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Interview

Ein Garten wie die Stadt von morgen

Auf einem 6000 Quadratmeter großen Brachgelände mitten in Berlin wächst seit 2009 ein urbaner Garten heran: der Prinzessinnengarten. In nur kurzer Zeit ist das Projekt über die Stadt hinaus bekannt geworden und wurde sogar auf die Expo 2010 in Shanghai eingeladen. Im art-Interview erzählt Mitbegründer Marco Clausen, was Pioniernutzung bedeutet, warum Gemeinschaftsgärten immer wichtiger werden und wie Menschen selbst ihre Stadt mitentwickeln können. Mittlerweile sind die Verhältnisse in der Gegend durch den "Aufbau"-Verlag und das "Beta-Haus" in Schwung gekommen. Die Stadt möchte das Prinzessinnengarten-Grundstück nun meistbietend verkaufen und bringt damit nicht nur die Nachbarschaft gegen sich auf. Ein offener Brief im Internet wurde in den ersten vier Wochen von 25 000 Menschen unterschrieben. Art traf sich mit dem Prinzessinnengarten-Mitbegründer Marco Clausen im Scheinakazien-Wäldchen, um über den Berliner Garten zu sprechen, dessen Namen sich bis nach Shanghai und New York herumgesprochen hat und warum es sich gerade jetzt lohnt, für dessen Erhalt zu kämpfen.


Kito Nedo: Herr Clausen, seit 2009 betreiben sie und ihre Mitstreiter die offene Stadtgarten-Initiative am Moritzplatz in Berlin-Kreuzberg. Ende August haben Sie ein Petitionsverfahren zum Erhalt des Gartens gestartet – Warum?

Marco Clausen: Wir haben erfahren, dass diese stadteigene Fläche vom Liegenschaftsfonds kurzfristig an Investoren aus der Kreativwirtschaft vermarktet werden soll. Das ging aus einer Antwort der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Anfang Juni hervor. Von diesen Plänen waren wir nicht informiert und aufgrund der sehr kurzen Zeiträume, in denen normalerweise solche Flächen vermarktet werden, mussten wir davon ausgehen, daß wir hier vor Ort keine tragfähige Zukunft mehr haben. Aus dieser Situation heraus haben wir einen offenen Brief geschrieben, mit dem wir auf die ohnehin schon prekären Bedingungen des Gartens hinweisen – aber auch darauf, was dieser Garten für den Stadtteil und die Stadt insgesamt bereits geleistet hat. Wir betonen die Notwendigkeit, langfristige Planungsperspektiven für ein solches Engagement zu eröffnen. Die mit unserem Schreiben verbundene Online-Petition wurde in den ersten vier Wochen von 25 000 Menschen unterschrieben.

Geht es nur um den Prinzessinnengarten?

Die vielen Reaktionen auf unseren Brief zeigen uns nicht nur den Zuspruch, den der Prinzessinnengarten hat, sondern dass sich viele Leute in Berlin momentan ganz allgemein fragen: Wie können wir sicherstellen, dass wir das, was Klaus Wowereit einmal das "schöne und wilde Berlin" genannt hat, auch in zehn Jahren noch haben? Also: Wie kann man Freiräume dauerhaft für diese Art von sozialem Engagement, für neue Formen des städtischen Zusammenlebens etablieren? Wie lassen sich solche Orte des gemeinschaftlichen Produzierens, des Austauschs, des Lernens und des Mitgestaltens von Stadt sichern?

Ursprünglich haben Sie ihr urbanes Landwirtschaftsprojekt hier auf einer 6000-Quadratmeter-Brache als mobiles Unternehmen gegründet: mit Transport-Logistik und beweglichen Hochbeeten. Warum wollen Sie plötzlich am Moritzplatz bleiben?

Wir wollen nicht zwingend für immer bleiben. Das ist nicht unsere Kernforderung. Als wir 2009 mit den Prinzessinnengarten angefangen haben, hat uns fast niemand geglaubt, dass das funktionieren könnte. Damals war urbane Landwirtschaft kein Thema. Es gab nicht wenige, die gesagt haben: "Nette Idee, aber eigentlich kompletter Schwachsinn." Mit uns selber war es so: Wir haben hier begriffen, was das Pionier-Sein bedeutet – man weiß nicht wirklich, worauf man sich einlässt. Deshalb waren wir auch selbst über den Erfolg der Prinzessinnengarten überrascht.

Inwiefern?

Dieser Erfolg misst sich nicht nur in den tausenden Besuchern, die hierher kommen oder in den hunderten freiwilligen Helfern. Der Erfolg äußert sich auch im Feedback das wir bekommen, gerade aus dem Bereich alternative Stadtentwicklung und Urbanistik. In der Zwischenzeit sind wir in vielen Ausstellungen vertreten gewesen, bis hin zur Expo 2010 in Shanghai. In der Auseinandersetzung mit vielen unterschiedlichen Partnern haben wir das Potenzial gespürt, das in den Prinzessinnengarten steckt, wenn man über die Städte von morgen nachdenken möchte.

Wie meinen Sie das?

Damit meine ich nicht unbedingt die Fragen rund um die Selbstversorgung mit Lebensmitteln, das ist gar nicht unser zentrales Thema. Es geht um die Frage, wie man etwa den sozialen Zusammenhang in unserem Kiez aufrechterhalten kann. Wie man für eine bestimmte Mischung und für Austausch sorgen kann, wie man neue Bildungsformen etablieren kann. Das sind wichtige Experimentierfelder. Eine andere Frage ist: Wie kann man die Stadt auf die kommenden Veränderungen vorbereiten, von denen wir wissen, dass sie kommen werden, nicht aber mit welchen Konsequenzen und wie wir auf sie reagieren. Zu nennen wären da etwa der Klimawandel, die Verknappung von Ressourcen, die zunehmende Verteuerung von Erdöl, den demografischen Wandel, die sozialen Verwerfung etwa bei dem Zugang zu Wohnraum, zu einer angemessenen gesundheitlichen Versorgung und Bildung. Deswegen reden wir hier auch nicht mehr von Zwischennutzung, sondern von Pioniernutzung.

Was ist Pioniernutzung?

Wir sitzen hier in unserem Wäldchen aus Scheinakazien: das ist sogenannte Pioniervegetation. Die zeichnet sich dadurch aus, dass sie auf sehr kargem Untergrund wächst, mit wenig auskommt und so die Bedingungen für etwas darauf folgendes schafft. Wir sagen: Ein urbaner Garten wie der Prinzessinnengarten ist so etwas wie eine Pioniernutzung, denn er zeigt, was an solchen Orten möglich ist. Er zeigt auch, was es für gesellschaftliche Bedürfnisse gibt, die so deutlich vorher möglicherweise gar nicht wahrgenommen wurden. So ein Ort kann also einen Weg öffnen, für eine bestimmte Art, über die Stadt nachzudenken. Deswegen sagen wir nicht: an dieser Stelle muss möglicherweise für die nächsten 40 Jahre ein urbaner Garten in dieser Form bestehen bleiben.

Aber?

Das Potenzial, das wir hier erschlossen haben, sollte man nicht einfach zubetonieren, sondern sich wirklich einmal fragen, wie sich das in einer Entwicklung aufgreifen lässt, die das hier Entstandene weiterträgt. Zu so einer Entwicklung gehört für uns beispielsweise, dass man sehr stark nachbarschaftsorientiert arbeitet – dass man den sozialen Zusammenhang hier nicht weiter zerreißt, sondern versucht, die Vielfalt der Nachbarschaft anzuerkennen und einzubinden. Deshalb fordern wir auch Bürgerbeteiligung, nicht nur formal, sondern als ernstgemeinte Auseinandersetzung mit den Menschen vor Ort und ihren Ideen.

Der Prinzessinnengarten ist in kurzer Zeit über die Stadt hinaus bekannt und beliebt geworden: Im Jahr haben sie durchschnittlich 50 000 Besucher, sie waren mit dem Projekt auf der Expo in Shanghai eingeladen, mittlerweile ist ein Buch in einem großen Kunstverlag erschienen – die Politiker müssten Sie doch als integratives Vorzeigeprojekt schätzen?

An symbolischem Schulterklopfen mangelt es nicht. Der Wert des Gartens und das internationale Renommee, das auf Berlin abstrahlt, ist unwidersprochen. Unser Projekt wird regelmäßig in Reden des Ressorts für Stadtentwicklung erwähnt, wenn es beispielsweise um eine neue IBA in Berlin geht. Wir finden uns in den Broschüren der Stadtverwaltung abgebildet, wenn es etwa um die nachhaltige Nutzung von Grünflächen geht. Die Stadt wirbt im Internet auf Tourismusseiten mit uns. Die Frage, die sich stellt: Wie kann man das überführen in langfristige Planungssicherheit für uns? Dieses Problem haben wir nicht allein, denken Sie etwa an den den Allmende-Kontor, einen großen Gemeinschaftsgarten auf dem Tempelhofer Feld. Wir müssen raus aus einer reinen Image-Politik, und Projekte wie den Prinzessinnengarten, wenn sie erfolgreich neue Wege bestreiten als Teil der Stadtplanung begreifen.

Gibt es dafür Beispiele?

Es gibt Städte, die sind da tatsächlich weiter. New York ist ein gutes Beispiel. Dort wurden ähnliche Prozesse durchlaufen: In den siebziger Jahren war die Stadt pleite, und ganze Stadtteile verfielen. Da waren es oft die Gemeinschaftsgärten, die den lokalen Zusammenhang gewährleistet haben und die Menschen wieder integrierten. Im Zuge des Immobilienbooms der neunziger Jahre wurden diese Gärten oftmals einfach plattgemacht. Inzwischen hat man jedoch den enormen Wert solcher Community Gardens erkannt, nicht nur als Image-Faktor, sondern in den Fragen der Integration, Gesundheit und Bildung. Inzwischen sind diese Gärten Teil einer langfristigen Stadtplanung, die den Wert des Grüns etwa angesichts des Klimawandels wieder ernst nimmt und die Existenz der urbanen Gärten sicherstellt.

Was könnte das Umdenken in der Politik in Berlin befördern?

Was insgesamt fehlt, sind Schnittstellen zwischen Basis-Initiativen und Verwaltung. Da gibt es eigentlich keine Kommunikationswege. Man spricht nicht miteinander, weil das nicht vorgesehen ist: dass Menschen selber ihre Stadt mitentwickeln. Es gibt eine gewisse Angst, dass Menschen einfach etwas selber machen: das ist sozusagen unreglementiert, unkontrolliert und nicht normiert oder professionell abgesegnet. Das muss sich ändern, weil wir wissen, dass Städte, gerade wenn sie pleite sind, dazu neigen, den komplett falschen Weg zu gehen. Da wird das Grundstück, auf dem ein funktionierendes Projekt arbeitet, eben auch noch verscherbelt. So verliert man langfristig die Gestaltungsmöglichkeiten in der Stadt. Will man sich jedoch diese Gestaltungsmöglichkeiten auch angesichts knapper Kassen erhalten, dann muss man die in der Stadt aktiven Menschen mit einbinden. Das ist die Aufgabe der Politik, dafür Instrumentarien zu finden. Beim Prinzessinnengarten gibt es jetzt die Chance, das auszuprobieren.

Kürzlich hat die schwarz-rote Regierungskoalition einen neuen Ansatz in der Liegenschaftspolitik verkündet: Neuerdings sollen beim Verkauf städtischer Flächen nicht immer nur das Höchstgebot, sondern teilweise auch stadtpolitische Ziele berücksichtigt werden. Wie beurteilen Sie solche Verlautbarungen?

Hier hat sich die Politik nicht bewegt, sondern wurde bewegt. In Berlin gibt es seit 2010 einen Beschluss des Abgeordnetenhauses zur Neuausrichtung der Liegenschaftspolitik, auch zugunsten von sozialen, kulturellen oder ökologischen Aktivitäten. Das wurde über zwei Jahre nicht umgesetzt. Ausschlaggebend für die jetzige Diskussionsbereitschaft war die Initiative von Menschen an unterschiedlichsten Stellen, die gesagt haben: Das ist ein Ausverkauf der Stadt, den ihr hier immer weiter betreibt, wir müssen das dringend ändern. Jetzt gibt es eine Senatsvorlage zu einer transparenten Liegenschaftspolitik. Was damit gemeint ist, wird nachher deren konkrete Durchführung zeigen. Noch sind das Worte, mit denen man letztlich wenig anfangen kann. Es geht darum, wer im Ausschuss sitzt und wer dort wirklich Entscheidungen treffen kann.

Was fordern Sie?

Eine Forderung vieler Initiativen ist, dass die Menschen, die sich vor Ort engagieren, bei der Vergabe von Grundstücken mit einbezogen werden müssen. Da muss es eine Verhandlungsplattform geben. Die Initiative "Stadt neu denken" etwa schlägt ein Memorandum für Liegenschaftsverkäufe und einen Runden Tisch vor. Das ist ein erster, sehr brauchbarer Schritt, um miteinander ins Gespräch zu kommen und auch die Expertise und die Bedürfnisse der Menschen vor Ort in den Prozess einzubinden. Hier muss es zukünftig ein Instrumentarium des Austauschs und der Kooperation mit klaren Regeln geben. Gegenwärtig ist allein der kurzfristige Finanzbedarf der Stadt entscheidend, was langfristig zu enormen Folgekosten führen wird. Den sozialen Zusammenhang einer Stadt zu zerreißen, keine Grünflächen, keine Orte der Bildung mehr zu haben: Solche Entwicklungen werden für die Stadt insgesamt zukünftig sehr viel teuerer, als die Mittel die jetzt durch Liegenschaftsverkäufe kurzfristig eingenommen werden. Es gibt Leute die sagen, dass die Einnahmen aus dem Verkauf städtischer Grundstücke gerade mal den Zinsdienst deckt. Anders gesagt: Zehn Jahre später und nach 5500 verkauften Grundstücken hat man keinen Cent weniger Schulden, sondern nur weniger Räume, über die man demokratisch entscheiden kann.


Dieses Interview erschien im Oktober 2010 auf art-magazin.de