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Gut wohnen im Alter

Zu Hause bleiben oder lieber ins Heim ziehen, wo es professionelle Hilfe gibt? Diese Frage beschäftigt so manchen, sobald sich die ersten körperlichen Einschränkungen bemerkbar machen. Zukünftig wird die Suche nach dem passenden Wohnraum im Alter oft aber noch weitaus schwieriger werden. Das legt eine aktuelle Arbeit des Pestel Instituts Hannover mit dem Titel „Wohnen im Alter" nahe. Stichwort: Wohnungsnot.


Wohnungsnot in Deutschland

Bereits zum Ende des letzten Jahres fehlten in Deutschland in sogenannten Defizitregionen insgesamt rund 700.000 Wohnungen. Und das, obwohl sich der Wohnungsbau im ganzen Land von 2010 bis 2020 sogar verdoppelt hat. In anderen Regionen hingegen gibt es - zumindest rechnerisch - 400.000 Wohnungen zu viel. Viele der vermeintlich freien Wohnungen stünden aber aus unterschiedlichsten Gründen gar nicht zur Verfügung, so das Pestel Institut.


Hinzu kommt: Gerade ältere ­Menschen­ haben besondere Anforderungen - zum Beispiel Barrierefreiheit - an ihr Wohnumfeld. Mit den geburtenstarken Jahrgängen der jetzt alternden Generation ­„Babyboomer"­ wird auch die Nachfrage speziell nach altersgerechtem Wohnraum stark zunehmen. Der ­Pestel-Arbeit zufolge könnte der ­Anteil der Bevölkerung im Ruhestand bis 2050 mancherorts sogar bis über 40 Prozent betragen.


Alt und allein zu Haus

Auch heute schon ist die Wohnsituation für viele kritisch: Auf der einen Seite stehen Seniorinnen und Senioren, die bis ins hohe Alter alleine in einem Einfamilienhaus wohnen. Auf der anderen Seite müssen junge Familien auf zu engem Raum leben. Das Dilemma zeigt, dass es nicht nur an neuem Wohnraum mangelt. Bestehende Ressourcen würden oft nicht sinnvoll genutzt, bewertet die Studie „Wohnen im Alter".


Könnte ein Wohnungstausch-Modell zwischen Jung und Alt helfen, wie es sich etwa die wohnungspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Caren Lay, wünscht? Wohl eher nicht. Alteingesessene würden so ihre für sie wichtige Nachbarschaft verlieren. Davon abgesehen gäbe es nur wenige altersgerecht gebaute Wohnungen für sie: Von 39 Millionen für den Mikrozensus 2022 erfassten bewohnten Wohnungen waren nur knapp 17 Prozent stufen- und schwellenlos zu erreichen.


Regierung plant Bau von mehr Sozialwohnungen

Barrierefreiheit, zum Beispiel in Form einer ebenerdigen Dusche, gilt als Komfortmerkmal. Und die Frage, wer in barrierefreiem Wohnraum lebt, ist längst keine Frage des Alters oder körperlicher Einschränkung mehr, sondern eine Frage des Geldes. Die Ampelregierung verspricht im Koalitionsvertrag, „das Bauen und Wohnen der Zukunft bezahlbar, klima­neutral, nachhaltig, barrierearm, innovativ (...) gestalten" zu wollen. Ein konkretes Ziel: 400.000 neue Wohnungen im Jahr, davon 100. 000 Sozialwohnungen.


Hierfür hat die Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, Klara Geywitz (SPD), im letzten Herbst das „Bündnis bezahlbarer Wohnraum" gegründet. Wie viele der Wohnungen altersgerecht sein sollen, davon steht im Koalitionsvertrag nichts. Die Zahlen neu gebauter Wohnungen sind derzeit rückläufig. Eine Anfrage des Senioren Ratgebers, ob die vereinbarten Ziele in dieser Legislaturperiode noch erreicht werden können, kann Geywitz' Ministerium nicht bejahen. „Bedingt durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, den Fachkräftemangel am Bau sowie die jüngsten Preis­anstiege und Anstiege von Zinssätzen für Hausfinanzierungen ist Bauen derzeit sehr teuer", erklärt ein Sprecher dazu. Momentan verbessere das Bauministerium die Rahmenbedingungen, damit zukünftig mehr und schneller gebaut werden könne.


Immerhin: Für ein Zuschussprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) mit dem Namen „Altersgerecht Umbauen" wurde für das Jahr 2023 ein Budget in Höhe von insgesamt 75 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Auch Privatpersonen können hier zinsgünstige Darlehen beantragen, wenn sie Barrieren in ihrem Zuhause abbauen wollen.


Appell an die Politik

Ganz andere Alternativen hat die Stadtanthropologin und Humangeografin Dr. Carolin Genz im Blick, wenn sie sich das Wohnen der Zukunft vorstellt. Sie arbeitet und forscht beim Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e. V. in Berlin. Die Expertin ist überzeugt, dass man die Prognosen der Pestel-Untersuchung zur Wohnungsnot im Alter ernst nehmen sollte.


Diese zeigen, wie akut der Handlungsbedarf ist. „In erster Linie ist das Aufgabe politischer Entscheidungsträgerinnen und -träger", sagt sie. Dazu gehöre auch, aber längst nicht nur, der Um- und Neubau von Wohnraum. Auch seine Verteilung müsse für alle Generationen gerechter werden. Ressourcen sollten „gezielter denjenigen zugewiesen werden, die sie am dringendsten brauchen", findet Genz.


Wohnen anders denken

Bei der Frage, welcher Wohnraum für ältere Menschen geeignet ist, spielen aber laut Genz nicht nur körperliche Aspekte wie Barrierefreiheit eine Rolle. Auch das soziale Umfeld, Integration und Gemeinschaft seien für ein gutes Leben im Alter wichtig. Zu Genz' Idee von einem integrativen Wohnumfeld gehören zum Beispiel Gemeinschaftsbereiche und Freizeitmöglichkeiten, aber auch die Gesundheitsversorgung. Smarthome-­Technologien oder auch Telemedizin könn­ten helfen, länger selbstständig zu wohnen.


Wer heute noch rüstig ist und selbstständig lebt, aber für die Zukunft vorsorgen möchte, kann selbst aktiv werden. Etwa indem er oder sie sich in gemeinschaftlichen Wohnmodellen wie Mehrgenerationenhäusern engagiert. „So kann man nicht nur das eigene Wohnumfeld gestalten", sagt die Expertin, „sondern auch als Vorbild für zukünftige Generationen dienen."


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