1 subscription and 0 subscribers
Article

Um jeden Preis

Am Dienstag ist der Präsident des französischen Fußballverbands, Noel Le Graët, zurückgetreten, dem sexuelle Belästigung vorgeworfen worden war. Laut dem Pariser Sportministerium verfüge er nicht mehr über die notwendige Legitimität, das Amt zu führen. Er habe sich Frauen gegenüber unangemessen verhalten, sie regelmäßig mündlich und via SMS sexuell belästigt. Le Graëts Verhalten lasse Anstand und Würde, die sein Amt erforderten, vermissen, und seine Entgleisungen, die durch übermäßigen Alkoholkonsum verstärkt würden, schadeten dem Image des Fußballverbandes. Die Pariser Justiz ermittelt. So weit, so (un-)gut. Nichts Unübliches in den weiten Sphären des Profifußballs.

Was auch nicht neu, aber in diesem Fall an Dreistigkeit kaum zu überbieten ist: Der 81jährige hat einen neuen Posten bei der FIFA. Le Graët soll beim Fußballweltverband künftig eine neue Führungsaufgabe übernehmen, für die er von FIFA-Boss Gianni Infantino berufen wurde. "Er wird das Büro in Paris leiten. Er wurde aufgrund seiner Fähigkeiten, seines Fachwissens und seiner Erfahrung ernannt", so Éric Borghini, Mitglied des Exekutivkomitees des Französischen Fußballverbandes. Von einem Posten zum nächsten, trotz der Skandale. Die Verbände beharren auf einer strikten Trennung von Privatem und Beruflichem und scheinen Konsequenzen nicht zu fürchten. Es macht die Herrschaftsstrukturen im "System Weltfußball" überdeutlich.

Le Graët und seine Übergriffe sind nicht das einzige Problem, mit dem sich der französische Verband momentan herumschlagen muss. So haben sich vor einer Woche drei Frauen aus der Équipe de France zurückgezogen. Besonders aufschlussreich ist die Meldung, dass der Kapitänin Wendie Renard die Entscheidung sehr schwergefallen, sie aber für ihre mentale Gesundheit notwendig gewesen sei. Kurz darauf schlossen sich ihr zwei weitere Spielerinnen an. Eine ließ verlauten, sie stimme mit den Werten und dem Management des Nationalteams nicht mehr überein. Der französische Fußballverband reagierte zurückhaltend und erklärte, dass sich das Exekutivkomitee mit der Situation befassen werde. Der Verband machte aber klar: "Kein Individuum steht über der Institution französische Nationalmannschaft."

Es ist offenkundig, dass es im Nationalteam schon länger Probleme gibt. Spielerinnen berichten von einer Atmosphäre der Angst und des Drucks. Nationaltrainerin Corinne Diacre wurde vorgeworfen, machtbesessen zu sein und Kritik nicht zu tolerieren. Auf die mentale Gesundheit der Spielerinnen habe sie keine Rücksicht genommen. Da scheint es nicht zufällig, dass Le Graët ein enges Verhältnis zu der Trainerin pflegte. Selbst nachdem der damalige Präsident den Spielerinnen versprochen hatte, dass Diacre nach der EM gehen werde, verlängerte er heimlich ihren Vertrag. Mit ihm fiel auch sie: Am Dienstag trat Diacre zurück.

Die Zustände im französischen Nationalteam sind keine Ausnahme. Im September vergangenen Jahres informierten 15 spanische Nationalspielerinnen den nationalen Fußballverband, dass sie zurücktreten würden, wenn die von ihnen geforderten Veränderungen nicht umgesetzt würden. Sie kritisierten vor allem den Trainer der Nationalauswahl, Jorge Vilda. Sein Umgang mit den Spielerinnen sei unmöglich als auch seine sportlichen Kompetenzen völlig unzureichend. Er nehme etwa keine Rücksicht auf die physische Gesundheit der eingesetzten Fußballerinnen. Einige spielten ununterbrochen in der Liga und der Nationalmannschaft und starteten sogar in Freundschaftspartien, während einige Ersatzspielerinnen nicht eingesetzt wurden.

Der spanische Fußballverband RFEF verurteilte daraufhin das Verhalten der Spielerinnen. Man behauptete sogar, diese seien zurückgetreten: "Die zurückgetretenen Spielerinnen werden in Zukunft nur dann in die Nationalmannschaft zurückkehren, wenn sie ihren Fehler einsehen und sich entschuldigen", heißt es in einem Statement. Hinzu kam eine Schuldumkehr: "Diese Art von Manöver ist alles andere als vorbildlich, entspricht nicht den Werten des Fußballs und des Sports und ist schädlich." Vildas Vertrag wurde vor der EM verlängert. Auch hier ist es sicherlich kein Zufall, dass der Vater des Trainers seit langer Zeit im RFEF aktiv ist. Vilda ist innerhalb des Verbands sehr gut vernetzt, unterhält mit vielen Funktionären gute Beziehungen. Vor seiner Berufung zum Nationaltrainer hatte er lediglich Jugendteams trainiert.

Hegemonie, Unterordnung, Komplizenschaft und Marginalisierung. Mit dem Konzept der hegemonialen Männlichkeit der australischen Soziologin Raewyn Connell lassen sich die Strukturen in den Fußballverbänden gut beschreiben. Männer sichern ihre Dominanz am besten ab, indem sie Frauen unterordnen und im Zweifel ausschließen. Vielsagend, aber wohl kaum überraschend, wie ein System von Macht, Geld und "guten Kontakten" Täter schützt, während etwaige Opfer nichts zählen, besonders, wenn es Frauen sind. Ebenso deutlich wird, welche Rollen die Spielerinnen in diesem System spielen: keine, zumindest keine entscheidende. Hier zeigt sich ein bekanntes Bild: Die Funktionäre verteidigen ihre Position um jeden Preis. Die psychische und physische Gesundheit derer, ohne die das Geschäft mit dem Sportevent nicht möglich wäre, spielt keine Rolle. Werden dennoch Vorwürfe publik, reagieren Verbände und Funktionäre, wie sie es seit Jahrzehnten tun: mit Leugnung und Gegenangriff. Der bürgerlich-institutionalisierte Fußball verzichtet sogar auf oberflächliche Anpassung. Das macht deutlich: Innerhalb der bestehenden Strukturen ist Besserung unmöglich.

Original