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Dünger aus dem WaldDie Briceños setzen stattdessen zum Beispiel auf eine wurmförmige Knolle, die in den traditionellen Eintöpfen in Boyacá nicht fehlen darf, die viele junge Kolumbianerïnnen aber nicht mehr kennen. Die anspruchslosen cubios ( knollige Kapuzinerkresse) wehren einen gefährlichen Schädling ab: einen Käfer mit dem wissenschaftlichen Namen Premnotrypes vorax aus der Gruppe der Anden-Kartoffelrüssler. Aus der Erde des angrenzenden Waldes holt Pedro Briceño Mikroorganismen, die seine ausgelaugten Felder nicht mehr besitzen.
Außerdem arbeiten sie mit Fruchtwechsel, damit der Boden sich regeneriert - mal Hafer, mal Erbsen und Bohnen. „Manche wechseln mit Weideland. Aber Rinder sind eine sehr hohe Belastung, sie verdichten den Boden sehr", sagt Tochter Judy Briceño. Früher wurde in Kolumbien im Wechsel zur Kartoffel Weizen angebaut. Das ist vorbei. Wegen der Freihandelsverträge wird der meiste Weizen mittlerweile importiert.
Vom Hobby zum LebensunterhaltFür Pedro Briceño war die Suche nach den besonderen Knollen erst einmal ein Hobby. Drei Jahre lang reiste er von Dorf zu Dorf und fragte die Bauernfamilien dort nach Pflanzkartoffeln und tauschte mit ihnen gegen seine eigenen. Erst in Boyacá, dann in Cundinamarca - und schließlich im restlichen Land, bis zu den indigenen Gemeinschaften in den südlichen Regionen Nariño und Cauca, die besonders viele alte Sorten anbauen.
Sie hören übersetzt auf klangvolle Namen wie Flaschenbohne, lila Lamm, Mohn, Zudringliche, schwarzer Zaunkönig, Eigelb, schwarzes Herz, Blut-Stier, schwarzer Totenkopf, Apfel und Wunderbare. „Hier auf dem Land haben die Menschen immer diese Kartoffeln gehabt, aber nur für den eigenen Verzehr", sagt Pedro Briceño. „Niemand hat sie verkauft. Wir waren die ersten."
Ein Teller voll Gift?Normal ist in Kolumbien, dass Kartoffeln 14 Mal gespritzt werden, bis sie auf dem Teller landen. Die Verbraucherïnnen haben keine Ahnung, was genau sie essen. Anders als bei verarbeiteten Lebensmitteln oder Waren für den Export gibt keine Einrichtung, die Gemüse und Obst auf Rückstände kontrolliert. Egal ob Schädlinge, Pilze oder Krankheiten - alles wird mit Chemie kontrolliert, teilweise mit Ackergiften, die in der EU längst verboten sind, die von europäischen Konzernen aber weiterhin für den Export in Entwicklungsländer hergestellt werden.
Für Teresa Mosquera von der Universidad Nacional in Bogotá ist das größte Problem der kolumbianischen Bauernfamilien die schlechte Qualität der Pflanzkartoffeln. „Hier werden nur zwischen drei und fünf Prozent zertifiziertes Saatgut verwendet", sagt Mosquera. „So können sich Krankheiten verbreiten." Hinzu kommt: „Meist sind die einzigen, die die Bauern schulen, die Agronomïnnen der Firmen, die ihnen die Ackergifte und Dünger verkaufen wollen." Sie sieht die Regierung in der Verantwortung.
Die Mainstream-Kartoffel heißt Diacol CapiroZertifiziertes Saatgut ist das Geschäft von Jairo Rodríguez.Seine Firma Produsemilla ist die größte Arbeitgeberin im Dorf. Sie produziert seit 2005 hauptsächlich Saatgut für den kolumbianischen Ableger des globalen Getränke- und Lebensmittelkonzerns PepsiCo. Die Pflanzkartoffeln werden an Vertragsbauern des Kartoffelchips-Herstellers im ganzen Land geliefert. Der wirbt damit, dass seine Chips aus kolumbianischen Kartoffeln sind. Produsemilla bringt das langfristige Verträge und stabile Preise, was Investitionen in neue Projekte und Maschinen erlaubt, erklärt Rodríguez. Davon können die meisten Kleinbauern in der Region nur träumen.
Für die Industrie sei die beste Sorte die Diacol Capiro (alias R12), sagt Rodríguez. Die kolumbianische Kreuzung wurde 1968 freigesetzt. Obwohl sie hoch anfällig für Kartoffelfäule ist, dominiert sie bis heute mit Abstand den einheimischen Markt und die Kochtöpfe. Das liegt vor allem daran, dass sie sich lange lagern lässt.
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Mit dem 20-Kilo-Koffer im Bus zu den SpitzenköchenDie Kartoffeln von Bauer Briceño schließen deshalb eine Marktlücke. Doch bis es dazu kam, war einiges an Überzeugungsarbeit notwendig. Tochter Judy Briceño, 32 Jahre, erinnert sich noch genau, wie ihr Vater mit einem 20-Kilo-Koffer voller Kartoffeln im Bus nach Bogotá fuhr und dort die Restaurants abklapperte. „Ich sagte: Papa, das geht doch mittlerweile in Echtzeit in den sozialen Medien." Sie baute daraufhin die Firmenprofile im Internet. Heute kann die Familie von den Knollen leben.
„Nach und nach hatten wir Freunde, die Köche sind, die bei uns Kartoffeln bestellten", sagt Pedro Briceño. „Ich bin den Spitzenköchen unglaublich dankbar. Sie haben als erste an uns geglaubt." Sie erzählten Kollegen davon. Es erschienen die ersten Berichte in Zeitungen und Fernsehen über den „Wächter der heimischen Kartoffel". Dann bestellten Hotels und ein paar Familien.
Heute hat Familie Briceño Pflanzkartoffeln für 40 Sorten in ihrer Sammlung. Etwa 20 baut sie auf ihren fünf Hektar Land an. Ein Großteil des Ackerlandes, das bis an den Waldrand reicht, ist gepachtet. In der Mitte steht Pedro Briceños bescheidenes Elternhaus, das heute als Lager dient.
Pedro Briceño wuchs mit sechs Geschwistern auf. Seine Eltern hatten kein Geld für weiterführende Bildung oder Ausbildung. Er hat sich seine Ausbildung auf der Landwirtschaftsschule mit Arbeit in der Hauptstadt finanziert - genau wie seine eigenen Kinder später ihr Studium.
Inzwischen wühlt Briceño nur noch selten in der Erde, doch die geübten Handgriffe jahrelanger Erfahrung beherrscht er immer noch, wenn er mit der Harke die Kartoffeln und die Knollen der Kapuzinerkresse fürs Mittagessen aus der Erde holt. Er ist der kreative Kopf des Familienbetriebs Tesoros nativos. Das bedeutet „Einheimische Schätze", angelehnt an den Namen für die alten Kartoffel-Landsorten, die papas nativas.
Warum es die kolumbianische Kartoffel schwer hatDer Kartoffelstandort Kolumbien hat es auf dem Weltmarkt schwer, erklärt Saatgutproduzent Jairo Rodríguez. „Länder wie Kanada haben viele Subventionen und Anreize. Für die anderen sind Freihandelsabkommen gut, weil sie mehr produzieren und ihre Produktion verkaufen. Bei uns gehen Arbeitsplätze verloren, weil wir nicht mehr selbst anbauen. Die Idee ist aber, dass ein Land autark ist und gute Produkte für den täglichen Bedarf produziert."
Doch nicht nur mangelnde staatliche Unterstützung macht den kolumbianischen Bauern zu schaffen: In Europa sind die Felder ebener und größer - und die dortigen Sorten werden nach vier Monaten geerntet, während die Kartoffeln in Kolumbien bis zu sechs Monaten brauchen. „Das sind zwei Monate mehr, in denen man spritzen und düngen muss, das ist also teurer", sagt Rodríguez. Zumal die Sommer in Boyacá wegen der Klimakrise immer länger und trockener werden, hat Rodríguez festgestellt. Umgekehrt bringt es nichts, Saatgut aus Europa oder den USA zu importieren: In dem Andenland wachsen nur die Kartoffeln der Unterart andígena, die an die tropische Hitze und an die immer gleich wenigen Sonnenstunden angepasst sind.
Das Glück der NischeDer Ertrag der kleinen papas nativas ist pro Pflanze zwar nur halb so hoch wie bei den üblichen großen Sorten. Dafür unterliegt der Nischenmarkt nicht den massiven Preisschwankungen der Standard-Kartoffeln. Bei unserem Besuch kostet das Kilo umgerechnet rund 34 Cent. Einige Monate vorher, als Corona- und Kartoffel-Krise zusammen fielen, lag der Verkaufswert fürs Kilo gerade einmal bei 4,5 Cent. Das hat einige Bauernfamilien an den Rand des Ruins gebracht. Manche mussten den Kartoffelanbau aufgeben.
„Die Leute wollen es günstig haben, die Qualität und der Geschmack zählen wenig, obwohl diese uns hier in den Tropen auszeichnen", sagt Saatgutproduzent Jairo Rodríguez, der privat eine gute Kartoffel einem Stück Fleisch vorzieht und seine liebsten Rezepte mit Inbrunst teilt. „In den USA müssen sie die Kartoffeln mit Aromastoffen mischen, damit sie nach etwas schmecken. Unsere hat einen sehr spezifischen Geschmack. Ich habe viele Kartoffeln aus anderen Teilen der Welt probiert. Sie sind gut, aber unsere sind etwas ganz Besonderes."
Chips und KartoffelbierDeshalb setzt das Familienunternehmen Briceño heute komplett auf die alten, bunten Landsorten. Sie beliefern damit Gourmetrestaurants und Hotels sowie einzelne Kunden mit frischen Kartoffeln und bieten sie auf Bauernmärkten in Bogotás. Außerdem entwickeln sie neue Produkte wie Kartoffelchips und zuletzt Bier, das in einer befreundeten Craftbier-Brauerei mit Stärke aus einer lilafarbenen Sorte gebraut wird.
„Man muss analytisch sein, ausdauernd, sich klar sein, was man will. Wir machen nicht heute dies und morgen das. Unser Geschäft sind die papas nativas, und fertig", sagt Pedro Briceño. Tochter Judy leitet mittlerweile das Unternehmen, ihr Vater ist Stellvertreter. Sohn Iván (23) kümmert sich als Anbau-Leiter um die Produktion der papas nativas, seine Schwester Carolina (27) ist für die Qualitätskontrolle zuständig und die weiterverarbeiteten Kartoffelprodukte. Mutter Maria (58) bekocht die Touristïnnen mit regionalen Kartoffel-Spezialitäten. Aktuell plant die Familie für Touristïnnen eine „Tour der alten Kartoffelsorten", die das Einkommen zusätzlich erhöhen soll.
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Haupt-Kundschaft sind AusländerïnnenWährend in Peru vor allem Einheimische auf die seltsam geformten, bunten Kartoffeln schwören, sind für die Briceños Ausländerïnnen die wichtigste Kundschaft, von denen viele in der Hauptstadt leben. „Sie sehen das, was wir haben, wie ein Wunder. Wir sehen es noch nicht", sagt Pedro Briceño. „Pommes bekommen sie auf der ganzen Welt, Kartoffelbrei auch, aber diese lila, roten und gelben Kartoffeln nicht."
Die Nachfrage ist so hoch, dass die Briceños mittlerweile ein Netz aus etwa 30 Bauernfamilien haben, die ihnen zuliefern und die sie bei der Umstellung unterstützt haben. „Wir nahmen von unseren Pflanzkartoffeln, gingen zu anderen Bauernfamilien und sagten ihnen: Da nehmt, produziert auf diese Weise. Da braucht ihr auch weniger Chemikalien", sagt Judy Briceño.
Ihre Ernte kauft ihnen die Familie zum Festpreis von zwischen 25 Cent und 29,6 Cent pro Kilo ab. „Bei uns gibt es keine Verluste, die Produktionskosten sind immer gedeckt", sagt Judy Briceño. „Sie verdienen nicht viel, aber sie verdienen das ganze Jahr." Die Familie übernimmt das Waschen, Sortieren, Verpacken, Vermarkten, Transport, Rechnungswesen. Die Restaurants, bei denen ein Gericht mit zwei, drei Kartoffeln rund 6,80 Euro kostet, zahlen den Briceños fürs Kilo bunter Gourmet-Kartoffeln etwa 68 Cent - das ganze Jahr über.
Wettbewerbsvorteil dank alter Sorten?Ausgerechnet die alten Sorten trotzen dem globalen Wettbewerb, sagt Pedro Briceño: „Unser Vorteil ist: Was wir haben, gibt es in anderen Ländern nicht. Sie können gewöhnliche Kartoffeln importieren - aber diese nicht".
Bei den Kartoffeln ist der nationale Markt ihr Ziel. Bei den Kartoffelchips sieht das anders aus. Derzeit ist die Familie im Gespräch mit Procolombia im Gespräch, einer staatlichen Einrichtung, die Tourismus, ausländische Investitionen im Land, aber auch Export und Imagepflege fördert. Wenn alles klappt, werden die Chips der Briceños bald in den USA neben kolumbianischem Kaffee in Spezialgeschäften stehen.
Diese Recherche wurde von der Hering-Stiftung Natur und Mensch gefördert.Katharina Wojczenko einmalig unterstützen
Countdown Natur einmalig unterstützen
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