Familien helfen Familien
Erdbebenopfer und ihr schwieriger Weg nach Deutschland
Vier Wochen nach dem Erdbeben in der Türkei und in Syrien versuchen viele Menschen in Hessen immer noch, ihre Angehörigen zu sich zu holen. Während einige Familien sich bereits in den Armen liegen, kämpfen andere noch mit der Bürokratie.
Von Karla Kallenbach und Johan Gallwitz
Zeki Yildirim hat es geschafft.
Er konnte seinen Schwager und dessen Familie vorübergehend bei sich
aufnehmen. Mustafa Dizlek versucht immer noch, seine Schwester, ihren
Mann und deren zwei Kinder zu sich zu holen - bislang vergeblich. Zwei
Familien erzählen ihre Geschichten.
Obwohl sie nun in Sicherheit sind, zittern Aybars und Barlas Tosun immer noch für einen kurzen Moment, wenn irgendwo eine Tür knallt oder etwas herunterfällt. Denn bei den fünf- und zwölfjährigen Brüdern sitzt die Angst tief. Sie haben das verheerende Erdbeben in der Türkei nur knapp überlebt.
Familie überlebt unter dem Esszimmertisch
Ihr Vater Nedim Tosun erinnert sich genau an den Augenblick, der alles verändert hat. "Als das Beben begonnen hat, sind wir als Familie unter den Esszimmertisch. Als es aufgehört hat, sind wir unter dem Tisch raus und haben gesehen, wie die Wände ineinandergefallen und die Fenster zersplittert sind." Über eingestürzte Wände und durch das kaputte Treppenhaus gelingt der Familie der Weg hinaus ins Freie.
Mittlerweile ist die Familie bei Nedim Tosuns Schwager Zeki Yildirim in Trebur (Groß-Gerau) untergekommen. Die Erleichterung, bei der Verwandtschaft zu sein, ist groß. "Wir möchten jetzt einfach, dass unsere Psyche und die der Kinder zur Ruhe kommt und wir uns hier überlegen können, wie wir weitermachen", sagt Tosun.
Drei Monate wird er mit seiner Familie in Hessen bleiben. Danach möchten sie in der Türkei wieder neu anfangen.
Hilfe in diesem Fall problemlos möglich
Tosuns Schwager Zeki Yildirim ist froh, dass er seinen Verwandten in der
schwierigen Zeit helfen kann. Damit sie nach Hessen kommen konnten,
musste er eine Verpflichtungserklärung abgeben, also für seine
Verwandten bürgen. Dafür musste er unter anderem nachweisen, dass er ein
regelmäßiges Einkommen hat und ein Haus besitzt.
Diese Papiere müssen Betroffene vorlegen
- Antragsformular
- gültiger (auch vorläufiger Pass)
- Krankenversicherung
- Biometrisches Foto
- Erklärung eines Verwandten 1. oder 2. Grades
- Ausweiskopie der einladenden Person
- Verwandtschaftsnachweis
- Wohnsitznachweis
- schriftliche Schilderung der Notlage
In seinem Fall hat das gut
funktioniert: "Ich habe alles per Mail eingereicht, am nächsten Tag
durfte ich schon die Verpflichtungserklärung abholen. Innerhalb von 24
Stunden. Komplikationen habe ich keine erlebt."
Mustafa Dizlek will seiner Schwester helfen
Deutlich schwieriger ist die Lage bei Mustafa Dizlek. Der Dietzenbacher hat viele Angehörige im Beben verloren, doch seine Schwester hat überlebt. Sie wohnt zurzeit mit ihrer Familie in einem Zelt in der Erdbebenregion. Eine richtige Dusche oder Toilette gibt es dort nicht.
Die Situation nimmt Dizlek sehr
mit: "Meine Schwester weint immer am Telefon und bei mir ist es auch
nicht anders. Die ersten zwei Wochen nach dem Beben konnte ich nicht
schlafen."
Pässe im Beben verloren
Dizlek möchte seine Verwandten gerne zu sich nach Dietzenbach (Offenbach) holen, doch sie haben ihre Pässe bei dem Beben in den Trümmern verloren. Das erschwert die Situation zusätzlich, die Unterlagen müssen neu beantragt werden.
Und auch Dizlek selbst ist an
den Voraussetzungen für die Verpflichtungserklärung fast verzweifelt:
"Die Bürokratie ist sehr schwer. Ich muss komplizierte Formulare
ausfüllen, da braucht man eigentlich einen Fachmann. Und das alles
kostet viel Zeit."
Warten auf Rückmeldung und Hoffnung auf Ruhe
Mittlerweile hat Dizlek die Bürokratie fürs erste überstanden, alle Dokumente sind eingereicht. Nun warten er und seine Schwester auf die Rückmeldung.
Dizlek wünscht sich, dass er
ihr bald dasselbe bieten kann, wie Zeki Yildirim seinen Verwandten: Ruhe
und Sicherheit, um die seelischen Wunden heilen zu lassen.
Original