Meister der schönen Vergänglichkeit: Plötzlich wurden Floristen zu Superstars, die weltweit für Fashionshows, Superreichenvermählungen und die Luxushotellerie arbeiten sollten. 89 besonders fähige Köpfe dieser Zunft hat der Kunstbuchverlag Phaidon nun in einem Band versammelt.
Im Sommer 2012 beauftragte Raf Simons, der damalige künstlerische Direktor der Dior-Damenkollektion, einen ganz besonderen Rahmen für die Präsentation seiner Haute Couture-Entwürfe: Fünf riesige Salons eines Pariser Hôtel particulier, für das es im Deutschen nur die leidliche Übersetzung ‚Stadtpalais‘ gibt, verwandelte sein Landsmann Mark Colle in ein einziges Meer an Blüten. Jeder Raum erhielt seinen eigenen Blütenteppich, mal aus schneeweißen Orchideen, mal in Bunt, Gelbgrün oder Leuchtendrot.
Die Bilder gingen um die Welt, wo sie im gerade so richtig anlaufenden Instagram auf fruchtbaren Boden stießen. Blumen hat es schon immer gegeben. Aber, so will es zumindest diese Legende: Ab dem Sommer 2012 wurden vielerorts vom Nebendarsteller zum heimlichen Hauptakteur. Und Floristen plötzlich zu floralen Designern, die weltweit für Fashion-Shows, Superreichen-Hochzeiten und Hotellobbys der Luxushotellerie gebucht werden.
Mit „BLOOMS. Contemporary Floral Design“ widmet der Kunstbuchverlag Phaidon dem Phänomen nun ein eigenes Buch. 89 Kreative und Entscheider wurden nach ihren Präferenzen befragt, einige davon sind selbst Floristen, andere arbeiten als Künstler, Chefredakteure oder Parfumeure. Herausgekommen ist eine Auswahl mit 86 Kreativen, unter denen natürlich auch Mark Colle nicht fehlen darf.
Und auch sonst ist alles dabei, was Rang und Namen hat, etablierte Größen wie aktuelle Nischen-Stars oder frische Kunsthochschulabsolventen, von denen niemand weiß, ob sie ihr Blumenstudio in zwei Jahren nicht bereits gegen ein anderweitiges Atelier getauscht haben werden. Auch gestalterisch präsentiert das Buch einen guten Querschnitt: Von üppigsten Sträußen und Arrangements ganz im Zeichen des Hedonismus zu den ultra-minimalistischen Produkten von Girl and Garden, die oft genug aus einer einzigen Blume bestehen, ist alles dabei.
Der neue Ansatz bringt auch neue Produktionsbedingungen mit sich: Gerade in Großbritannien wächst die Anhängerschaft der Selbstanbauer. Besonders zarte Blumen, die sonst eher selten den Weg in die Sträuße und Gestecke finden, werden im eigenen Garten hinterm Ladengeschäft gezogen und erst kurz vorm Binden gepflückt. Ähnlich halten es die schottischen Floraldesigner von Pyrus, die unabhängig sein wollten vom niederländischen Blumengroßhandel und daher nun vermehrt lokale Gewächse nutzen. „Grow local“ ist dabei nicht gleichbedeutend mit Verzicht. Aber die Ausbeute hat naturgemäß viel damit zu tun, in welcher Flora und Klimazone man sich nun gerade befindet: Die prächtigen Sträuße von Pomp&Splendour verdanken ihre besondere Anziehungskraft so den Orchideen, die im heimischen Neuseeland mit seinem milden Klima selbst angebaut werden.
Auch auf anderen Wegen hält der Zeitgeist Einzug. Die New Yorker von Lewis Miller Design verschönern den Big Apple mit Guerilla-Luxus-Bouquets, die unverhofft aus Mülltonnen und U-Bahn-Schächten in ihre Stadt hineinwuchern – und profitieren so gleich doppelt vom Hype um ihre Branche: Die vergänglichen Schönheiten sollen ausschließlich aus gefundenen Blumen und Blüten bestehen, die von anderen Floristen massenhaft entsorgt wurden.
Der Fairness halber muss gesagt werden, dass nicht alles zwingend neu ist, nur weil die Namen nun andere sind. Vieles, was heute „Floral Design“ heißt, haben auch Floristen vor Jahrzehnten schon so oder ähnlich getan. Oder die Blumenstecker der Ikebana-Schulen. Aber die Vielfalt und zugleich Qualität, in der heute so unterschiedlichste Positionen floraler Gestaltung nebeneinander stehen, ist definitiv bemerkenswert.
Nicht immer, aber auffallend oft haben die vorgestellten Floraldesigner und – Studios keinen klassischen Floristenhintergrund. Etliche kommen aus den Bildenden Künsten – wie Sophie Parker von Wife NYC, deren skulpturale, oft knallig bemalte Extravaganzen Hinweis auf ihr Kunststudium sein mögen. Manch einer wechselte gar aus der IT-Branche ins Blumen-Business. Andere sind alles zugleich in Personalunion: Wie Joshua Werber, Stylist und Designer, der seine floralen Kopfbedeckungen nun auch selbst trägt.
Wo Blumen und Blüten schon immer Ausdruck für schöne Vergänglichkeit waren, darf der ultimative Meister der floralen Dekadenz nicht fehlen: Der Japaner Azuma Makoto katapultiert die Blumenkunst noch einmal in neue Dimensionen. Und Sträuße ins Weltall: 2014 schickte er unter anderem einen 50 Jahre alten Bonsai in die Stratosphäre, nebst Lilien, Orchideen und Iris, die im schwarzen Nichts vorm leuchtenden Erduntergrund magische Bilder kreierten.
[Gekürzt/abgewandelt auf Spon.]
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