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Neuer Ort für Artischocken

Zwei Jahre waren sie heimatlos und fahrendes Volk, jetzt hat der Raum für Musik, Kunst und Ideen endlich wieder eine Adresse. An die nehmen Olga Komarova, Gerhard Faul, Elizaveta Shlosberg und Sigi Wekerle nicht nur Bühne, Bar und kreatives Brimbamborium, sondern vor allem auch den Namen, den dem Zusammenschluss vor einigen Jahren Elmar Tannert gab: ArtiSchocken, wegen der Kunst, eh klar, und weil der Wanderzirkus zuletzt Unterschlupf am Aufseßplatz gefunden hatte, genauer: im alten Schocken-Kaufhofhaus.

Und weil das einfach einfacher zu merken ist und so viel runder auf der Zunge schmeckt als „Integration Nürnberg e. V.“ Nichtsdestotrotz steckt genau dieser Verein im alten AOK-Gebäude, der vor bald 20 Jahren als Jugendarbeitskeimling begonnen und heute als Künstlerverein mindestens verzweigte Baumgröße erreicht hat. So einen haben sie jetzt vor dem Fenster, das ist schön und grün und hell und offen, ganz anders als im finster-fensterlosen Südstadtort, den der Verein gemeinsam mit Medienladen-Gerhard Faul in Eigenleistung zum Kulturort umgebaut hatte. So ist’s auch jetzt wieder geschehen. Bühne, Theke, Lagerraum – alles da, man muss nur hinfinden. „Der Weg ist ein bisschen versteckt“, weiß auch Olga Komarova, denn nämlich geht er so: Vom Rathenauplatz aus einmal um das vornehmlich von der AOK, in Wahrheit aber evangelischen Kirche zwischengenutzte alte Telekomgebäude herum in die Veillodterstraße 8. Dann aber nicht ins Häuschen hinein, sondern nebendran die Treppe weit hinunter, über den Hof, durch die Glastür, rechts. Das klingt ein bisschen verrucht – und ist auch gut so, denn am Ende dieses Abenteuers kommt der Anfang des nächsten: ein Saal für bis zu 120 Personen, umgebaut, gemalert, gebastelt, Bühne, Technik.

Eine Café-Bar mit Theke, alles selbst hineingezimmert in das triste Bürograu, das jetzt grün ist und fröhlich, innen und außen, denn da ist jetzt ein großer grüner Innenhof mit Baum und außenrum von BZ bis Design Offices reichlich Zwischennutz. „Bis Ende 2020, vielleicht Mitte 2021“ darf hier jetzt gewaltet werden: „Alles was wir wollen“, sagt Olga Komarova und will viel. Schon die ersten offiziellen Monate bieten mächtig Abwechslung: Afroyoga (ab 5.11.) und „Selo I Ludy“-Konzert (15.11.). Ein Kurs „Instafilme für Erwachsene“ (ab 5.11.), parallel dazu einen Malkurs, damit, sagt die freiberufliche Filmproduzentin und Mutter einer Sechsjährigen, damit die Kids aufgeräumt sind, wenn Mama und Papa filmen lernen. „6aufKraut“ haben sich zum Improtheater angemeldet (22.11.), es gibt Theater auf Russisch („Ich – Glück“, 24.11.) und absurdes für Kinder („Alice Fantasieland“, 23.11.) und „German-Russia-Nocensor“, Podiumsdiskussionen per Skype, die Aktivisten und Fachleute aus Nürnberg und Moskau verbindet (25.11.), „man muss schauen, wie das wird“, sagt Olga Komarova, so etwas haben sie auch noch nie gemacht. Aber das wird schon.

Platz ist genug, für Gruppen und Truppen, die auftreten wollen oder proben, die Räume mieten, um intensiv zu arbeiten, „es wäre schön“, sagt Olga Komarova, „wenn möglichst viele Kulturschaffende hier mitmachen würden.“ Und auch andere den Weg finden an den Ort, der genau das ist, was als Off-Location so oft gefordert wie selten zur Verfügung gestellt wird. Alle Möglichkeiten sind da, Treffpunkt, Begegnungsort, Arbeitsplatz, einfach abhängen und quatschen auf dem Sofa oder draußen unterm Baum, der aussieht, als sollte man dringend unter ihm sitzen, mit Bier und Diskussion. „Den Garten liebe ich“, sagt auch Olga Komarova und öffnet die eigens eingebaute Tür. „Ich hoffe, dass hier möglichst viel passiert.“ Einzig furchtbar laut soll es besser nicht werden, sitzen doch lernende BZ-Menschen obendrüber. Und egal was passiert: Schluss ist um 22 Uhr, die Stadt will es so, denn es ist Wohnviertel außenrum. Der 9.11. ist ein guter Tag, um alles mal ein bisschen anzutesten: „UnARTig“ heißt der offene Abend, bei dem ab 18 Uhr die Tür offen ist und die Bar auch, Musik läuft und Performance, Live-Painting und ein „literarisch-musikalisch-atmosphärisches Spiel“, gewidmet der russischen Dichterin Marina Zwetajewa, und Techno und Überraschung und weil um 22 Uhr Schluss sein muss „fahren wir alle gemeinsam zur nächsten Party“, freut sich Olga Komarova und wiegt das Wort „unartig“ behutsam nochmal ab. „Kommt vorbei und lernt uns kennen!“ 

ArtiSchocken – Riesenherz mit viel Drumherum, Veillodterstraße 8, artischocken-nuernberg.de