankenhaussektor seit 20 Jahren", versprach Lauterbach zuversichtlich der Runde. Doch Krankenpflegerin Schlagheck blieb skeptisch: „Ich bin so ein bisschen skeptisch durch andere Versuche uns zu entlasten, die es letzten Endes nur noch verschlimmert haben." Noch glaube sie nicht daran, dass das Gesetz sie schlussendlich wirklich positiv tangieren werde.
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