Kerstin Zilm

Reporter, Independent Producer, Writer, , Los Angeles

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Los Angeles: Junges Gemüse in Hollywood

In Los Angeles sitzen Veganer und Fleischesser an einem Tisch: Viele Restaurants haben pflanzliche Alternativen auf der Speisekarte. Nicht nur wegen der Stars.

Das Mittagsgeschäft im sonnendurchfluteten Cafe Seed, einen Block entfernt vom Strand in Venice, brummt. Fast alle Tische aus recyceltem Holz sind besetzt. Neben einem Regal mit veganen Kochbüchern, Sojakerzen und Flugblättern für Yogakurse sitzen ein Bodybuilder und seine Freundin. Elva löffelt Möhrensuppe und stillt ihr Baby. Rob beißt in einen Southwest Burger, eine Bohnen-Getreide-Frikadelle in Salatblättern mit Guacamole, Sojakäse und Ancho-Chili-Paste. "Saftig, etwas scharf, super Konsistenz - genau das richtige nach dem Training. Macht satt und ist nicht voll mit giftigem Zeug", sagt Rob. Seit Elvas Schwangerschaft haben die beiden ihren Speiseplan auf vegan umgestellt. Sie können sich vorstellen, hier Stammgäste zu werden.

Themenwoche vegan

Über wenige Themen wird so erbittert gestritten wie über Essgewohnheiten. Vor allem, wenn bestimmte Lebensmittel zum Tabu werden, um die Umwelt oder das Leben von Tieren zu schützen. Menschen, die vegan leben, gehen sogar noch einen Schritt weiter: Sie verzichten nicht nur auf Fisch, Fleisch, Milchprodukte und Eier, sondern wollen auch Möbel, Kleidung und Kosmetik nur frei von Tierprodukten kaufen.

Aus welchen Gründen entscheiden sich immer mehr Menschen für ein veganes Leben? Wird die Gesundheit dadurch gefördert - oder gefährdet? Wer verdient am wachsenden Absatz von Kochbüchern, Lebensmitteln und Lifestyle-Produkten? In der Themenwoche Veganismus - Ethik, Dogma oder Lifestyle? widmen wir uns diesen Fragen.

Die Beiträge

Editorial: Veganismus - Ethik, Dogma oder Lifestyle? Veganer Wohnungscheck: Die Kuh muss weg Infografik: Frutarier, Flexitarier, Vegetarier, Veganer - wer isst was? Ist Veganismus wider die Natur? Die wichtigsten Antworten zu verbreiteten Vorurteilen Leserartikel: Vegan leben - ja, moralische Überlegenheit - nein

Infografik: So viele Fleisch- und Milchprodukte konsumieren wir Kochen mit Freunden: Plötzlich sind alle Veganer Die Supermarktkette Veganz: Das Geschäft mit Soja und Tofu Tofuschnitzel bei Edeka: Wie die großen Supermarktketten ihr Sortiment umstellen Leserresonanz: Ungewöhnlich viele User berichten über ihre Erfahrungen zum Thema Danke, wir verzichten: Drei Porträts von Menschen, die sich für veganes Leben entschieden haben Unternehmen: Vegane Suppen und Biofleisch - geht das zusammen? Gesundheit: Gefährdet eine vegane Ernährung die Entwicklung von Kindern? Deutschlandkarte: Wo gibt es die meisten veganen Restaurants? Soja gegen Fleischhunger: Die Metzgerstochter Nicole Just gibt vegane Kochkurse Macht Veganismus einsam? Unsere Leser berichten über die sozialen Aspekte eines veganen Lebens Die Verführer: Wir stellen die sechs interessantesten veganen Köche und Blogger vor Junges Gemüse in Hollywood: In L.A. Veganer und Fleischesser an einem Tisch Die Lobbyisten: Wie vegane Themen ihre Öffentlichkeit erreichen

Ihre Meinung

Leben Sie vegan oder haben es eine Zeit lang getan? Erzählen Sie uns von Ihren Erfahrungen. Besonders interessieren uns folgende Punkte:

Warum haben Sie sich für eine vegane Lebensführung entschieden? Wie hat dies Ihr Leben verändert?

Wie reagiert Ihr Umfeld auf Ihre Entscheidung, vegan zu leben? Ist die soziale Akzeptanz in städtischen Umfeldern größer als in ländlichen?

Wie leicht oder schwer fällt es Ihnen, vegan zu leben? Wie ist die vegane Infrastruktur (Supermärkte, Restaurants) in Ihrer Nähe?

Bitte senden Sie uns Ihre Beiträge über das Leserartikel-Formular. Ausgewählte Beiträge werden wir im Rahmen der Themenwoche veröffentlichen. Bitte achten Sie darauf, dass Ihr Beitrag keinen Kommentarcharakter hat, sondern eine subjektive Schilderung Ihrer eigenen Lebenswelt darstellt.

In unseren Leserartikel-FAQ finden Sie alle wichtigen Hinweise, wie Sie beim Verfassen Ihres eigenen Artikels für ZEIT ONLINE vorgehen sollten.

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"Wir sind im Herz von Venice Beach, haben Gäste aus aller Welt und viele Kunden, die in der Nähe wohnen", sagt der Chefkoch und Seed-Mitbegründer Eric Lechasseur. "Zu uns kommen Veganer, Vegetarier und interessanterweise auch Fleischesser."

Lechasseur arbeitet seit fast dreißig Jahren als Koch. Weil bei seiner Frau Krebs diagnostiziert wurde und er an schweren Allergien litt, stellte das Paar 1993 seine Ernährung auf vegane und makrobiotische Kost um. Beide sind überzeugt, dass ihnen dies die Gesundheit zurückgegeben hat: "Als wir uns geheilt hatten, beschloss ich, auch beruflich so zu kochen."

Gesundheitsbewusste Prominente wie Madonna und Leonardo DiCaprio lassen sich von Lechasseur private Mahlzeiten zubereiten. "Ich kann nicht kochen, aber ich kann essen. Erics Rezepte sind wunderbar", sagt Madonna. "Alles schmeckt so gut. Kaum zu glauben, dass es außerdem super gesund ist." Der Koch gibt zu, am Anfang sei es schwierig gewesen, die eigenen Geschmacksnerven und die der Kunden auf Pflanzen umzustellen. Er begann mit einfachen Rezepten, experimentierte mit Zutaten und Gewürzen und entdeckte geschmackvolle Kombinationen. Das tut er bis heute. "Man muss mit Liebe dabei sein, und es kostet mehr als die üblichen Zutaten. Aber es ist die Mühe wert."

Spiritualität in der Küche

Hollywoods Liebe zum Essen ohne Tierprodukte begann in den späten sechziger Jahren mit einem Restaurant am Sunset Boulevard: The Source. Gegründet von einem ehemaligen Marinesoldaten glich es einer Kommune. Jim Baker war beeinflusst von indischer Spiritualität und gab sich den Namen Father Yod. Alle Mitarbeiter im Restaurant bekamen den gleichen Lohn sowie kostenlosen Meditations- und Yogaunterricht. Auf der Speisekarte standen Bio-Salate, Suppen und frische Säfte, Obst und Gemüse mit Seealgen und Sprossen.

Marlon Brando und John Lennon gehörten zu den Stammgästen, angezogen von gesundem Essen und Hippie-Atmosphäre. Woody Allen bestellte in Annie Hall Alfalfasprossen mit Hefepürree auf der Restaurantterrasse. The Source zog Mitte der siebziger Jahre nach Hawaii. Los Angeles behielt seine Liebe für Spiritualität und bewusste Ernährung.

Der Markt für auf Veganer und Vegetarier spezialisierte Restaurantketten wächst seitdem beständig. Besonders die Filmbranche beeinflusst diese Entwicklung. Schauspieler ernähren sich aus Sorge um ihre Haut, ihre Figur und ihr Image pflanzlich. Agenten und Studiobosse handeln ihre Verträge mit ihren veganen Klienten beim Lunch aus.

Selbst ein Wurstrestaurant braucht in Los Angeles vegane Küche

"Als ich mein Restaurant aufgemacht habe, habe ich geschworen: Eine vegane Wurst kommt mir nicht ins Haus." Kai Loebach lacht heute über sein früheres Geschäftsmodell. Vor zwei Jahren eröffnete der Wuppertaler das Restaurant Currywurst in Hollywood, um die von ihm geliebte deutsche Spezialität nach Kaliforniern zu bringen. Davor war er mehr als fünfundzwanzig Jahre im Catering tätig. Er bekochte die Rolling Stones und lieferte Delikatessen zu Partys von Roland Emmerich. Gerichte und Häppchen ohne Tierprodukte hatte er lange im Angebot gehabt. "Aber ich war sicher", sagt er, "dass niemand in ein Wurstrestaurant kommt, wenn er kein Fleisch mag." Ein Irrtum. Weil er keine vegane Wurst anbot, wurde Loebach in sozialen Medien getadelt. Kunden verließen nach einem Blick auf die Speisekarte das Lokal.

Jetzt bietet er für Veganer zwei Varianten an: Apfel-Salbei und mexikanisch gewürzt. "Die werden in einer separaten Pfanne gebraten, damit auch garantiert nicht die Spur einer Tierzelle dran ist." Dustin Hoffman ist ein Fan. Der Oscargewinner bestellte vor einem Termin im gegenüberliegenden CBS-Studio fleischfreie Würste, und Loebach brät sich inzwischen auch mal eine vegane Currywurst.

Herausforderungen in der veganen Wüste

Das Gegenteil erlebt die Köchin Miss B. in ihrem Restaurant StuffIEat in Inglewood. "Viele Kunden drehen um, wenn sie auf der Speisekarte kein Fleisch, kein Huhn und keinen Fisch finden." Inglewood gehört zu den wenigen Enklaven von Los Angeles ohne vegane Restaurantkultur. Wer hier Hunger hat, steht vor der Wahl zwischen Fast Food und Mini-Supermärkten ohne frisches Obst und Gemüse. Diabetes und Übergewicht sind im Viertel große Probleme. Miss B. ist entschlossen, dies zu ändern. Vor mehr als zwanzig Jahren stellte sie ihre Ernährung auf vegan um. Mit 62 sieht sie aus, als wäre sie seither keinen Tag gealtert.

Sie und ihr Mann brachten sich das Kochen veganer Rezepte selbst bei. "Wenn es mir schmeckt, kommt es auf die Karte. Wenn nicht, dann nicht. Die Leute wollen Soulfood, etwas für die Seele. Ich zeige ihnen, dass das gesund sein kann." Ihr Soulfood-Teller besteht aus Süßkartoffeln, Grünkohl, Bohnen, Maisbrot, veganen Käsenudeln und Tofu-Barbecue. "Nichts wird frittiert, in mein Essen kommt kein Mist wie Schweinebacken oder Speckstreifen." Miss B.s Portionen sind riesig, kosten zwischen 10 und 25 Dollar. Der Fast-Food-Konkurrent an der Ecke bietet eine Burger-Fritten-Cola-Kombo für 5 Dollar.

An diesem Mittwochmittag hat StuffIEat drei Gäste. Brian kommt zweimal pro Woche. Er hat Diabetes. Die vom Doktor verordnete Diät macht seine Familie nicht mit. Er fährt mehrere Kilometer für sein Lieblingsessen: Weizentortillas mit Bohnen, Salat und Mangosauce. Einen Tisch weiter probiert Gloria das neueste Gericht auf der Speisekarte: Tacosalat mit Gemüse und einer mexikanisch gewürzten Nussmischung. Auch sie ist Stammgast. "Ich gehe früh aus dem Haus, habe keine Zeit zu kochen. Es gibt kaum einen anderen Ort, wo ich gesund essen kann", sagt sie. Sie isst seit über zwanzig Jahren keine Tierprodukte mehr. "An Thanksgiving bringe ich Grünkohl, Süßkartoffeln und Salate zum Familienfest mit. Keiner kann genug davon bekommen. Ich locke sie weg von Truthahn und Schinken."

Star-Koch Lechasseur sieht die vegane Welle als gutes Zeichen. Sorgen bereitet ihm, dass gleichzeitig mehr und mehr Menschen Fast-Food essen und immer weniger selbst kochen. "Ich werde weiter die Menschen über die Vorzüge des veganen Lebens informieren."

Er und seine Frau arbeiten an einer sanften Ernährungsrevolution. Als Kommandozentrale könnten sie keinen besseren Ort gefunden haben als die Stadt, in der eine Frühstückskarte ohne Grünkohl-Gurken-Ingwer-Saft inzwischen so schwer zu finden ist wie ein Aschenbecher.

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