Molenbeeks Ruf ist spätestens seit den Anschlägen von Paris ruiniert. Doch die Bürger des Brüsseler Stadtviertels wollen das Bild der Islamisten-Hochburg Europas nicht hinnehmen. Ein Ortsbesuch.
Brüssel - Auf dem Gemeenteplein, dem Gemeindeplatz, steht ein aus Kerzen geformtes „Molenbeek. Der Buchstabe „o" ist als Eiffelturm-Peace-Zeichen dargestellt. Immer wieder kommen Menschen hinzu und zünden Lichter an. Wenige Meter davon entfernt stehen weitere Kerzen, die als Postleitzahl des Problemviertels „1080" angeordnet sind.
Für einen Abend mitten in der Woche herrscht großer Andrang auf dem Platz vor dem Gemeentehuis, dem Rathaus. Mehr als 1.000 Bürger aus Molenbeek und den anderen 18 Gemeinden Brüssels sind gekommen. Sie wollen ein Zeichen setzen gegen die Negativschlagzeilen über ihr Viertel.
Die Bürger tragen selbstgebastelte Plakate und Fahnen in die Höhe, etwa mit der Aufschrift: „I Love Molenbeek". Sie rufen zum Frieden auf. Eine Schweigeminute für die Opfer der Anschläge von Paris wird von Gesängen der Demonstranten unterbrochen: „Wir sind nicht alle Terroristen", lautet ihre zentrale Botschaft.
Noch nie hat Thes Pascale so viele Menschen, vor allem aber Journalisten, hier gesehen. Seit zehn Jahren unterrichtet sie als Sportlehrerin an der Athenee Serge Creuz-Schule in Molenbeek. Gemeinsam mit ihren Schülern hat sie Plakate gemalt, auf denen viele bunte Puzzleteile zu sehen sind. Es ist eine Anspielung auf den hohen Ausländeranteil im Stadtviertel. Nach wie vor unterrichte sie gerne in Molenbeek - größere Probleme gab es noch nie, sagt sie.
Von den Medienberichten, die das Viertel im Nordwesten Brüssels als „Terror-Nest" darstellen, ist sie daher wenig begeistert. Damit steht sie nicht allein: Viele der Anwesenden diskutieren miteinander über die jüngsten Ereignisse. Sie sind daran interessiert, den Medienvertretern ihre Ansichten darzulegen.
Auch Constant Thiollier, 26 Jahre alt, aus dem südöstlichen Stadtteil Ixelles, und sein Freund Miguel Gonzalez (24) aus Schaerbeek im Nordosten von Brüssel haben sich auf den Weg gemacht, um ihre Solidarität zu bekunden. Auf ihren Plakaten sind der Stadtplan und der Name des Viertels zu sehen. „Molenbeek und Schaerbeek sind sich recht ähnlich", betont Gonzalez. Thiollier wird konkreter: „Ich habe mich in Molenbeek noch nie unsicher gefühlt."
Für ihn und viele seiner Freunde ist es ein offenes Geheimnis, dass Molenbeek als Drehscheibe für Dschihadisten gilt. „Dafür ist aber die Politik verantwortlich, die die zugezogenen Menschen vor 50, vielleicht 60 Jahren, nie integriert hat", sagt er. „Die Menschen haben hier ihre eigene Gemeinde aufgebaut - isoliert vom Brüsseler Stadtzentrum."
Was Frankreich im Kampf gegen den Terror plant
Schon seit längerer Zeit gilt Molenbeek als Problemviertel: Rund 30 Prozent der dortigen Bevölkerung sind arbeitslos, bis zu 40 Prozent sind muslimische Einwanderer. Bei Ermittlungen gegen die Attentäter von Paris führen viele der Spuren in das Brüsseler Viertel. Mindestens drei der Täter sollen aus Molenbeek stammen. Auch Ayoub El-Khazzani hat offenbar vor seinem geplanten Anschlag auf einen Thalys-Schnellzug im August einige Monate lang dort gelebt.
Nach dem Attentat auf die Redaktion der Satirezeitung „Charlie Hebdo" im Januar wurden zwei Terrorverdächte hier festgenommen. Kurz darauf wurden zwei mutmaßliche Islamisten im ostbelgischen Verviers erschossen - ebenfalls mit Kontakt nach Molenbeek.