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Manchmal, wenn digitale Videos schlecht komprimiert sind, bilden sich sogenannte Artefakte. Pixelfehler, die Gesichter, Tiere, Landschaften ins knallbunte, unkenntliche verzerren. Ganz ähnlich scheinen die 20 Erzählungen in "Der Trost runder Dinge" zu arbeiten. Hinter der Realität scheint es stets noch eine zweite Ebene zu geben, die sich durch Verzerrungen und Systemfehler ankündigt, bevor sie alles übernimmt und zum Absturz bringt.
MDR KULTUR - Das Radio Di 12.02.2019 07:10Uhr 06:24 min
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Sprachlich ist Clemens Setz in "Der Trost runder Dinge" wieder einmal voll auf der Höhe seiner Kunst. Metaphern und Analogien sind meistens schräg und sorgen für einen seltsamen, unheimlichen Grundton, der sich durch fast alle Erzählungen zieht. Manchmal schafft Setz es aber auch, andere Erzählmodi fast perfekt zu imitieren. Der Text "Spam" ist im Duktus einer Spam-Mail geschrieben, die einmal zu oft durch ein Übersetzungsprogramm gejagt wurde. Trotzdem finden sich immer wieder unfassbar schöne Formulierungen darin. Etwa, dass der Jura-Abschluss des Sohnes für die Mutter "Gipfelkreuz aller Biographie" ist. "Die Katze wohnt im Laland'schen Himmel"kommt dagegen wie eine Schauergeschichte im Stil W.G. Sebalds daher. Sie erzählt von einem Mann, der auf einen Maler stößt, der ein grauenvolles Sternbild entdeckt hat und darüber verrückt wird.
Die Protagonistinnen und Protagonisten der Erzählungen scheinen auf den ersten Blick, ganz normale Menschen zu sein. Setz schreibt über Ärzte, Schulkrankenschwestern, Teenager. Erst in der Innenperspektive offenbart sich bei vielen Unaussprechliches. Die Schulkrankenschwester entführt etwa einen Jungen, nachdem ihr eröffnet wird, dass man ihre Stelle streichen muss. In wenigen Sätzen deutet der Autor aber noch weitaus drastischere psychische Probleme bei der Frau an. In "Das alte Haus" besucht ein Mann das Haus, in dem er angeblich aufgewachsen ist. Der Elektroschocker in seiner Tasche lässt Ungutes ahnen, aber die Bewohner erscheinen mit ihrer übermäßig geduldigen Freundlichkeit nicht weniger bedrohlich. In diesen Geschichten schürt Setz erst Empathie und Mitgefühl für vom Leben geschlagene Figuren, bevor er sie geradezu unmoralische Dinge tun lässt.
Zusammengehalten werden die 20 Texte durch immer wieder auftauchende Figuren und Themen. Angst und Panik spielen eine große Rolle. Aber vor allem auch die Unfähigkeit, zu kommunizieren. Setz' Figuren reden oft aneinander vorbei, artikulieren sich nicht klar oder es ist ihnen gleich ganz unmöglich, auszusprechen, was mit ihnen los ist. Diese Unfähigkeit führt die Figuren oft in immer tiefere Abgründe, die Setz manchmal nur mit einem wohlkalkulierten Nebensatz offenlegt und die dann umso schlagkräftiger daherkommen.
Bei all der fehlschlagenden Kommunikation ist es bittere Ironie, dass die Texte von modernen Kommunikationsmitteln durchdrungen sind. Überall sind Laptops und Handys im Einsatz und doch erreichen sich die Figuren nicht, jeder bleibt gefangen in seiner eigenen subjektiven Weltwahrnehmung, nur um dann und wann mit der vollkommen verstörenden Realität der anderen konfrontiert zu werden. Damit legt Setz ein zutiefst menschliches Problem offen.
Angaben zum Buch Clemens J. Setz: "Der Trost runder Dinge" Suhrkamp, 2019 Gebunden, 320 Seiten Preis: 24 Euro ISBN: 978-3-518-42852-8
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 12. Februar 2019 | 07:40 Uhr
Zuletzt aktualisiert: 12. Februar 2019, 04:00 Uhr