Was tut jemand mit seinem Geld, der sich alle Wünsche erfüllen könnte? In Taiwan schenkte dieser Industrielle seiner Heimat ein riesiges Museum - und viel mehr.
Er ist ein reicher alter Mann. Ein Milliardär von 87 Jahren. Shi Wen-Long hat mehr Geld, als er ausgeben kann. Aber der Gründer eines Chemiekonzerns hockt nicht auf seinem Vermögen, hat keinen Geldspeicher gebaut, sondern ein Krankenhaus und ein Museum für seine Mitbürger. Statt sich abzuschotten, schlug Shi, der noch immer in einem unscheinbaren Haus mitten in seiner Heimatstadt Tainan wohnt, vor langer Zeit einen anderen Weg ein: Er gibt der Gesellschaft, die ihm seinen märchenhaften Reichtum ermöglicht hat, etwas zurück.
Langsam schreitet er durch eine lichte Wandelhalle, vorbei an antiken Marmorstatuen muskulöser Helden. Klein und gebrechlich wirkt Shi, doch die Museumsbesucher machen seinen Gang zur Ehrenrunde. Neugierige Blicke, spontaner Applaus. Einige überwinden den respektvollen Abstand, schütteln Shi die Hand, klopfen ihm auf die Schulter. Sie wissen, dies ist sein Museum, sein Vermächtnis, und von allen Träumen, die er wahr machen konnte, wohl der tollkühnste. "Schon vor lange Zeit dachte ich mir: Selbst wenn eine Stadt noch so viel Geld hat, noch so viele Hochhäuser baut, das alles ist nicht wichtig", sagt er. "Wichtig ist, dass sie ein Kunstmuseum hat." Eröffnet hat er dieses Museum zu Jahresbeginn 2015 und benannt nach dem Konzern Chimei, den er gründete.
Ohne Reichtümer oder silberne Löffel wird Shi 1928 geboren. Die zwölfköpfige Familie lebt in einer ärmlichen Gegend von Tainan, der alten Hauptstadt Taiwans. Shi lernt Japanisch statt Mandarin, denn die Insel ist damals eine japanische Kolonie. Früh entdeckt er ein kleines Museum. Ausgestopfte Tiere, Kunstwerke, freier Eintritt: Wieder und wieder kehrt der Junge zurück. Zu einer Zeit, als die meisten kaum ihren Heimatort verlassen, eröffnet es ihm die Welt. "Es hat einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen", erinnert sich Shi. "Damals habe ich mir gesagt, wenn ich irgendwann die Möglichkeit habe, will ich auch ein Museum aufbauen."
Noch eine Entdeckung soll sein Leben verändern. In einem Kino, wo Stummfilme laufen, begleitet ein Geiger die flackernden Bilder. Gebannt lauscht Shi den zarten Tönen. Er beginnt selbst, Geige zu spielen, und schafft es in einige Schulorchester. Später lernt auch das Spiel auf Mandoline, Klavier und Orgel.
Der Krieg kommt und geht vorbei. Die unterlegenen Japaner rücken ab, ihr Museum verschwindet, die Nationalchinesen unter Chiang Kai-Shek nehmen Taiwan in Besitz. Als das Tigerstaat-Wirtschaftswunder beginnt, ist Shi zur Stelle. 1960 gründet er die Chimei-Kunststoffwerke. Das Unternehmen wächst und macht ihn reich.
Beginnend in den 1970er Jahren spendet Shi viel Geld für Kulturprogramme, baut ein Krankenhaus mit heute 2400 Betten und beginnt mit dem planmäßigen Aufbau einer Sammlung: Bildende Kunst und Musikinstrumente, naturhistorische Präparate wie damals im japanischen Museum. "Kunst muss mit der Allgemeinheit geteilt werden, erst dann erfüllt sie ihren Zweck", sagt Shi. "Wer eine schöne Frau hat, will ja auch, dass jeder sie bewundert." 1992 macht Shi einige Etagen im Konzernhauptquartier frei, hängt europäische Meister an die Wände, stellt Geigen und ausgestopfte Giraffen aus. Mehr als 20 Jahre lang bleibt es bei diesem Provisorium.
Nach langen Verhandlungen stellt die Stadt dann Land zur Verfügung, Chimei errichtet darauf Park und Museum. Wer heute dorthin fährt, sieht am Horizont als erstes eine strahlend weiße Kuppel. Inmitten einer Parklandschaft thront ein riesiger klassizistischer Bau, der ans Kapitol in Washington erinnert. Ein wenig deplatziert wirkt das schon. Las Vegas im tropischen Süden Taiwans? Doch die Architektur ist elegant, die Proportionen stimmig, keine kitschigen Versatzstücke stören das Bild. Seit der Eröffnung stehen hier Tag für Tag lange Schlangen vor dem Portal. Einwohner von Tainan haben freien Eintritt.
Wenn sie draußen Selfies knipsen, geht es noch laut zu, aber das Innere mit seinen 40.000 Quadratmetern schlägt alle in seinen Bann. Allein der Flügel für bildende Künste würde jede europäische Hauptstadt schmücken: Gemälde von Cranach und El Greco bis hin zu französischen Realisten des 19. Jahrhunderts. Plastiken von Dali, eine ganze Sammlung Statuen von Rodin. Ein Crashkurs in abendländischer Kulturgeschichte und für viele Taiwaner die erste Gelegenheit, westliche Kunst so unmittelbar zu erleben. Herr Cheng aus Taipeh ist mit zwei alten Freunden angereist. "Früher haben die Europäer chinesische Kunstschätze geplündert und weggeschafft", sinniert er mit Blick auf die griechischen Plastiken. "Da macht es mich irgendwie stolz, dass es hier andersherum gelaufen ist."
Wer den größten Stolz des Shi Wen-Long sehen will, muss hinter die Kulissen. Treppe rauf, Treppe runter, und irgendwann steht man in der lichtdurchfluteten Werkstatt von Chung Dai-Ting. Der fröhliche Mittfünfziger kümmert sich um Geigen, Bratschen, Celli, als Kurator der wohl wertvollsten Streichinstrumente-Sammlung der Welt. Der Weg in sein Allerheiligstes führt durch eine 30 Zentimeter dicke Tresortür. Dahinter, feuer- und erdbebensicher, ein großer Raum, leer bis auf deckenhohe Holzregale an den Wänden. Fach an Fach lagern hier Violinen. Nur die Etiketten verraten dem ungeübten Betrachter, dass er es mit einer "Amati 1566" oder "Stradivari 1709" zu tun hat.
Sie sehen aus wie neu, mit prächtigen Intarsien und Schnitzereien. Der Wert der mehr als 1000 Instrumente in diesem Raum ist unermesslich. "Dies ist wohl das wertvollste Stück", sagt Chung und zieht eine "Guarneri 1744" hervor. "Die Versicherungssumme ist 10 Millionen Euro." Für jemanden, der sich für Geigen begeistert, muss Chung den schönsten Arbeitsplatz der Welt haben. Er hat für Shi über Jahrzehnte die Sammlung zusammengetragen, bei Auktionen in aller Welt mitgeboten. "Einmal habe ich hier drin übernachtet", verrät er. "Aber ich konnte kaum schlafen. Die Instrumente haben so viele Geschichten erzählt."
Auch diesen Schatz hortet Shi, der Musikenthusiast, nicht nur für sich: "Eine Geige will gespielt werden." Wenn junge Taiwaner zum Musikstudium ins Ausland gehen, können sie sich bei ihm bewerben - nicht um ein Stipendium, sondern um eine historische Geige als Leihgabe. Mehr als 200 Instrumente sind in der Welt unterwegs. Ab und zu lässt einer sie im Taxi liegen, aber bisher sind immer alle wieder aufgetaucht.
Shi Wen-Long muss wohl ein glücklicher Mensch sein. Sein Konzern hat es ihm ermöglicht, seine Träume zu erfüllen und andere daran teilhaben zu lassen. Wenn er nun, mit 87, zurückblickt, redet er aber nicht von Fabriken und Geld: "Wenn jemand ein Leben lang nur Künstler wäre, malen und Geige spielen könnte - das wäre ein gutes Leben."