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Rauf aufs Sofa - ICD-10 F43.2

Im Pschyrembel, Standardwerk der Simulanten und Bibel der Hypochonder, finden wir unter der ICD-10-Codierung F43.2 die sogenannte „Anpassungsstörung“. Ich hab das schon mal für euch herausgesucht, damit ihr in den kommenden Tagen beim Hausarzt direkt gleich an der Anmeldung eure Selbstdiagnose durchs Plexiglas krähen könnt, um nicht unnötig den Betrieb aufzuhalten, weil die sind da eh genug beschäftigt („Habter net noch was vom Jason?“ – „Nein, Frau Haberschmidt, leider nicht. Aber wie angeboten können wir Sie jederzeit …“ – „Etz gehnsmerner fort mit Ihr‘m Astrasenegal!“). Wenn die Frau Onkel Doktor dann fragt, was los ist, sagt ihr geschwind „sozialerrückzugproblememitnäheverändertessozialverhaltenundvorallemGEFÜHLVONBEDRÄNGNIS!!!“ und dann könnt ihr euch auch noch ein bisschen selbst umarmen und schaukeln und streicheln und sagen, dass schon alles gut wird. Ich zumindest mach das jetzt so seit ein paar Tagen, nämlich seitdem ich versuche, mit je einem Auge eine von zwei sich diametral voneinander weg bewegenden Diagrammkurven zu fixieren und mit dem Ist-Zustand abzugleichen. „Ähm du sag einmal“, hab ich mehrfach in Fernsprechgeräte hineingeforscht, während ich wie seit geschätzt acht Monaten höchst gemütlich unter meinem zur Höhle umfunktionierten Esstisch gelegen hab, von wo aus ich nette Gespräche mit meinen Pflanzen führen kann, die Knubbel an der Raufasertapete einem Mikrozensus unterziehen, dem also wirklich sowas von realistischen Prasseln des Kaminfeuers in UHD-II / 8K lauschen und linguistische Untersuchungen anstellen, wie schnell man das Wort „Grottenolm“ aussprechen muss, bis „Gollum“ draus wird. Weil beiden fühl ich mich sehr nah, und wie der letztgenannte Anti-Held scheint auch meiner Einsiedelei demnächst durch irgendeinen äußeren Zwang ein Ende gesetzt zu werden. „Sag einmal“, also, „neulich hab ich in den Nachrichten was gehört, das hat geklungen wie ‚Eh-Emm‘, ich weiß jetzt nicht ob das vielleicht nur ein Räusperer gewesen hätt sein können oder … Wahrscheinlich nur der Regen an der Fensterscheibe zu laut, meinst du … Aso … Und aber ‚Biergarten‘, ich mein, das muss dann schon sehr viel Krawall außenrum, dass ich das falsch … Ah, ‚wir harrten‘, das klingt schon eher … Wart, ich mach einmal das Feuer leiser. So, also wem harrten wir? … Treffen? Geselligkeit?! KNEIPE??“ und da hab ich schon ein bisschen zum Schwitzen angefangen beim Frieren. Und dann genauer hingehört: Alle Welt plärrt durcheinander, „Öffnung!“ und „Freiheit!“ und „Sommer!“ und … Ich versteh das alles überhaupt nicht. Vielleicht sollt ich aufhören mit dem Kurvenfixieren. Und einfach mit beiden Augen gradaus schauen. Hauptsache nach vorne!