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Laniers These ist schlicht und ergreifend die, dass bestimmte Internetdienste zu einer Erosion der Gesellschaft führen. Und zwar die Dienste, die mit selbstlernenden Algorithmen Inhalte präsentieren wollen, die für den einzelnen Nutzer am relevantesten sind. Dazu zählt er nicht nur die klassischen sozialen Netzwerke, wie Facebook und Twitter, sondern auch Google. Und dann führt er eben zehn gute Gründe an, warum man seine Konten dort löschen sollte. Er sagt - und ich zitiere da jetzt einfach mal aus dem Inhaltsverzeichnis - "Social Media macht dich unglücklich", "Social Media tötet dein Mitgefühl", "Social Media macht Politik unmöglich" und "Social Media macht dich zum Arschloch".
Das A-Wort ist bereits ein Hinweis darauf, wie das Buch geschrieben ist: Nämlich tatsächlich auf Augenhöhe mit den Lesern. Lanier ist ein unglaublich kluger Mensch, der Begriffe wie Avatar oder Virtual Reality miterfunden und geprägt hat. Er weiß also, wovon er redet, und er tut das in diesem Buch in einem ziemlich flapsigen, kumpelhaften Stil. Da rutscht ihm dann auch das A-Wort heraus, um Leute zu beschreiben, die in sozialen Netzwerken pöbeln und andere beschimpfen.
Lanier bezeichnet die Sozialen Medien als "Bummer": Das ist im Englischen Slang für "Enttäuschung" oder "Flop". Lanier hat daraus eine Abkürzung für all die Firmen gemacht, die mit Algorithmen das Nutzerverhalten manipulieren und diese Dienstleistung an Werbetreibende verkaufen, Firmen wie Google, Facebook und Twitter. Die sind für Lanier, der ja auch an das Internet als Werkzeug glaubt, das unser Leben besser machen kann, eine ziemliche Enttäuschung geworden.
Dass sich die Hoffnungen, die man in soziale Medien gesetzt hat, nicht erfüllt haben, ist in den letzten Jahren häufiger zu beobachten gewesen. Dennoch hat Lanier der Diskussion auch etwas Neues hinzuzufügen. Zunächst, weil er eine schlüssige Analyse dessen abliefert, was eigentlich gerade schiefläuft: Er erklärt, diese Enttäuschung, die wir verspüren, wenn soziale Netzwerke Menschen und Gruppen zur schlimmsten Version ihrer selbst werden lassen, als eine Entwicklung, die zwangsläufig geschieht. Das hat damit zu tun, dass die einzige Währung in sozialen Medien eben Aufmerksamkeit ist. Und der lauteste Schreier bekommt eben die meiste Aufmerksamkeit. Er führt dann auch ein Karrierenetzwerk als Gegenbeispiel an, bei dem die Leute einen Job suchen, wo es also um mehr geht als Aufmerksamkeit und wo es wesentlich zivilisierter zugeht. Das in dieser Klarheit und Pointiertheit auf knapp 200 Seiten nochmal einfach verständlich zusammengefasst zu bekommen, ist tatsächlich neu und gut.
Aber Lanier bewegt sich natürlich auch in einem Diskurs, und vieles von dem, was er beschreibt, ist schon seit Jahren bekannt. Er kritisiert zum Beispiel, dass soziale Medien die Ungleichheit befördern oder dass wir mit unseren Daten eigentlich gratis Rohstoffe an die Konzerne liefern. Das sind alles Stimmen aus dem Diskurs. Ich finde es ärgerlich, dass erst dieses Buch hier auf den deutschen Markt kommen muss. Viel davon konnte man schon vor Jahren lesen, aber vor allem in Büchern, die nie ins Deutsche übersetzt wurden. So ganz überzeugt hat er mich mit dieser Streitschrift nicht, mich nun aus den sozialen Netzwerken abzumelden. Aber als Journalist, der sich mit dem Thema beschäftigt, bin ich ja auch an soziale Netzwerke gebunden. Was ich aber gemacht habe ist, einen Teil der Apps zu löschen. Ich habe kein Facebook mehr auf dem Handy und versuche auch, möglichst ohne WhatsApp auszukommen. Aber das ist eben auch das Gute: Lanier liefert zehn gute Gründe, aber er sagt nicht, dass man muss. Am Ende geht man doch mit einem Optimismus raus. Und er gibt einem ja auch konkrete Vorschläge, was man stattdessen tun kann: Wieder Zeitungen zu abonnieren zum Beispiel. Für guten Journalismus zu bezahlen, anstatt drauf zu hoffen, dass man von Facebook schon keine Fake-News vorgesetzt bekommt. Also trotz allem ist Lanier ein Optimist geblieben, der mit seinem Buch das Internet wieder ein Stückchen geraderücken und besser machen will.
Auf jeden Fall ist das Buch zu empfehlen, wenn man sich mit dem Thema "Soziale Netzwerke und ihre Wirkung auf das gesellschaftliche Zusammenleben" noch nicht intensiv auseinandergesetzt hat. Lanier schreibt leicht verständlich, witzig, er kennt sich mit dem Thema aus und fasst alles gut zusammen. Wer schon einen Regalmeter Bücher zu dem Thema zu Hause stehen hat, der wird hier wahrscheinlich eher enttäuscht sein, weil dann doch nicht so viel Neues drinsteht und manches etwas verkürzt dargestellt wird.
Angaben zum Buch: "Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst" von Jaron Lanier, erschienen bei Hoffmann und Campe, 208 Seiten, 14 Euro.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 08. Juni 2018 | 16:10 Uhr
Zuletzt aktualisiert: 10. Juni 2018, 04:00 Uhr