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Liebe Männer, lasst die Funktionsjacke sein! Es gibt Alternativen

Quelle: Getty Images/Edward Berthelot

Die Übergangszeit ist für viele Männer ein modisches Problem - was trägt man drüber? Kapuzenpulli? Windjacke? Dabei gibt es einen Klassiker, der zu Unrecht aus der „Freizeitmode" verbannt wurde: das leichte Sakko.


Bald knistert und knittert es wieder. Wenn es draußen nicht mehr bitterkalt ist, aber auch noch nicht richtig sommerlich warm, werden dünne Funktionsjacken hervorgeholt. Wasserabweisend, versehen mit irrational vielen Taschen und natürlich einer Kapuze. Die lässt sich, ganz funktional eben, auch noch meist im Kragen der Jacke verstauen. Wird das vergessen, baumelt sie traurig-müde am Rücken herab, nur manchmal lässt ein Windhauch sie sich zaghaft aufbäumen.


Das immerhin bleibt bei der größten Konkurrentin der Funktionsjacke aus: die Kapuzenjacke aus dickem Sweatshirt- oder Softshellstoff. Eines eint all diese Modelle: Ihre unfreiwillige Jungbrunnen-Wirkung. Dank ihnen sehen selbst 50-Jährige mit kräftiger Statur aus wie große Jungs, oft überträgt sich die im wahrsten Sinne des Wortes formlose Lässigkeit auch auf Haltung und Gang.


Na und, mag man jetzt denken, wir hetzen doch ständig durchs Leben, müssen im Beruf akkurat und auf Zack sein, da ist ein bisschen Entspannung in der Freizeit ja wohl erlaubt! Natürlich ist sie das - aber warum sollte diese Entspannung nicht etwas ansehnlicher sein? Nicht nur tut sich der etwas Gutes, der sich Zeit für das eigene Erscheinungsbild nimmt.

Wer ein Kleidungsstück am eigenen Körper zur Geltung kommen lassen möchte, hält sich automatisch gerader. Der Rücken wird es danken. Genau wie das Selbstwertgefühl angesichts des eigenen Spiegelbilds. Aber: Sich mit Silhouetten, Schnitten und Farben befassen, darauf haben meist nur wirklich Modebegeisterte Lust - und auch wenn es nach einem Klischee klingt: Gerade hierzulande ist die Skepsis gegenüber Menschen, die sich gerne gut anziehen, immer noch groß. Wer der eigenen Optik viel Zeit widmet, wisse wohl nicht, was er sonst damit anfangen solle, sei oberflächlich und selbstverliebt, heißt es dann oft.


Wie praktisch, dass ein so wirkungsvolles wie einfaches Mittel gibt, um aufrecht und mit einem - alltagstauglichen - Hauch von Grandezza durchs Frühjahr zu gehen: das leichte Sakko. Das Pendant zum bunten Blazer, der in der Frauenmode seit einigen Jahren ein Comeback erlebt und nichts mehr mit dem angestrengt-verkniffenen Kostüm-Look von einst zu tun hat, gibt es inzwischen in ähnlich vielen Variationen.


Ein Sakko? In der Freizeit? Auf diesen Vorschlag reagieren Funktionsjacken- und Kapuzenpulli-Fans gerne mit folgenden Einwänden: Es sei überkandidelt, overdressed und ohnehin viel zu förmlich für Freizeit. Die vor rund 100 Jahren erfundene „Freizeitmode" steht heute für betont sportliche Stücke mit sinnbefreiten Aufdrucken à la „Sports Club 74" und nicht vorhandene Schnitte.


Wer nicht gerade in einer Bankfiliale oder in der Hotellerie arbeitet, muss jedoch immer seltener einen klassischen Dresscode erfüllen - so scharf ist die Trennung zwischen Job- und Freizeitmode also gar nicht mehr. Trotzdem erntet der Sakko-Vorschlag oft nur ein müdes, fast spöttisches Lächeln.


„Ich verstehe die Vorbehalte vieler Männer gegen den klassisch geschnittenen Sakko, da er sich in den Augen vieler überlebt hat", sagt Bernhard Roetzel, Stilberater und Autor der in 18 Sprachen übersetzten Stilbibel „Der Gentleman". Noch immer habe das Sakko den Nimbus einer gewissen Förmlichkeit.


Das war Ende des 19. Jahrhunderts, als es aufkam, übrigens noch ganz anders. Da galt es „als formlos und beinahe schlampig im Vergleich zu Gehrock oder Frack", sagt Roetzel. Heute inszenieren modebegeisterte Männer wie Alessandro Manfredini und Pierluigi Boglioli auf Instagram und Pinterest das Sakko auf unprätentiöse Weise formvollendet in allen nur möglichen Variationen und Kombinationen und zeigen ganz nebenbei seine Zeit- und Alterslosigkeit.


Die ist auch den Schuhen zu verdanken: „Sie sollten nicht zu förmlich sein; sehr traditionelle, rahmengenähte Modelle wirken auch zu schwer", sagt Roetzel. Turnschuhe, Loafer oder sogar Espadrilles können dem Look die entspannte Note geben, die in der „Freizeitmode" so heiß begehrt ist. Bei den Materialien rät Roetzel zu leichten Wollstoffen, da sie nicht so stark knittern. Und solange keine Kunstfaser drin ist, hält man damit auch Frühlingstemperaturen aus, ohne ins Schwitzen zu geraten.


Wenn es noch wärmer wird, bieten sich Gemische aus Leinen und Baumwolle an. Sie seien aber auch empfindlicher, betont der Stilberater. Leinen-Sakkos sehen aber leicht geknittert umso lässiger aus. Bei den Hosen empfiehlt er einen klaren Farb- oder Helligkeitskontrast: Die Hose solle lieber dunkel, die Jacke heller sein. Wer dann noch auf die Weite von Hose und Jacke achtet - zu einer weiten, eher kastigen Jacke etwa passen weitere Hosen am besten - steht gut angezogen da.


Wer noch immer skeptisch ist, der kann auf die aktuell überall zu findenden Hemdjacken ausweichen, die auch als „Shacket" bezeichnet werden: „Je nach Grad der Taillierung und Art und Platzierung der Taschen wirkt sie mehr oder auch weniger förmlich", sagt Bernhard Roetzel, der in diesem Frühjahr ein Comeback von kleinen Karos und Glencheck auf Hemdjacken beobachtet.


Mit einer Hose in demselben Muster lässt sich die Jacke auch noch in einen Anzug verwandeln, wenn es doch einmal förmlicher sein darf, auf einer Hochzeit zum Beispiel. Wenn das nicht praktisch und multifunktional ist - und entsprechend auch von Modeskeptikern akzeptiert werden müsste.


Und wenn es doch einmal wärmer wird als erwartet? Beim Damen-Blazer hat sich der Trend zu hochgekrempelten Ärmeln durchgesetzt, der zusätzlich Förmlichkeit nimmt. Den Männern hat Don Johnson den Look schon in den 80ern als Sonny Crockett in „Miami Vice" vorgemacht. Wer sich die Option der nach oben geschobenen Ärmel offen halten will, sollte darauf achten, dass diese sich auch öffnen lassen, sagt Roetzel, sonst entpuppt sich die lässige Idee schnell als verdammt unbequeme Angelegenheit. Bleibt noch die bange Frage der bisherigen Sakko-Skeptiker nach der Kapuze. Da gibt es eine recht hilfreiche Erfindung für Erwachsene: den Regenschirm.

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