Mit einem leisen Knacken öffnet sich das Fläschchen. Joel Blanchard hält es dem Besucher unter die Nase. Die ölige braune Flüssigkeit darin verströmt einen holzig-herben Duft. Es riecht ein bisschen wie Wald nach Regenguss. "Ohne das hier geht in der Parfum-Branche fast gar nichts", sagt Blanchard und lächelt überzeugt.
Blanchard, 33, dunkle Haare, Drei-Tage-Bart, offenes Hemd, ist Junior-Chef von Caribbean Flavors and Fragrances. Das Familienunternehmen in Haitis Hauptstadt Port-au-Prince stellt Vetiver-Öl her, ein kaum bekannter, aber für die globale Duftstoff-Industrie unentbehrlicher Rohstoff. Vetiver ist ein so genannter Fixateur. Es sorgt dafür, dass die Aromen der Parfums auf der Haut nicht so schnell verfliegen.
Jungunternehmer Blanchard freut sich über den Besuch aus dem Ausland. Es werde Zeit, sagt er, dass aus seinem Land endlich einmal etwas Positives berichtet werde. Haiti, die kleine Republik der großen Tragödien, ist weltweit für Armut, Erdbeben und Cholera bekannt. "Aber wer weiß denn schon, dass wir weltweit Marktführer bei der Herstellung von Vetiver-Öl sind?"
Tatsächlich hält Haiti, das sich mit der Dominikanischen Republik die Insel Hispaniola teilt, sonst nur Spitzenplätze in den Horrorstatistiken: Gewalt, Armut, Kindersterblichkeit und Aids. Rund 1000 Kilometer von Miami entfernt sind sieben von zehn Menschen arbeitslos und die Kinder unterernährt. Im ärmsten Land der westlichen Hemisphäre gibt es zu wenige Krankenhäuser, keine Müllabfuhr und nur sporadisch Strom. Es fehlen ein Grundbuchamt und geteerte Straßen. "Kollektiver Selbstmord einer Nation", beschrieb der frühere Chef der Uno-Stabilisierungsmission MINUSTAH, Edmond Mulet, was er in Haiti erlebte.
Das größte Exportgut sind Menschen - und Vetiver
Und dann kam noch das große Beben: "Goudou, goudou" nennen es die Haitianer lautmalerisch und voller Furcht. 37 Sekunden schwankte am 12. Januar 2010 die Erde. 250.000 Menschen starben, mehr als eine halbe Million wurden obdachlos.
Heute ist Haiti gerade mal wieder dort angelangt, wo es am Vorabend des Bebens stand. Von den Milliarden-Aufbaugeldern ist ein Teil angekommen, ein Teil versickert und ein Teil nie überwiesen worden. Haiti brauche Investitionen, sagt Joel Blanchard. Aber sein Land weckt bei ausländischen Investoren kaum Interesse. Zwei Hotels wurden nach dem Beben neu gebaut, aber sonst fast nichts. Haiti hat wenig zu bieten außer Mangos und billigen Arbeitskräften. Das größte Exportgut sind Menschen - und Vetiver.
"Schön, dass Sie sich für unser Geschäft interessieren und nicht nur dafür, was in Haiti nicht klappt", sagt also der Jungunternehmer. Er empfängt in seinem Büro, wo die Klima-Anlage vergessen lässt, dass man in den Tropen ist. An der Wand hängen Diplome der Universität Miami, wo Blanchard Chemie studiert hat. Der Junior soll später einmal den Betrieb ganz übernehmen, den Vater Jean-Pierre 1989 gegründet hatte. Auf Blanchards Schreibtisch stehen zwei Dutzend kleine Fläschchen mit Vetiver- und Sandelholz-Öl sowie kleinen transparenten Parfum-Flacons aus hauseigener Produktion. "Feu des Iles" - Inselfeuer - ist der erste Versuch von Blanchard, selbst ein Duftwasser aufzubereiten.
"Caribbean Flavors and Fragrances" ist heute mit seinen 50 Angestellten Haitis größter Hersteller und Exporteur von Vetiver-Öl. 150 Fass à 204 Liter liefert das Unternehmen jedes Jahr vor allem in die Schweiz, nach Frankreich und in die USA. Hinzu kommen noch große Mengen Sandelholz-Öl. Der Umsatz der Blanchards beläuft sich dennoch nur auf vier Millionen Dollar. Ätherische Öle sind eben ein Nischenprodukt.
Die haitianische Mischung gilt als die weltweit beste
Dennoch sichert die Branche größeren und kleineren Produzenten in Haiti ihr Auskommen. Hinzu kommen rund 30.000 Bauern, die das Vetiver ernten. Die haitianischen Duft-Macher liefern vor allem an Aromen- und Duftstoffhersteller wie die Schweizer Unternehmen Givaudan und Firmenich oder International Flavors and Fragrances (IFF) in den USA. Diese wiederum mischen die einzelnen Düfte für die großen Marken und Namen zusammen.
Aus dem karibischen Inselstaat kommt rund die Hälfte des weltweiten Vetiver-Öls. Es wird aus der gleichnamigen Pflanze hergestellt, einem ursprünglich aus dem tropischen Asien stammenden Süßgras, das in Haitis Süden in rauen Mengen wächst. Gewonnen wird das Öl per Wasserdampf-Destillation aus den getrockneten Wurzeln des Grases. Neben der Parfümherstellung wird Vetiver-Öl auch in der Aromatherapie und Naturheilkunde eingesetzt.
Die haitianische Mischung gilt dabei als die weltweit beste, wie Geruchsexperten bescheinigen. Aber die Konkurrenz vor allem aus Asien hole auf, warnt Joel Blanchard. China, Indonesien, Indien, aber auch Brasilien und Paraguay drängten zunehmend auf den Markt. "Und die Bedingungen hier in Haiti mit Stromausfällen, Wasserknappheit, fehlender Infrastruktur und politischer Instabilität machen das Geschäft nicht gerade leichter."
Schon der Weg zur Fabrik der Blanchards macht das deutlich. Erst droht der ewige Stau auf den Straßen von Port-au-Prince, dann geht es nahe dem Flughafen über eine Schotterpiste in das einzige Industriegebiet der haitianischen Hauptstadt. Wer die Blanchards finden will, muss fragen. Es gibt keine Hausnummer, kein Firmenschild. Nur ein großes blaues Tor. Dahinter dann Berge von Vetiver-Wurzeln, Kondensatoren und Wasserbecken. Aber es stehen gerade alle Maschinen still. Dieses Mal allerdings sei kein Stromausfall schuld, sagt Blanchard und lacht: "Wir müssen ja auch mal überholen."
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