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Apostile

Runter vom Sofa - Panta rhei: Alles zerfließt

Letztes Wochenende saß ein winziger Zwerg auf meinem Schoß. Nicht irgendein Zwerg, sondern der entzückendste, süßeste und niedlichste ungefähr im ganzen Universum. Während reichlich Schwimmbadwasser aus dem kleinen Zwergenneoprenanzug in meine vormals trockene Shorts diffundierte, hielt er in seiner winzigen Hand mit großer Kraftanstrengung festumklammert ein winziges Eis. Nicht irgendein Eis, sondern das erste und darum weltallerbeste Freibadeis, das ein Zwerg je auf einem Tantenschoß genießen durfte. Entsprechend andächtig wurde geschleckt und mit einer winzigen rosa Zunge homöopathische Portionen Milcheis abgetragen, das zugleich köstlich und erschreckend kalt war, weswegen der Zwerg nach jedem Schlecker innehalten und überlegen musste, ob die Süße die Kälte wirklich wert ist. „Beiß doch einfach mal ab.“ – „Nein. Lecken!“ So ging’s dahin, und während der eine versunken schleckte, wurde die andere zunehmend nervös. Nämlich konnte ich zusehen, wie das Eis sich aus dem erwünschten Zustand „halbgefrorenes“ bei 36 Grad Außentemperatur in den unerwünschten Zustand „Suppe“ verwandelte und mich, die Hose, das Bein in höchstem Maße bedrohte. Ein Unheil konnte nur abgewendet werden, indem ich beherzt das Eis im Ganzen abbiss und das zweite, indem ich dem Zwerg in der selben Sekunde meine gut gefüllte Waffel in die Hand drückte, in deren Endstück sich, Überraschung, ungefähr ein Liter flüssige Schokolade befand. Aber hey – man soll ja viel trinken bei dem Wetter, und das Wetter macht es einem nachgerade leicht, denn: alles fließt. Wahrscheinlich hat Heraklit auch nur seinem Eis hinterhergeweint, als er sein berühmtes und letzte Woche schon zitiertes „panta rhei“ in die Welt setzte. Möglicherweise hat er aber auch einen schönen Käse betrauert, der eben noch als prächtiges Stück auf seinem Teller lag und im nächsten Moment als glänzender See unter der türkischen Sonne gleißte. Vielleicht sprach er auch von seinem Labello, den er in der Tasche als nurmehr das komplette Gewand mit flüssigem Fett durchwirkende Katastrophe fand. Womöglich auch nur vom Schweiß, der ihm die Klamotten an den Leib und die Haare formschön an den Schädel drückte und der in Strömen floss, sobald er sich nur minimal bewegte, von einem Stück Obst, das er nicht sofort nach Kauf verzehrte, sondern noch eine Minute in die Obstschale legte oder vom Asphalt, in den er bei der Kontemplation lustige Muster mit seinen Schlappen presste … Ich weiß es nicht. Mit patschnassem Schritt, der aussah, als würde bei mir noch was ganz anderes unkontrolliert fließen, durchschritt ich stolzen Hauptes den Badeort, an meiner Hand ein schokolierter, klebriger, aber glücklicher Zwerg. So muss das. Das weiß ich!