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Interview

Rafael Horzon – Das letzte Interview

Je öfter er darauf beharrt, keine Kunst machen zu wollen, um so mehr werden seine Unternehmungen als solche gelesen. Der Berliner Möbelverkäufer, Fitnesscoach, Akademiepräsident und Romanautor Rafael Horzon aber will vor allem eines: Erfolg! In seinem neu eröffneten Buchladen in Berlin-Mitte sprach der Unternehmer mit art-Korrespondent Kito Nedo über das Weihnachtsgeschäft, das Nachwende-Berlin, sein Verhältnis zu den Schönen Künsten, mittelständisches Engagement und den nahenden Abschied vom aktiven Unternehmertum.

Dem Berliner Unternehmer Rafael Horzon eilt der Ruf eines Provokateurs voraus. Seit Sommer 1998 verkauft der 1970 in Hamburg geborene Geisteswissenschaftler und Physiker in seinem Laden "Moebel Horzon" auf der Torstraße in Berlin-Mitte das Universalregal "Modern" (damaliger Preis: 200 Mark). Um seinem Hauptkonkurrenten Ikea schnell Berliner Marktanteile abzujagen, ging Horzon Ende der neunziger Jahre mit der Aktion "Umtausch + Zersägung = Zufriedenheit" in die (sehr erfolgreiche) Marketingoffensive: "Bringen Sie uns Ihr unmodernes, unschönes Regal eines anderen Herstellers (IKEA, Flötotto, Rolf Benz), dafür erhalten Sie von uns kostenlos ein Exemplar unseres universalregals "Modern"! Die unmodernen und unschönen Regale werden im Anschluß vor der Moebel-Horzon-Filiale zu Feuerholz zersägt." Auch im Bildungssektor mischte Horzon, der mit seiner Unternehmensgrupppe modocom seither viele Geschäftsfelder zu besetzen suchte, mit seiner zwischen 1997 und 2007 privat betriebenen Wissenschaftsakademie kräftig mit: Zu den Dozenten gehörten namhafte Wissenschaftler und Autoren, wie der Kurator Hans-Ulrich Obrist, der Kritiker Niklas Maak, der Schriftsteller Christian Kracht oder der Designforscher Mateo Kries. Horzon selbst trat bis vor kurzem als Sachbuchautor in Erscheinung, sein 1999 erschienenes Buch "Modern sein – Fit im Kopf ins 3. Jahrtausend.", in dem er seine Wissenschafts- und Marketingtheorie sowie Fitnesstipps in einfacher, verständlicher Sprache aufschrieb, erschien 2002 in überarbeiteter Form als "Der dritte Weg". Mit dem in diesem Sommer bei Suhrkamp erschienenen "Das weisse Buch" zieht Horzon nun Bilanz: die Unternehmerbiografie vereint das Stilmittel des Schelmenromans mit Kolportage-Elementen. Es ist die erste literarisch-dokumentarische Rückschau aus dem Innenleben der "Generation Berlin".


Kito Nedo: Herr Horzon, Sie haben in diesem Jahr auf der Torstraße eine "Sach- und Fachbuchhandlung" mit 5000 Büchern eröffnet – wie laufen die Geschäfte?

Rafael Horzon: Es läuft sehr gut. Es ist ja 5000 mal dasselbe Buch, und glücklicherweise hat sich dieses Buch als Bestseller erwiesen. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn ich auf einen Ladenhüter gesetzt hätte.

Es handelt sich um Ihr eigenes Buch...

Ja, richtig, "Das weisse Buch". Ich war sehr überrascht, als das Buch fertig war und ich erfahren habe, dass man als Buchautor nur einen Euro pro Buch verdient. Ich war von 50 bis 80 Prozent des Verkaufspreises ausgegangen. Also habe ich kurzerhand eine eigene Buchhandlung eröffnet, um auch als Buchhändler an meinem Bestseller zu verdienen.

Wie bereiten Sie sich auf das Weihnachtsgeschäft vor?

Wir werden hier wohl etwas mit Sprühschaum und Tannenbaum-Schablonen machen, Advents-Tees und einer Krazy Kids Korner für die Kleinen.

Andere Buchhandlungen klagen derzeit über magere Verkäufe, was machen die Ihrer Meinung nach falsch?

Viel zuviel Auswahl! Das verwirrt den Käufer! Man kommt in eine Buchhandlung und wird erschlagen von der Vielfalt des Angebots. Da dreht man sich auf dem Absatz um und geht lieber wieder nachhause. Genau der gleiche Fehler wie bei Ikea. Besser ist es, dem Käufer die Entscheidung einfach zu machen. Zum Beispiel, indem es nur ein einziges Produkt gibt. So habe ich es in meinem Regalfachgeschäft Moebel Horzon gemacht, und so mache ich es auch in diesem Buchladen.

Auf der Torstraße betreiben Sie nicht nur Ihre Geschäfte, Sie wohnen auch hier. Können Sie sich vorstellen, jemals das Viertel zu verlassen? Wohin würden Sie dann gehen?

Ich habe nun über 15 Jahre in Berlin-Mitte gewirkt. Als nächste Station wäre in meinem hohen Alter wohl Charlottenburg die logische Konsequenz. Vielleicht ziehe ich aber auch nach Lagos/Nigeria.


Das wäre ein herber Verlust, denn Sie sind ja ein Ankermieter an der Torstraße, ein mittelständisches Schwergewicht.

Das stimmt. Wir schaffen hier Ausbildungs- und Arbeitsplätze. Aber keine Angst: Ich werde das Geschäft nicht schließen, sondern es meinen Mitarbeitern übergeben und mir meine monatliche Rente nach Nigeria überweisen lassen. In die Rentenversicherung habe ich selbstvertständlich niemals eingezahlt. Eigentlich habe ich schon jetzt im Möbelgeschäft gar nichts mehr zu tun, meine Mitarbeiter betreiben das fast völlig autark.

"Modern" heißt das Norm-Regal, mit dem Sie seit 1999 als Möbelfabrikant und -händler bis heute sehr erfolgreich sind. Mittlerweile sind Sie von ihrer bisherigen Philosophie abgerückt und produzieren maßgefertigte Sondermodelle jenseits der Norm. Hat sich das Prinzip "Modern" überholt?

Wir verkaufen nach wie vor auch die Standard-Modelle. Aber man muss auch den Erfordernissen des Marktes Rechnung tragen. Die Kunden wünschen zunehmend maßgefertigte Regale. Wir erfüllen diesen Wunsch.

Hat sich Ihre Kundschaft also verändert?

Ich bin mit meiner Kundschaft gereift. Damals waren wir jung, Studenten. Mittlerweile sind wir Rentner die Basis der Bevölkerungspyramide. Wir haben Kinder, Enkel, große Wohnungen, sehr viele Bücher. Es wird dringend nach einer Lösung für Unmengen von Büchern und Andenken gesucht: also nach einer maßgefertigten Regalwand. Es gibt aber auch weiterhin Kunden, die unser Ur-Modell kaufen.

Ist Ihr Geschäft internationaler geworden?

Wir exportieren mittlerweile in andere Städte, nach Hamburg, MünchenWien, und wir verschicken unsere Regal-Lösungen auch ins Ausland: Frankreich, Belgien, Holland, Dänemark. Das Geschäft internationalisiert sich zusehends.

In diesem Jahr ist "Das weisse Buch" zum vorherrschenden, teilweise umstrittenen Thema geworden. Es ist eigentlich das erste Buch, das die Geschehnisse im Nachwende-Berlin aus der Innensicht beschreibt. Nun setzt die Berlin-Mitte-Historisierung ein. Warum hielten Sie es für eine gute Idee, gerade dieses Buch als Schelmenroman zu schreiben?

Das habe ich doch gar nicht! Das wird zwar immer geschrieben, aber das stimmt ja gar nicht. Romanhaft ist nicht das Buch, sondern romanhaft war mein Leben, waren die damaligen Ereignisse. Es handelt sich um ein Sachbuch. Für einen wirklichen Schriftsteller habe ich auch viel zu wenig Fantasie. Und sogar für einen Sachbuchautor viel zu wenig Talent. Deshalb war ich dann auch ganz froh, als Günter mich anrief und nach Arbeit fragte...

Günter?

Günter Grass. Ich habe ihm meine Lebensgeschichte ins Diktaphon erzählt, und er hat dann alles ins Reine geschrieben. Ich hatte nur eine Bedingung: "Immer schön sachlich bleiben, bitte!" Daran hat er sich gehalten.


"Das Weisse Buch" ist auch eine Geschichte des unternehmerischen Scheiterns. Der große Mann des Scheiterns in Berlin war Christoph Schlingensief – er prägte den Slogan "Scheitern als Chance". Kannten Sie sich eigentlich?

Beiläufig. Er ist damals zur Eröffnung der Galerie "berlintokyo" gekommen, und auch später ist er ein paar mal gekommen. Es ist schade, dass er jetzt nicht mehr da ist. Natürlich ist Scheitern auch immer eine Chance – wieder Neues zu probieren. Obwohl: ich habe es nie darauf angelegt, zu scheitern. Im Gegenteil, ich wollte ja immer gewinnen.

Trotzdem gehen Sie beneidenswert gelassen mit Misserfolgen um.

Sowohl das Scheitern, wie auch den Erfolg kann man nicht zwingen, das ist vollkommen unberechenbar. Ich konnte das nie voraussehen. Deswegen gab es ja auch die vielen Geschäftsideen, man wusste ja nie, ob es funktionieren würde, bevor man die Idee auch tatsächlich umgesetzt hatte: Partnertrennungsagentur, Fassadenverschalungen, Fachgeschäft für Apfelkuchenhandel. Es war jedes Mal der fast krankhafte Wunsch da, geschäftlichen Erfolg zu haben. Nach dem großen Erfolg von Moebel Horzon war ich erfolgssüchtig geworden. Doch bis auf dieses Buchprojekt hat es nie geklappt. Und bezeichnenderweise hatte ich es bei diesem Buch auch nicht darauf angelegt. Der Erfolg war nicht geplant.

Nehmen wir mal an, Ihr Großkonkurrent Ikea würde an Sie herantreten und Ihnen ein Joint Venture, eine Moebel-Horzon-Edition vorschlagen. Würden Sie es tun?

Natürlich nicht.

Als Sie Anfang der neunziger Jahre nach Berlin kamen, beschreiben Sie die Mitte als ein "großes Trümmerfeld". Wie verlief eigentlich der Erst-Kontakt mit den Ur-Ost-Berlinern?

Die hat man ja gar nicht getroffen. Der einzige Ost-Berliner, den ich damals kennen gelernt habe, war DAG, der Maler. Die jungen Leute, mit denen wir damals, in unserer Jugend, zu tun hatten, die kamen ja auch alle aus Westdeutschland. So wurde Berlin-Mitte usurpiert.

Eine neue Sicht der Wiedervereinigung...

Symptomatisch ist doch die Szene im Buch, wo ich durch das Trümmerfeld der damals leerstehenden Hackeschen Höfe laufe und Franz und Reimo von der Band "Jeans Team" treffe und wir in den Nachbarhof gehen und diesen Laden mieten, in dem wir dann zwei Wochen später die Galerie berlintokyo eröffnen. Das könnte man bildlich verstehen, ist aber auch de facto viele tausend Male genau so passiert. Und gegenüber den Hackeschen Höfen war ja wirklich nur eine Brache. Da gab es Schlamm, ein paar verkrüppelte Bäume und einen abgebrannten Imbiss. So war Berlin-Mitte damals.


Sie haben alles Mögliche ausprobiert, aber Künstler wollten Sie auf keinen Fall werden. Ein Künstler, der im Buch wirklich gut wegkommt, ist Anselm Reyle. Warum?

Zunächst mal: In meinem Buch kommen alle Personen sehr gut weg, auch alle Künstler. Das hatte ich Günter so vorgegeben. Anselm Reyle hat zu einer bestimmten Zeit genau die selben Überlegungen vollzogen wie ich, das unterstelle ich jetzt einfach mal. Er hat die Mechanik der Kunst genauso gut verstanden wie ich. Nur: ich habe mich daraufhin gelangweilt von der Kunst abgewendet und bin Unternehmer geworden. Und Reyle ist eben Künstler geworden, wobei er interessanterweise sehr unternehmerisch vorgegangen ist, wie ein Fabrikant. Der Unterschied ist aber eben, ob man Dinge zu Kunst erklärt oder nicht, und ich habe das nie getan. Es war mir zu einfach.

Sie haben in den drei Berliner Boom-Branchen maßgeblich mitgemischt: dem Designsektor, dem Bildungswesen und der Gastronomie. Ihre Agentur "RedesignDeutschland" klingt nach einem politischen Programm. Gab es je Annäherungsversuche von Seiten der Politik? Hat man Sie als Berater engagieren wollen?

Im Grunde genommen ist alles, was ich bisher gemacht habe, politisch. Nehmen Sie die Wissenschaftsakademie: Das ist praktizierte Bildungspolitik, Bildungstheorie in die Praxis umgesetzt. Aber die Realpolitik ist mir zu schwerfällig, zu langsam. Ich bin kein Politiker des Wortes, ich bin ein Politiker des Handelns.

Wollen Sie jetzt ein noch besseres Buch schreiben?

Das dürfte wohl schwer möglich sein. Mit Rudolf Scharping als Ghostwriter vielleicht... Nein. Ich höre jetzt auf. Es wird keine neuen Projekte mehr geben. Keine Buchprojekte und keine Geschäftsideen. Ich ziehe mich zurück. Ich habe alles getan, was getan werden musste, habe alles gesagt, was gesagt werden musste. Ab jetzt werde ich schweigen.



Dieses Interview erschien im Dezember 2010 auf art-magazin.de