Ob’s wohl einen Namen gibt für die Krankheit, die macht, dass eins massive Erinnerungsschwierigkeiten hat hinsichtlich Handgriffen jedweder Art, die es so ganz direkt nach dem Aufwachen getätigt hat? Dass es eine Krankheit sein muss, steht schonmal außer Frage, weil heutzutage hat ja schließlich jede Seelenregung eine ICD-10-Codierung. Dein Lieblingshund ist nach 15 Jahren verstorben? Oh, schwere Anpassungsstörung, Depression, 25 Sitzungen, mindestens Bachblüten, lieber was mit Chemie. So in der Art. Also dann leide ich sozusagen an Postsomnamnesie (danke, Latinum, bist halt doch zu was nütze). Nach-Schlaf-Vergesslichkeit. Aufstehen, duschen, Kaffee, Kram – das alles erledigt mein geistfreier Avatar, derweil mein Hirn weiter friedlich im warmen Bettchen schlummert, was ich prinzipiell als evolutionären Vorteil erachte.
Es ist nur leider so, dass der Avatar einen Hang dazu hat,
sich, kaum dass die Föhnwelle getrocknet ist, mit dem Kaffeehaferl an den
Schreibtisch zu setzen und am Computer Dinge zu tun. Wie beispielsweise all die
überaus nützlichen Werbemails zu löschen, die da so über Nacht eintrudeln. So
zumindest lautet sein Auftrag. Der Avatar jedoch ist ein Widerborst, und so
beschließt er zuweilen eigenmächtig, besagte Reklame nicht unbesehen in den
Digitalmüll zu bugsieren, sondern sie einer eingehenden Betrachtung zu
unterziehen. Jetzt befinden sich unter diesen Broschüren nur leider in der
Tendenz eher weniger Angebote für „Brockhaus – sichern Sie sich die aktuelle
Auflage in 37 Bänden für nur 12 Euro“ oder „Fernstudium leicht gemacht – zum
Philosophie-Diplom in nur 45 Tagen“ oder „Backen wie Oma – exklusive
Schrotmaschine für nur 89,99“ – solche eben, denen ich persönlich nur schwer
widerstehen könnte, und die zu befolgen auch der Avatar freilich angewiesen
ist. Aber das ist dem halt leider schnuppe.
Schaut der also über die Schulter, sieht mich ratzen, reibt
sich die Händchen und taucht mit einer eleganten Arschbombe hinein ins
Schnäppchenlager. Diese Unsitte hat mir in der Vergangenheit mannigfaltige
Überraschungen beschert. Klingelt’s nicht zuweilen unvermittelt, und dann öffne
ich die Tür, und dann werken winzige Paketmenschen absurde Paketgetüme die
Treppe hinauf? Und dann hab ich plötzlich 34 Sommerkleider in nuancierten
Varianten daheim (Gegenwert: 890 Euro) oder 18 Paar
Schuhe-für-jeden-nie-stattfindenden-Anlass (540 Euro) oder gleich das
Alles-was-es-so-im-Sale-gab-Komplettpaket mit Kernbestand „zwölf Wintermäntel“
(1300 Euro) und ich schau den Avatar streng an. Gepriesen seist du, o Retoure!
Da muss der Avatar dann schön brav alles wieder zurückbringen. Haha „alles“.
Natürlich nicht. Weil wenn’s dann schon im Haus ist, dann wird man ja wohl noch
kurz mal durchprobieren können, eh klar.
Und direkt ab in den Ausgang damit: „Sonic Space“ (Mitte,
Hallplatz), „Pitch“ (Stereo, Klaragasse), „Yard Vibes“ (King Lui_tpoldstraße),
„Rooftop“ (b², Bartholomäusstraße), „Tonkonzum“ (KKK, Königstraße), „Liga der
außergewöhnlichen Liedauswähler“ (MUZ, Fürther Straße) und am Samstag „Why so
serious feat. Alle Farben“ (Hirsch&Rakete, Vogelweiherstraße), „Ü30 House
Edition“ (T90, Flughafen), „28 Jahre Mach“ (Kaiserstraße), „Dirty Thirty“
(Ballhaus, Klingenhof), „The Factory pres. W-Quelle“ (Fürther Straße), „All
Night Long“ (Seltene Erden, Luitpoldstraße), „Die Macht der Nacht“ (Cult,
Dooser Straße). Wenn es gekonnt hätte, hätte sich das Mädchen mit den
durchtanzten Schuhen bestimmt auch über so einen Avatar gefreut wie ich einen
habe.