Panorama TV-Kritik „Anne Will"
Wie sollte sie aussehen, die Hilfe Deutschlands im Konflikt mit Putin? Das diskutierten die Gäste bei „Anne Will". Neben den Politikern Kevin Kühnert und Jürgen Trittin war der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk im Studio. Deutschland müsse seine Rolle als Verbündeter „ernst meinen", warnte er.
Als viertgrößter Rüstungsexporteur weltweit verkaufte Deutschland im vergangenen Jahr Rüstungsgüter im Wert von über neun Milliarden Euro. Ganz oben auf der Käuferliste: das autoritär regierte Ägypten, das unter anderem an Kriegen im Jemen und in Libyen beteiligt ist. Deutschlands aktuelle Unterstützung im Russland-Ukraine-Konflikt hingegen: Die Bundesrepublik liefert 5000 Helme in die Krisenregion. Defensive Waffenlieferungen schließt sie aus.
Die Reaktionen in Kiew folgten sogleich: „Was will Deutschland als Nächstes zur Unterstützung schicken? Kopfkissen?", spottete Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko. Das ukrainische Parlament hielt Flaggen der Verbündeten hoch als Dank - die deutsche Fahne fehlte.
„Es geht darum, dass die Bundesrepublik es ernst meint mit der Hilfe", sagt der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk. Die Helme seien auch „Teil der ukrainischen Anforderungen" gewesen, entgegnet der Generalsekretär der SPD, Kevin Kühnert, und verteidigt Scholz und Baerbock, die sich dazu „glasklar" geäußert hätten.
Damit steigen die Talkshowgäste direkt zu Beginn in die Kernfrage der Sendung ein: Wie sollte sie aussehen, die Hilfe Deutschlands im aktuellen Konflikt mit Putin?
Während Anne Applebaum, amerikanisch-polnische Historikerin und Journalistin, wie Melnyk Waffenlieferungen befürwortet, schließen die übrigen Gäste, Kevin Kühnert (SPD), Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen) und Dietmar Bartsch (Die Linke), eine militärische Antwort auf den Konflikt aus. Eine deutsche Perspektive für Waffenlieferungen fehlte in der Gesprächsrunde. ARD-Korrespondentin Ina Ruck berichtete live von der aktuellen Situation in Kiew.
Melnyk macht die ukrainische Perspektive direkt zu Beginn der Sendung klar: „Wir hoffen auf das Umdenken der Deutschen", fordert er und fügt hinzu, dass die Ukraine Defensivwaffen brauche und von Deutschland einen Kurswechsel erhoffe. Die Ukraine fühle sich derzeit von Deutschland im Stich gelassen. Die Bundesrepublik müsse „erwachen aus diesem Dornröschenschlaf".
71 Prozent der deutschen Bevölkerung halten Waffenlieferungen von Deutschland derzeit für falsch, zitiert Will aus dem aktuellen Deutschlandtrend im Auftrag von „Tagesthemen" und WELT. „Es gibt einen Dissens mit der ukrainischen Regierung, da soll man nicht herumreden", sagt Trittin und wirft die Frage auf: „Was schreckt mehr ab?": Waffenlieferungen „auf den letzten Drücker" oder Abschreckung durch politische Maßnahmen?
Deutschland, die Nato und die EU seien einer Meinung, betont Trittin, politische Maßnahmen schreckten Russland deutlich mehr ab und seien der richtige Umgang, nicht „symbolische Waffenlieferungen".
Dem widerspricht Applebaum entschlossen: „Ich bin mir 100 Prozent sicher, dass die Waffen auch eingesetzt werden." Die Abschreckung hätte schon viel früher beginnen sollen. Auch Sanktionen sollten mit auf den Tisch gelegt werden, aber „die aktuelle Verhandlungsrunde sollte nicht zu bedeutend gesehen werden".
Bartsch sieht die Aufgabe Deutschlands darin, dass vor allem „alles getan werde für die Deeskalation". Das Risiko eines Krieges in Europa solle man unter keinen Umständen noch befördern. „Der Ukraine kann man wirklich anders helfen", bekräftigt Bartsch.
In einem kleinen Einspieler begründet Außenministerin Annalena Baerbock die Entscheidung, keine Waffen zu liefern, auch mit „historischen Gründen". Für Applebaum ist der Aspekt der historischen Verantwortung keine gute Begründung, sie finde diese Argumentation „beunruhigend".
Deutschland verstecke sich vielmehr hinter seiner Geschichte und nutze sie als Ausrede. Gleichzeitig mache die Bundesrepublik weiterhin Geschäfte mit Ländern wie China oder Russland.
ARD-Korrespondentin Ina Ruck schildert aus Kiew die Situation vor Ort. Die Kriegsangst sei nicht groß, „aber der Krieg ist präsent hier", sagt Ruck. Mit einer Ausweitung der Kriegshandlungen rechneten zumindest einige. Waffenlieferungen von Deutschland sähen die Ukrainer teils als Symbolhandlung, häufig höre Ruck von Einheimischen, dass Deutschland nicht bereit sei, „Opfer zu bringen".
Zum einen wolle Putin mit seinem Handeln Aufmerksamkeit bekommen, zum anderen sei Putins Verhalten mit seinem Bedürfnis nach Sicherheitsinteressen zu erklären. „Die Nato ist näher herangerückt", aus russischer Sicht wolle man da eine Garantie für mehr Sicherheit. Und auch die Vermutung, dass Putin 30 Jahre nach dem Ende der Sowjetunion vorhabe, „etwas Neues zu bauen", sei nicht von der Hand zu weisen. In einem täusche sich der russische Machthaber aber deutlich: Er wisse immer noch nicht, „dass er die Herzen der Ukrainer verloren hat".
Immer wieder lässt Will während der Sendung die Perspektiven aus dem Ausland, sowohl aus den USA wie auch aus der Ukraine, mit einfließen und fragt kritisch nach. Doch die Fragen, wie konkrete politische Maßnahmen aussehen können und wie die deutsche Abhängigkeit von Russland das politische Treiben in der Bundesrepublik beeinflusst, bleiben am Ende unbeantwortet.
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