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Knackig bis zum Ende: Was bringt Anti-Aging?

Seit jeher wollen Menschen das Altern aufhalten. Manche Versuche schaden dem Körper aber mehr, als dass sie nützen

Kaum ein Wunsch ist so alt wie der, nicht zu altern: Schon der griechische Arzt und Gelehrte Hippokrates erfand die erste Diät, um jung zu bleiben: einen Lebensstil aus gesunder Ernährung, Gymnastik und Sport. Und die Römer erkoren – weniger asketisch – den Wein als Saft der ewigen ­Jugend.­ Er­ sollte ­den ­Stoffwechsel ­und­ die Verdauung anregen. In antiken oder mittelalterlichen Erzählungen wurde der Wunsch, nicht mehr zu altern, ambivalent beschrieben, sagt Dr. Mark Schweda, der am Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Universitätsmedizin Göttingen, forscht: „Es galt als anmaßend und frevelhaft, sich gegen den menschlichen Alterungsprozess zu wenden und sich mit dem Wunsch nach Unsterblichkeit gottgleich machen zu wollen.“ Und der Greis musste den Schluck aus dem Jungbrunnen meist büßen.
Das Geschäft mit der Jugend Inzwischen haben die meisten mit dem Streben nach Jugendlichkeit längst  keine moralischen Probleme mehr. In den 1990er-Jahren erlebte der Anti- Aging-Trend einen wahren Boom, der bis heute anhält und sich durch alle sozialen Schichten zieht. 1993 gründeten zwölf Ärzte die American Academy of Anti- Aging-Medicine. Mittlerweile zählt sie mehr als 26 000 Mitglieder in über 110 Ländern: „Heute ist es angesagt, Hormonpräparate und Nahrungsergänzungsmittel­zu­schlucken,­um­fitzu bleiben, oder sich unters Messer zu legen, um knackig und faltenfrei zu sein“, sagt Philosoph und Ethiker Schweda. Und wenn der Wunsch nach ewiger Jugend zu seinen Anfängen noch ein Selbstzweck war, ist er inzwischen für viele ein lukratives Geschäftsmodell: „Die Unternehmen haben schnell erkannt, dass sich­mit­dem­Begriff­Anti-­Agingenorm viel Geld verdienen lässt“,  so Schweda. Heute sind Shampoos, Cremes und sogar Hundefutter auf dem Markt, die das Nicht-Altern versprechen. Und ständig werden neue Verfahren ­und ­Produkte ­entwickelt. „Die Erhaltung der Gesundheit und Fitness durch Ernährung und bewusste Lebensführung ist ein traditionelles Ziel der Medizin“, sagt Schweda. „Den Alterungsprozess aber­ mit Hormon-­ und­ Vitaminpräparaten zu bekämpfen, ist wissenschaftlich umstritten, da die Auswirkungen auf den Körper oft nicht geklärt oder sogar erwiesendermaßen schädlich sind.“

Hormone und Vitamine 

Schon im Jahr 1956 hatte der US- amerikanische Biogerontologe Denham Harman die These aufgestellt, dass sogenannte freie Radikale die Ursache für den Alterungsprozess seien. Sogar Krankheiten wie Alzheimer, Krebs oder Diabetes sollten die Molekülfragmente auslösen. Bald präsentierte die Anti Aging-Medizin­ eine ­Lösung:­Vitaminpräparate ­mit ­Provitamin ­A, ­Vitamin C­ und ­E­ sollten ­die ­freien Sauerstoffradikale einfangen und unschädlich machen. „Sogenannte Antioxidantien zählen daher bis heute zu den beliebtesten Anti- Aging-Mitteln“, sagt Schweda. „Heute werden alle möglichen Präparate im Internet bestellt und oft recht sorglos im Selbstversuch gespritzt oder geschluckt.“ Die Körperzellen sollen angeblich­ vor ­dem Verschleiß ­bewahrt werden. Doch zahlreiche Studien belegen­ das ­Gegenteil: ­Bei vielen ­Stoffwechselreaktionen entstehen freie Radikale, die Zellen schädigen. In einer Analyse von 67 Studien kam die Cochrane Collaboration zu dem Schluss, dass die übermäßige ­Einnahme­ von­ Vitamin­ A ­und­ E sogar das Sterberisiko erhöhen kann. Eine ähnlich negative Karriere machten Hormone­ als ­Wunderwaffe ­im ­Kampf gegen das Altern. Im Laufe des Lebens sinkt der Spiegel mancher Hormone im Körper. „Einige Anti-Aging -Ärzte schlossen daraus, dass man bei älteren Menschen den Alterungsprozess aufhalten kann, wenn man ihnen Hormone verabreicht“, sagt Professor Dietrich Klingmüller, Endokrinologe am Universitätsklinikum­ Bonn.­ DHEA,­ein ­Vorläufer der männlichen und weiblichen Geschlechtshormone,­fördert ­offenbar die Zellerneuerung und soll Heilungsprozesse im Körper in Gang setzen, die Muskeln stärken und die Haut elastisch halten. Die amerikanische Mayo-Klinik warnt, es könne auch Leberschäden hervorrufen, das Herzinfarktrisiko erhöhen und Krebs begünstigen. Klingmüller sieht den Einsatz von Hormonen zu Anti-Aging-Zwecken generell skeptisch „Liegt der Hormonspiegel unter der Norm und ist die Ursache des Mangels geklärt, kann eine Gabe gerechtfertigt sein“, so der Experte. „Dann hat sie einen positiven­Effekt,­verlängert­abernicht das Leben.“

Pillen statt Schönheitsschlaf  

Melatonin gehört ebenfalls zu den umstrittenen Anti-Aging-Mitteln. Das Hormon bestimmt den Wach-Schlaf-Rhythmus, verbessert die Schlafqualität. Zudem sieht, wer ausreichend und erholsam schläft, jünger, frischer und gesünder aus. Dass junge Menschen besonders viel Melatonin produzieren, brachte ihm den Ruf als „Jugendhormon“ ein. Wissenschaftlich belegt ist sein Anti-Aging-Effekt ­nicht. Forscher kritisieren sogar, die Wirkung auf den Körper sei nicht abzuschätzen, da ­der ­Botenstoff­ auf ­zahlreiche Organe und den Hormonhaushalt Einfluss­ hat. ­Trotzdem­ bewirbt ­die Anti- Aging-Industrie sogar Pillen und Pulver, die eigentlich für Menschen mit Schlafproblemen gedacht sind, als Schönheitskur. Auch für Wachstumshormone  ist die Datenlage dünn. Angeblich ­sollen ­die ­Botenstoffe­ helfen,­ den Fettabbau anzukurbeln, Muskeln aufzubauen, die Haut zu erneuern und die Zuckerverwertung zu verbessern – jedoch weiß niemand, wie hohe Dosierungen im Alter über einen längeren Zeitraum wirken. Und längst wird an neuen „Wunderwaffen“­ geforscht:­ Mitochondrien. Die Kraftwerke der menschlichen Zellen, werden mit dem Alter schwächer. Amerikanischen Forschern ist nun im Laborversuch gelungen, den Alterungsprozess zu stoppen, indem sie zunächst inaktive Mitochondrien wieder aktivierten. Haarausfall und Falten konnten sie so rückgängig machen, berichten die Wissenschaftler im Fachjournal Cell Death & Disease. Ob und wie man allerdings bei Menschen die Kraftpakete wieder ankurbeln könnte, ist noch unklar. 

Dünner älter werden 

Es gibt noch einen weiteren Ansatz, wie man die Jugend möglicherweise hinauszögern könnte. Die Idee ist nicht neu: „Iss wenig, iss richtig“, lautete schon eine diätetische Grundregel, die die  alten Chinesen im Taoismus  festhielten. Sie versuchten, ihre Nahrungsaufnahme auf ein Minimum zu reduzieren, meist auf nur eine Mahlzeit am Tag. Heute spricht man vom Intervallfasten oder intermittierenden Fasten, wenn man zeitweise aufs Essen verzichtet und beispielsweise 14 bis 16 Stunden außer Wasser und Tee nichts zu sich nimmt. Der Körper soll so die Möglichkeit haben, sich auf etwas anderes zu konzentrieren ­als ­auf ­die ­Verdauung,­ auf Selbstheilungs-­ oder­Verjüngungsprozesse zum Beispiel. Altersbedingte Krankheiten sollen so hinausgezögert werden. „Es gibt interessante Laborversuche, mit denen gezeigt wurde,  dass eine verminderte Kalorienzufuhr das Leben verlängern kann“, sagt der Bonner Universitätsmediziner Klingmüller. „Für Untersuchungen am Menschen ist es allerdings noch zu früh.“ Ob die Methode wirklich etwas bringt oder so wirkungslos ist wie die zusätzliche Einnahme von Hormonen und Vitaminen,­wird­ sich ­zeigen. ­Fest­steht: Für die Anti-Aging-Industrie wird sie kein Erfolg werden.