Der Dartpfeil trifft diesmal unweit des Bahnhofs Frankfurt-Louisa. Zwischen Villen, Heimatsiedlung, Tankstelle und Getränkemarkt findet man hier auch schöne Natur.
Der Dartpfeil bleibt unweit der S-Bahn-Haltestelle Frankfurt-Louisa stecken. „Louisa? Ist das noch Sachsenhausen?", frage ich mich. Ein Blick auf die Karte zeigt: streng genommen ja. Aber nicht das hippe Sachsenhausen mit seinen Bars oder den belebten Apfelweinkneipen auf der Schweizer Straße. Eher so das Stadtrand-Sachsenhausen, das im Süden an den Stadtwald grenzt, hinter dem auch schon der Kreis Offenbach anfängt.
Jetzt weiß ich auch, woher mir die Haltestelle bekannt vorkommt. Wer, so wie ich früher, von Süden kommend nach Frankfurt mit der S-Bahn pendelt, fährt zwangsläufig an ihr vorbei. So kommt es, dass ich mich fast wie auf dem Weg nach Hause fühle, als ich in der Bahn sitze, um mir diesen Ort einmal genauer anzuschauen.
Was mir beim Aussteigen als Erstes auffällt: die Ruhe. Abgesehen von den S-Bahn-Zügen natürlich. Direkt neben den Bahngleisen beginnt der Park Louisa, das heißt rund 20 Hektar Wald. Ob ich hier überhaupt jemanden antreffe?
Zuerst mache ich mich auf zum Spielpark Louisa, einem größeren Spielplatz am Rande des Parks. Ich bin sicher, als Kind einmal hier gewesen zu sein. Vielleicht mit dem Kindergarten oder dem Ferienlager? In meiner Erinnerung kommen auf jeden Fall viele andere Kinder vor, und Wasserspiele. Heute ist der Spielplatz verlassen, das flache Wasserbecken ist leer. Ein einsames Eichhörnchen hüpft über den Weg.
Die einzige Person weit und breit ist eine Frau auf der Schaukel. Sie trägt einen blauen knöchellangen Rock und stößt sich immer wieder mit den Beinen ab. Ihre Kinder sind gerade in der Tagesstätte, erzählt die 39-Jährige. Da sei sie hier hergekommen, um ein bisschen zu schaukeln und ihren Gedanken freien Lauf zu lassen, wie sie sagt.
Denn nachdenken, das gehe bei der freien Bewegung während des Schaukelns besonders gut. „Gerade überlege ich, ob ich in drei Monaten wieder in meinen alten Beruf einsteigen soll." Vor dem Mutterschutzurlaub habe sie im Export von Kosmetika gearbeitet. Doch jetzt könne sie sich auch etwas anderes vorstellen. „Vielleicht etwas mit Yoga", sagt sie. Richtig realistisch sei das zwar nicht, „aber es ist schön zu träumen". Der entlegene Spielplatz gefällt ihr nicht nur wegen der Schaukel besonders gut: „Hier ist es perfekt, direkt am Wald."
Lange alleine bleibt sie allerdings nicht, tatsächlich haben noch mehr Menschen die Natur in der Gegend für sich entdeckt. An der ein wenig entfernten Straßenbahnhaltestelle steigt eine aufgeregt plappernde Kindergartengruppe mit Erzieherinnen aus der Straßenbahn. Eine der Erzieherinnen erzählt mir, dass im Kinderzentrum Seilerstraße gerade Waldwochen sind. „Wir kommen aus der Innenstadt, da muss man mit den Kindern etwas machen, damit sie Naturerfahrungen machen", sagt sie. Mein alter Kindergarten ist also nicht der einzige, der die Gegend gerne als Ausflugsziel nutzt.
Zufälliges ZielGanz unvorbereitet gehen FR-Reporter für diese Serie auf Tour. Ihr Ziel ist jeweils ein Ort, der zufällig bestimmt wird, durch einen ungezielten Pfeilwurf auf den Frankfurter Stadtplan.
Wo der Pfeil steckenbleibt, sind Fotograf und Schreiber am selben Tag unterwegs, sehen sich genau um und fragen die Leute, die sie treffen: Was machen Sie denn da?
Die Zufallstreffer, die daraus entstehen, sind Geschichten, die sonst vielleicht nie erzählt worden wären.
Ein paar Gehminuten weiter ist es dann aber vorbei mit der Idylle. Direkt unter der S-Bahn-Brücke an der Mörfelder Landstraße arbeitet Hans-Peter Pawasarat an der Tankstelle. „Ich war hier 14 Jahre lang Tankwart", erzählt der 69-Jährige. Eigentlich sei er vor drei Jahren in Rente gegangen. Aber weil das Geld nicht reiche, erledige er ab und zu ein paar Arbeiten an der Tankstelle, die eben so anfallen. „Mir macht das Spaß, man hat viel Kontakt zu den Menschen", sagt er.
Ich fahre kein Auto, die Tankstellen, die ich kenne, haben Selbstbedienung. Ich muss also nachfragen: „Was macht denn ein Tankwart genau?" Pawasarat antwortet: „Ich gucke zum Beispiel nach dem Öl oder der Luft im Reifen." Früher war das ein Ausbildungsberuf, lerne ich. Erst später hätten einzelne Tankstellen diesen Job wieder eingeführt. „Es hat eine Weile gedauert, bis die Leute sich wieder daran gewöhnt hatten." Pawasarat findet es schade, dass es den Beruf mittlerweile nur noch selten gibt.
Von der Tankstelle aus habe ich zwei Möglichkeiten. Links die Straße hinunter stehen zwei riesige alte Villen hinter schweren Eisentoren und hohen Mauern. Rechts befindet sich der Eingang zur Heimatsiedlung Sachsenhausen, die in den 1920er und 1930er Jahren erbaut wurde. Vierstöckige Wohnblöcke bilden eine Art Mauer, von der aus sich neun langgezogene Häuserblöcke Richtung Stresemannallee erstrecken. Auf der Homepage der Stadt Frankfurt heißt es, die Siedlung sei auch heute noch ein „Vorbild für modernes Bauen". Naja.
Ich entscheide mich für die Wohnsiedlung. Wirklich belebt ist es hier jedenfalls nicht. Zwischen den hohen Gebäuden sind nur wenige Menschen unterwegs und die, die ich treffe, haben nicht so richtig Lust auf Smalltalk.
Eine Anwohnerin, die nicht namentlich genannt werden möchte, erzählt: „Ich wohne seit 56 Jahren hier. Früher war es vorbildlich. Mittlerweile ist alles heruntergekommen." Vor allem die Fassade sei dringend renovierungsbedürftig. Auch ihr Treppenhaus sei in einem miserablen Zustand. „Das ist sehr bedrückend", berichtet die 82-jährige Rentnerin. Die Gegend an sich sei aber sehr schön.
Anwohner Nabil dagegen gefällt das Viertel gut: „Man ist sehr zentral und es ist sehr ruhig. Das glaubt man kaum, weil hier so viele Leute wohnen." Tatsächlich ist das Rauschen der Autos im Inneren der Siedlung kaum zu hören.
Auf dem Rückweg komme ich an einem Getränkemarkt in der Stresemannallee vorbei. Der Besitzer Robert Pung ist gerade dabei, einem Kunden die schweren Kisten in den Kofferraum zu heben. Dann nimmt er sich kurz Zeit und erzählt mir von seinem Geschäft, das er seit 2009 mit einem Freund betreibt. „Es ist wie mit einer Welle. Mal auf, mal ab, du musst schauen, dass du nicht untergehst." Obwohl sein Outfit dazu passen würde, Surfer ist Pung allerdings nicht.
Hier, an der großen Straße, ist es übrigens alles andere als ruhig. Aber immerhin: Der Stadtwald ist nah. (Von Kathrin Becker)