Azzedine Alaïa machte Kleider wie aus Stein gemeißelt, die doch saßen wie eine zweite Haut. Eine Schau in London zeigt, wie aus dem Bauernsohn einer der letzten großen Couturiers unserer Zeit wurde.
Wie, um alles in der Welt, hat er das gemacht? Am langen schwarzen Kleid reiht sich ein Faltenwurf an den anderen, so filigran gearbeitet, dass es fast schon ans Groteske grenzt. An diesem lachsfarbenen Ärmel wird Leder in einer Art und Weise eingesetzt, wie man es bis dato noch nie zuvor gesehen hatte: Mit Wasserdampf geschmeidig gemacht und sodann hauchzart aufgefächert wie sanft fließender Chiffon – einige Schritte weiter wurde das Material dann wieder zu starren Schleifen geformt, die das pechschwarze Kleid regelrecht wie eine Skulptur erscheinen lassen. Mit jedem seiner Kleidungsstücke legte Azzedine Alaïa die Messlatte in den Kategorien ‚filigranste Handarbeit‘ oder ‚ Materialien, außergewöhnlich verwendet‘ höher. So zieht sich vor allem diese eine Frage wie ein roter Faden durch den gesamten Ausstellungsparcours: Wie ist das möglich?
In "Azzedine Alaïa: The Couturier" wird gestaunt, bewundert und studiert – von einem Publikum, das weitaus vielfältiger ist als der Kreis jener Frauen, die sich tatsächlich eine dieser Kreationen auf den Leib schneidern lassen konnten. Die Strahlkraft von Alaïas Kleidern wirkt eben ungebrochen, unabhängig von Geschlecht, Alter, Ethnie, Geldbeutel und Statur der Menschen, die den Weg ins Londoner Design Museum gewählt haben.
Der im November 2017 verstorbene Modedesigner hat die Ausstellung noch selbst mitkuratiert. Das war typisch für ihn: Er behielt bis zum Schluss die komplette Kontrolle über seine Arbeit, machte sich nicht gemein mit der Modeindustrie und ihren stetig schneller rasenden Zyklen – und wurde von ihr genau dafür verehrt. Die "New York Times" titelte zu seinem Tod: "Der unabhängigste Modedesigner der Welt ist mit 82 Jahren gestorben."
Mode und ihre Schöpfer werden aktuell von vielen Ausstellungsmachern als Sujet entdeckt, doch für Azzedine Alaïa war das nichts Neues: Schon 1996 hatte er seine erste Retrospektive im prächtigen Palazzo Corsini in Florenz, kuratiert von der damaligen Vogue Italia-Chefredakteurin Carla Sozzani. Ausstellungen im New Yorker Guggenheim oder später in der Galleria Borghese in Rom folgten – letztere zeigte zum ersten Mal Mode zwischen Ölgemälden und Statuen der großen Meister, zwischen Caravaggio und Canova.
Alaïa, der eigentlich Bildhauer werden wollte, besuchte 1950 die Kunsthochschule in seiner Geburtsstadt Tunis. Damals war er 15. Um angenommen zu werden, schwindelte er bei seinem Alter. Nebenbei schneiderte er zum Geldverdienst. Die Branche wechselte, aber Künstler und Kunstschaffende umgaben ihn Zeit seines Lebens. Mit Maler Christoph von Weyhe, den die Pressemappe als "life-long partner" ausgibt, teilte er alle Aspekte seiner Arbeit – ideell und ästhetisch inspirierten sich beide gegenseitig, aber auch organisatorisch war von Weyhe involviert, beispielsweise ins "Maison Alaïa", das der Modedesigner 1981 gründete.
Für die aktuelle Ausstellung malte von Weyhe Goauchen von Azzedine Alaïas Entwürfen. Sie hängen nun wie ein persönliches Lebewohl zwischen den Kollektionen, die im besten Sinne des Wortes aus der Zeit gefallen sind: 1989, 1997, 2016 –ihr Entstehungsjahr sieht man deneinzelnen Kleider, Jacken und Mänteln selten an.
Klar, in den Achtzigern war mehr Stretch – selbst wer den Namen Alaïa nie gehört hat, kennt die hautengen Ganzkörperkleider, die in "James Bond 007 – Im Angesicht des Todes" die Silhouette von Grace Jones . Doch mehr als solche Phänomene wirkt der Gesamteindruck: Die Experimentierfreude, mit der Alaïa Materialien dehnbar machte und Kleider wie Skulpturen meißelte. Roben, die sich gar nicht unbedingt, wie oft schwärmerisch behauptet, einer gängigen Vorstellung von Schönheit unterwerfen müssen. Die Kleider aus seiner letzten Kollektion strahlen auf ihren Spiegelsockeln durchaus düstere Faszination aus – während die Faltenwürfe in Metall, Samt oder einer älteren Frotteevariante auch einmal Assoziationen an Tentakel wecken
Bei so viel Liebe zum kleinsten Nadelstich fällt umso schneller auf, was nicht an Alaïas Perfektionismus heran reicht: Manches Atelier-Bild von Fotograf Richard Wentworth ist so verpixelt, als würde es sich um einen billigen Computer-Ausdruck handeln. An den Video-Stationen versagt manchmal die Akustik. Wenn sie funktioniert, hören die Besucher Wegbegleiter von frühen Entdeckern bis zu befreundeten Designern schwärmen. Andere Clips zeigen den Couturier beim Kochen in seiner Wohnung im Pariser Marais, wo er liebend gerne mit seinem Freundeskreis aus Supermodels, Promis und Künstlern speiste.
„Er war ein lebendiger und großzügiger Gastgeber, wie ein Zirkusdirektor, der immer dafür sorgte, dass jeder glücklich und zufrieden war, “ erinnert sich Designer Konstantin Grcic im Begleitheft zur Ausstellung an den Modeschöpfer - und fast dessen außergewöhnliche Gabe so zusammen: "Azzedine Alaïa hatte einen dreidimensionalen Blick und die magische Verknüpfung von den Augen zum Gehirn zu den Händ