17 Jahre galten Irie Révoltés als politische Partyband. Jetzt lösen sie sich auf. Im Interview erzählt Sänger Carlito vom Auftritt beim G20-Gipfel, dem Abschied der Gruppe und dem Révoltés Festival am Wochenende.
Hallo Carlito, im Jahr 2000 habt ihr Irie Révoltés gegründet und seid seitdem mit politischer Botschaft unterwegs: Ihr singt zum Beispiel gegen Faschismus („Antifaschist") und brennende Flüchtlingsheime („Jetzt ist Schluss"). Wann habt ihr angefangen, euch für Politik zu interessieren?
Von Kira von der Brelie
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Hallo Carlito, im Jahr 2000 habt ihr Irie Révoltés gegründet und seid seitdem mit politischer Botschaft unterwegs: Ihr singt zum Beispiel gegen Faschismus („Antifaschist") und brennende Flüchtlingsheime („Jetzt ist Schluss"). Wann habt ihr angefangen, euch für Politik zu interessieren?
Unsere Eltern haben uns schon ganz früh auf Anti-Atomkraft-Demos mitgenommen. In Heidelberg, wo wir aufgewachsen sind, gab es eine sehr politische Jugendkultur. Da haben wir viel mitbekommen und sind politisiert worden.Hat sich Linkssein seitdem verändert?
Definitiv. Die Welt verändert sich ja immer weiter: Es gibt Sachen, die werden beschissener, und Sachen, die werden besser. Nach den 2000ern war ein Problem, dass Politik oder Gesellschaftskritik in der Musik immer weniger stattgefunden haben. Das ist nach und nach verschwunden - eine sehr traurige Entwicklung.Musik und Politik gehören für euch zusammen?
Bei Irie Révoltés ja, weil das für uns nicht nur eine Band ist, sondern ein Projekt, dass aus diesen beiden Pfeilern besteht. Als Musiker haben wir ein Sprachrohr. Deswegen muss Musik nicht immer politisch sein. Musik kann die Welt nicht ändern. Aber Musik kann Menschen anregen, was zu tun, und das haben wir immer genutzt.Euer Konzert im linksautonomen Zentrum Rote Flora kurz vor dem G-20-Gipfel hat die „Welcome to Hell"-Proteste eingeleitet. Habt ihr auch mitdemonstriert?
Leider nein.Eure Musik ist eine tanzbare Mischung aus Reggae, Ska und Hip-Hop - das passt nicht zu den Ausschreitungen. Wie habt ihr die Proteste wahrgenommen?
Schade war, dass die Krawalle die Schlagzeilen beherrscht haben. Dabei ist komplett untergegangen, wie viel friedliche und gute Protestaktionen von Abertausenden Menschen stattgefunden haben. Grundlegend ging es ja darum, sich dagegen äußern zu können, dass sich die stärksten Staaten der Welt zusammensetzen und entscheiden, was mit der Welt passiert. So schaffen wir aber keine gerechtere Welt und weniger Kriege.Ist es durch die Gewalt bei den G-20-Protesten schwerer geworden, für eine gerechtere Welt einzutreten?
Ja, definitiv. Die linke Szene funktioniert toll. Es passieren so viele tolle alternative Sachen wie das „No Border Camp", ein Protest-Camp gegen Ländergrenzen. Aber Nachrichten sind meist negative Nachrichten. Der normale Bürger sieht die Krawallbilder aus der Schanze und denkt: „Oh mein Gott, die machen alles kaputt." Da waren einfach irgendwelche Vollidioten, die Scheißaktionen gebracht haben. Das will ja keiner ignorieren, aber man weiß bis heute nicht, was das genau für Leute waren.Kann Gewalt denn eine Lösung sein?
Der friedliche Protest ist der allerbeste. Klappt ja zum Glück auch oft.Was können Folgen von den gewalttätigen G-20-Protesten sein?
Wegen so was kriegen die AfD und so immer mehr Zuläufe. Und dann wird's gefährlich. Wie der Rechtsruck in Ungarn. Wir haben jetzt grade in Tschechien und der Slowakei gespielt, und da haben die Leute uns erzählt, dass es dort immer mehr Naziverbände gibt, die krass abgehen.Seit den Ausschreitungen wird diskutiert, ob Linksextremismus nicht auch unterschätzt wurde ...
Das Extremismus-Wort wird ja sehr gerne immer schnell benutzt, das passt einfach gerade perfekt in den Wahlkampf, und jetzt hat man noch die passenden Bilder dazu. Dabei wird das Wort nur genutzt, um zu diffamieren.Seid ihr euch innerhalb der Band politisch einig?
Nein, natürlich nicht. Dann wären wir Lemminge, die nur hinterherlaufen (lacht). Im Gegenteil, es gibt viele Diskussionen. Das ist ja auch sehr wichtig in einer Gruppe, sonst kommt man ja nicht voran. Dann rennt man ja nur einer Idee hinterher. Was rausgetragen wird an die Öffentlichkeit, ist immer unser gemeinsamer Konsens.Großbritannien tritt aus der EU aus, Trump will die Grenzen dicht machen, und hierzulande brennen Flüchtlingsheime - wir leben in politischen Krisenzeiten. Wie sollte man sich jetzt verhalten?
Aktiv sein. Ich glaube, es ist noch wichtiger geworden, dass jeder sich an der Nase packt und sagt: Ich muss jetzt hier auch was machen. Es gibt immer irgendwas. Guckt, was ihr machen könnt.Ihr seid gerade auf Abschiedstournee, am Wochenende spielt ihr auf eurem eigenen Festival „Révoltés" in Hannover. Warum hört ihr überhaupt auf?
Unser Baby, die Band, ist unsere längste Beziehung, die wir alle je hatten. Das muss man auch mal freilassen. Wir hören damit gemeinsam auf, wie wir gemeinsam angefangen haben. Das war uns wichtig. Es gibt so viele Bands, auch im Freundeskreis, die sich hassen.Wie geht es für dich weiter?
Ich mache ein Soloprojekt - nicht als Carlito, das gehört zu „Irie". Im zweiten Tourabschnitt werde ich auch schon mal einen Song vorstellen. Und wir haben auch Bock, das Festival eventuell weiterzumachen - auch ohne dass es die Band gibt.Aber jetzt grade braucht man doch noch mehr einen Gegenpol zum erstarkenden Rechtspopulismus. Wer trägt euer Erbe weiter?
Neonschwarz, Feine Sahne Fischfilet, Antilopen Gang oder Marteria - es gibt zum Glück wieder viele Bands, die was sagen, mehr als vor zehn Jahren.
Von Kira von der Brelie