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Chaos Communication Congress Hacker aller Länder, vereinigt euch!

Die Überraschung des Abends war am gestrigen Sonntag die Anwesenheit der Wikileaks-Journalistin Sarah Harrison. Der Raum war voll bis auf den letzten Platz, mehr als 3100 Menschen waren gekommen, um einem Gespräch zwischen Jacob Appelbaum und Julian Assange über die Zukunft des Internets zu lauschen. Und dann lehnt Appelbaum, der an einem Tisch links auf der Bühne sitzt, sich lässig zurück. Am Rednerpult steht eine junge Frau. „Manche von euch könnten sie kennen - sie rettete Edward Snowdens Leben", erklärt Appelbaum lapidar. Für die dann folgende Minute begrüßen tosender Applaus und Standing Ovations Sarah Harrison. Wer hätte das gedacht? Die Hacker sind entzückt.

Harrison lebt derzeit in Deutschland, da sie nicht in ihre Heimat Großbritannien zurückkehren kann: Dort laufen Ermittlungen gegen sie, wie sie in den ersten Minuten ihrer Rede berichtet. Die Regierung des Vereinigten Königreichs habe beschlossen, die Offenlegung geheimer Dokumente als Terrorismus einzustufen - und sie somit als Terroristin zu verfolgen. Doch sie sei nicht die einzige, der man mit der politischen Nutzung von juristischer Macht auf den Fersen sei, erklärt sie überleitend auf den Dritten im Bunde, den man via Videoschaltung dazu holen wird: Julian Assange selbst, den Gründer von Wikileaks.

Doch bevor dieser auf einer großen Leinwand erscheinen wird, rollt Harrison, die ihre Rede fast ein wenig zu schnell abliest, den Fall noch weiter auf. Wie das FBI versucht habe in anderen Ländern zu ermitteln und zum Beispiel in Island gescheitert sei. Wie man aktiv den Geldhahn zugedreht habe, indem VISA, Master Card und Paypal, sowie andere amerikanische Finanzriesen die Zahlung verweigert oder die Konten gesperrt hätten - wir erinnern uns. Der Name Chelsea Manning fällt. Dann folgt eine atemlose Aufzählung aller Offenlegungen, die Wikileaks in den vergangenen Jahren erreicht habe - fast so, als müsste man in einem Jahr, in dem alle nur von Edward Snowden sprechen, betonen, wie tätig man selbst schließlich auch sei.

Die im Internet leben

In der Zukunft solle es nun vor allem darum gehen, die Quellen zu schützen. „So wie wir Snowden Asyl besorgt haben, setzten wir auch Mr. Snowdens Verteidigungs-Fonds auf", erklärt Harrison. Und dazu - in die Zukunft blickend - den Fonds zum Schutz und zur Verteidigung journalistischer Quellen. Die Zukunft nach Snowden soll das zentrale Thema zwischen Appelbaum, Harrison und Assange sein. Und nun ist er auch endlich zu sehen und auch er, den viele so gespalten betrachten, wird mit viel Applaus begrüßt: Assange. Die erste Frage Harrisons an ihn lautet: „Was ist dein Gefühl: Gewinnen oder verlieren wir diesen Kampf für freies Wissen?"

Interessant die Antwort: Wie bemerkenswert es doch sei, dass der Chaos Communications Club (CCC) im vergangenen Jahr um 30 Prozent gewachsen sei. Es mag zunächst erstaunen, dass Assange gefragt nach der Lage im Kampf für Informationsfreiheit mit der Lage des CCC antwortet. Doch der Kreis wird sich bald schließen. Auch wenn Assange nur noch wenige Worten sagen kann, dann bricht die Verbindung zu ihm ab: Der CCC sei eine wichtige Institution.

Applebaum führt diesen Gedanken fort und erklärt: Der CCC sei ein Netzwerk, das aus Hackern, Administratoren verschiedener Systeme („Sysadmins"), Entwicklern und Leuten bestehe, die technisch gebildet seien. Eines, dass keineswegs eine neutrale Stellung habe, nicht nur aus Zuschauern bestünde, sondern aus jenen Menschen bestehe, die das Internet gebaut hätten und die es am Laufen hielten. Die dort lebten, die Code schrieben und die Netzwerke verwalteten.

Wir sind eine Klasse - wie einst die Industriearbeiter

Viele Leute im Saal arbeiten für Organisationen und sind an der Quelle von Informationen. Dieser Zugang zu Informationen sei der Schlüssel: Interne Dokumente zeigten die wahren Ziele und die Art zu denken einer Organisation auf, die sich oft hinter offizieller Pressearbeit verstecke. Die Beschwörung nimmt nun ihren Lauf: Alle Leute mit Informationen müssten geschützt werden. Dass Edward Snowden immer noch lebe sei enorm wichtig. „Es gibt ein Problem mit diesem Gespräch" lautet die Anzeige auf dem großen Bildschirm immer noch, während Appelbaum unbeirrt beschwört.

Doch dann ist Assange plötzlich wieder da. „Wir sind eine Klasse" erklärt er. Eine Klasse, ähnlich wie es die Industriearbeiter einst gewesen seien - und wie sie bestünde auch für Hacker und Sysadmins die Notwendigkeit, sich zusammenzuschließen. „Wir müssen diese Botschaft überall verbreiten: Geht in die CIA", ruft er auf. Eine unter Linken altbekannte Methode, die umgangssprachlich mit dem Bonmot „rein ins System und von Innen aufmischen" bedacht wurde. Assange sieht das so: „Wir werden alle Teil des Staates, ob wir das gut finden, oder nicht. Deswegen müssen wir Einfluss darauf nehmen, was für ein Staat das werden wird." Da ist sie wieder: Die Zukunft und die Verantwortung der Hacker, sie zu gestalten.

„Geht in die CIA"

Der 30. Chaos Communication Congress in Hamburg blickte vom ersten Moment an in die Zukunft. Im Opening Event am Freitag klang es vielleicht etwas pathetisch, als Tim Pritlove „We are all interested in the future - for that is, where you and I are going to spend the rest of our life." Hier geht es spürbar genau darum: Um die gemeinsame Ausrichtung auf die Zeit, die ihnen blüht. Und auf die gemeinsame Verantwortung als jene, die als Hacker und Sysadmins die Strukturen mitgestalten. Als jene, von denen jeder Einzelne ein potentieller Whistleblower ist. Und wenn nicht das, so doch wenigstens in der Lage, diese zu schützen.

Auch Annie Machon war eine Whistleblowerin und hielt am Sonntag eine mitreißende Rede vor den Hackern. Sie selbst nennt die eigene Geschichte zwar „Ancient History" - doch wenn sie erzählt, wie sie und ihr Partner David Shayler verfolgt wurden, wie sie und ihre Familien leiden mussten, ins Gefängnis kamen und unter Arrest gestellt wurden, rücken Gegenwart und Vergangenheit zusammen. Machon hatte diese Erfahrungen gesammelt, nachdem sie Ende der neunziger Jahre zur Whistleblowerin geworden waren, die Geheimnisse aus den britischen Geheimdiensten MI5 und MI6 ausgeplaudert hatte.

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Machon gehört außerdem zu einer bekannteren Gruppe, die eine Verschwörung hinter den Ereignissen am 11. September 2001 wittert. Für viele Menschen ist sie keine glaubwürdige Quelle. Auf dem Kongress des Chaos Computer Clubs jedoch ist ihr der Applaus garantiert. Denn hier wird zwischen den Jahren die Hacker-Gemeinde auf eine bedeutsame Rolle für die gemeinsame Zukunft eingeschworen. Die Zukunft nach Snowden. Und Machon hat mit Courage einen weiteren Fonds geschaffen, der ähnlich wie die von Wikileaks gegründeten Fonds in dieser Zukunft aktiv mitmischen will, indem sie Quellen wie Snowden, Manning und die zahlreichen anderen schützt und sie finanziell in Verfahren unterstützt.

Ein weiteres Zeichen für die Ausrichtung auf die Bewältigung der Zukunft nach Snowden sind die zahlreichen Talks zum Thema Kryptographie. Zentral sind aber die Veranstaltungen rund um das Thema Whistleblowing - angefangen bei der Keynote des Guardian-Mitarbeiters Greenwald, über Annie Machon bis hin zu Assange, Harrison und Appelbaum. Sie alle beschwören drei fundamentale Rechte: Das Recht auf eine unabhängige und kritische Medienberichterstattung, die auf freiem Wissen und freien Informationen beruhen; das Recht auf Privatsphäre - auch für Whistleblower und ihre Familien. Und natürlich das Recht auf echte Verfahren, faire Verfahren und rechtsstaatliche Behandlung.

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