Rund 10.000 Dinge nennt der Durchschnittsdeutsche sein Eigen - ganz schön viel. Katharina Finke lebt aus zwei Koffern und einer Reisetasche, hat keine Wohnung und keine Möbel. Immer auf der Suche nach einer Geschichte, bereist sie als freie Journalistin die Welt, lebt mal hier in einer WG, mal dort in einem Hostel. Dennoch lehnt sie Besitztum nicht kategorisch ab. Sie wisse die Sachen, die sie habe, nur viel besser zu schätzen, erzählt sie im Gespräch.
Sie haben keine Home-Base, keine Station, zu der Sie immer wieder zurückkommen, sondern Sie sind eine moderne Nomadin.Katharina Finke: Genau. Ich habe keinen Mietvertrag, und die Sachen, die ich besitze, schleppe ich immer mit mir herum. Einen Koffer stelle ich unter, denn wenn ich in heißeren Gebieten unterwegs bin, muss ich nicht unbedingt eine Daunenjacke mitnehmen - in Island schon eher. Das ist das Einzige, was ich wechsele.
Wie kam es, dass Sie sich entschlossen haben, alles aufzugeben?Finke: Die Entscheidung war ganz pragmatisch, weil mein Exfreund unsere gemeinsame Wohnung in Hamburg aufgeben wollte. Ich hatte da schon länger nicht gewohnt, war davor auch schon viel auf Reisen. Dort habe ich gemerkt, dass ich wirklich nur das brauche, was ich dabei habe. Damals hatte ich noch Möbel und "Zeug" auf dem Dachboden. Die Frage war: Was mache ich damit? Lagere ich es ein oder werde ich das los? Ich habe mich für Letzteres entschieden.
Wie viel Zwang war dabei, die Dinge zu verkaufen, zu verschenken und Dinge loszulassen?Finke: In dem Moment war wirklich wenig Zwang. Ich wusste zwar, dass ich es loswerden musste, weil ich aus der Wohnung rausmusste und wieder los wollte. Im allerersten Moment ist es mir ein bisschen schwergefallen, weil das Herz blutet, wenn da Erinnerungen dran hängen oder wenn es viel gekostet hat. Aber wenn man dann sieht, wie sich andere Menschen darüber freuen, ist es auch ganz schön. Dieses anfängliche schwierige Gefühl hat nicht lange angehalten.
Gibt es nicht die Sehnsucht, irgendwo zu bleiben, irgendwo wieder nach Hause zu kommen?Finke: Die Sehnsucht gibt es in der Tat nicht. Ich habe das Glück - das ist eine Mentalitätssache bzw. eine persönliche Sache -, mich relativ schnell irgendwo wohlzufühlen. Ich habe früher in allen möglichen Unterkünften gewohnt, auch in der Abstellkammer oder im Durchgangszimmer. Das Einzige, was mir über die Jahre wichtig geworden ist: Wenn ich länger als ein paar Tage irgendwo bin, dann ist es mir schon wichtig, mein eigenes Zimmer zu haben, eine Tür, die ich zumachen kann. Denn gerade, wenn es einem gesundheitlich nicht so gut geht, ist es gut, zumindest ein bisschen seine Privatsphäre zu haben. Aber das reicht mir dann auch schon. Da muss es nicht mein Bett oder mein Schrank sein.
Was brauchen Sie, um sich wohlzufühlen, was Sie immer dabei haben?Finke: Im Herzen die liebevollen Menschen, die mir in meinem Leben sehr wichtig sind. Das ist in der Tat das, wo ich mich am ehesten zu Hause fühle. Wenn ich weiß, dass ich jemanden anrufen kann, oder idealerweise jemanden habe, der vor Ort ist, dann fühle ich mich viel schneller zu Hause, als wenn ich wüsste: Das ist mein Schrank oder mein Stuhl.
"Loslassen. Wie ich die Welt entdeckte und verzichten lernte", heißt Ihr Buch - wobei loslassen viele Menschen mit Ruhe verbinden. Aber ruhig ist Ihr Leben ja eigentlich nicht.Finke: Das stimmt. Wobei auch diese Ruhe sehr wichtig ist, dieses Loslassen, was mit Ruhe verbunden wird, auch ein Teil meines Lebens ist. Das habe ich erst später realisiert, dass das auch notwendig ist, um dieses Aktive durchzuhalten. In dem Buch geht es nicht nur um das Loslassen von materiellen Dingen, sondern auch ums Loslassen von Perspektiven oder von Stress. Da muss auch mal Ruhe einkehren.
Bedauern Sie Menschen, die viel besitzen?Nein. Ich kann es meistens nicht ganz verstehen, aber ich bedauere sie nicht. Wenn man viele gut produzierte Dinge besitzt, ist das noch mal etwas anderes. Deswegen würde ich nicht ein Generalurteil fällen. Mich macht es eher wütend, wenn Leute nach dem Motto leben: Hauptsache billig, und es ist mir egal, wo das herkommt. Aber ich bedauere sie nicht. Ich versuche sie dann auch nicht zu missionieren. Wenn so jemand an mich herantritt, erkläre ich ihm gerne, was ich davon halte, aber ich gehe nicht aggressiv auf sie zu. Gerade in Deutschland, als Kontrast zu anderen Ländern, wo ich war, wenn Leute viel wegschmeißen, so nachlässig mit Dingen umgehen, so überkonsumieren, das macht mich eher wütend, als dass ich sie bemitleide.
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Dieses Thema im Programm:
NDR Kultur | Klassik à la carte | 24.05.2017 | 13:00 Uhr Original