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Tasmanien - Die Waldkriege sind nicht vorbei

Alter Regenwald im Südosten Tasmaniens

Nach wie vor werden in Australiens südlichstem Bundesland Tasmanien alte Bäume gefällt. Vor allem Naturschützer sind der Ansicht, die australische Holzwirtschaft könnte ihre Bedürfnisse längst aus Plantagen decken, statt wertvolle Urbestände zu schlagen. Ums Überleben kämpfen nicht nur riesige Eukalypten, sondern auch seltene Vogelarten - darunter der schnellste Pagagei der Welt.

Ein Bericht von Julica Jungehülsing in den AustralienStories der Riffreporter, Juli 2020

Tropfnass, still, riesig und alt, selbst die Luft wirkt hier Grün - wer einmal unter Tasmaniens uralten Eukalypten stand, vergisst diese Baumriesen nicht. Aus mindestens zwei Gründen: weil Alter und Naturgewalt Respekt einflössen, und weil ihr Erhalt so hart erkämpft ist. Ich stehe am bergab rauschenden Franklin River, der so sehr Fluss wie Symbol ist: Ihm verdankt die erste Grüne Partei der Welt ihre Gründung, zudem steht er für den größten Umweltprotest, den Australien je erlebt hat. Am Franklin im Süden des Bundesstaats Tasmanien siegte vor 35 Jahren die Natur: Der Fluß gehört heute zu jenem Fünftel der Insel, das als Welterbe geschützt ist. Anderswo ist der Kampf längst nicht überstanden. In der Tarkine-Region zum Beispiel, drei Autostunden nordwestlich des Franklin Flusses, protestiert die nächste Generation. Im Süden und Westen soll in Wäldern gefällt werden, in denen der leuchtend grüne Schwalbensittich ums Überleben kämpft, Lathamus discolor, Australiens Swift Parrot - der schnellste Papagei der Welt.


Ist der Waffenstillstand vorbei?

Jahrzehntelang spalteten die sogenannten Waldkriege, die forest wars, weite Teile der Gesellschaft von Tasmanien, einem sonst eher friedlichen Inselbundesstaat im Süden des australischen Kontinents. Die Konflikt-Formel auf einen - leicht vereinfachten - Nenner gebracht: Die Forstwirtschaft versorgt das einkommensschwache Bundesland mit Jobs und die Industrie mit Holz und Zellstoff - Naturschützer sehen uralte Baumbestände, die im kühlen Klima der gemäßigten tasmanischen Regenwälder nur langsam wachsen, nachhaltig bedroht oder zerstört. Und mit ihnen die Lebensräume für seltene und bedrohte Arten.

2013 sorgte das ' Tasmanian Forest Agreement' für einen Waffenstillstand: Der Friedensdeal zwischen Forstwirtschaft, Gewerkschaften und Naturschutzinitiativen bewahrte mehr als 500.000 Hektar Wald vor den Motorsägen, einige Gebiete wurden damals sogar zu neuen Reservaten: das Styx Valley zum Beispiel, wo die größten und höchsten Riesen-Eukalypten der Erde wachsen: Einige dieser eucalytpus regnans sind gut 500 Jahre alt, haben einen Umfang von über 20 Metern und wachsen mehr als 90 Meter hoch. Sie sind seit 2013 sicher.

Viele andere Vereinbarungen des Deals wurden seither modifiziert oder ganz über Bord geworfen. 2014 kamen in Tasmanien die konservativen Liberals wieder an die Macht, zerrissen den sogenannten Waldfriedensvertrag und machten der Forstwirtschaft diverse Geschenke. Eines war war die Neuklassifizierung von knapp 400.000 Hektar Wald, der verstreut über den ganzen Staat wuchs, hauptsächlich aber im Norden und Nordwesten: Was zuvor "Künftiges Reservatsland" war, bekam den Namen "Future Potential Production Forest" (FPPF) - künftiger Produktionswald.


Per Geländewagen durch Relikte der Aborigines

Im April 2020 endete ein Moratorium, das der Regierung seither erlaubt, 356.000 Hektar zuvor geschützter Wälder für die Holzindustrie zu öffnen. Während die meisten Tasmanier wie die übrigen Australier im Corona-Lockdown artig zuhause saßen, galten für die Forstwirtschaft als "wesentliche Dienstleister" Sonderregeln. Private Firmen begannen wieder zu roden. Aber auch die Protestbewegung schlief nicht.


Akut gefährdet ist eine Wildnisregion im Nordwesten: die Takayna oder Tarkine, mit 447.000 Hektar Australiens größtes zusammenhängendes Gebiet gemäßigten Regenwaldes. Auch hier sollte alter Wald gefällt werden. Für Designermöbel, sagte die Forstwirtschaft. Für Holzspäne, sagten die Aktivisten. Und es gibt noch andere Bedrohungen: Bergbau-Unternehmen sind scharf auf Zinn und andere Metalle. Geländewagenfahrer lieben die wilden Dünen und Strände der abgelegenen Region und brettern über ungeschützte Artefakte der Aboriginals. Auf vielen Landkarten taucht Tarkine nicht einmal auf: Im Norden begrenzt der Arthur, im Süden der Pieman Fluss die Region, im Osten der Murchison Highway im Westen der Ozean. Mehr als 30.000 Jahre lebte hier die Aboriginal-Gruppe der Takayna, an deren Kultur eine Vielzahl von Relikten erinnern.


Im Mai lockerte sich die Corona-Isolation, die ersten Aktivisten stiegen unter Berücksichtigung der "social-distancing"-Vorgaben auf Bulldozer und blockierten Rodungsgerät. Tasmaniens Regierung zeigte wenig Geduld, drohte gar der Naturschutzbewegung das Demonstrationsrecht zu entziehen, weil es "nicht sicher" sei, auf Bäume zu klettern.


Die Anti-Protest-Gesetzgebung der Insel ist berüchtigt: Der Oberste Gerichtshof setzte einige besonders scharfe Gesetze zuletzt 2017 außer Kraft, doch nur zwei Jahre später wurden sie leicht variiert und erneut ins Parlament eingebracht. Sechs Menschen, die an Takaynas Que River teils friedlich protestierten, teils Maschinen und ein Tor blockierten, wurden im Mai verhaftet. Am Que Fluss wurde uralter Regenwald gefällt. Mehrere Naturschutzorganisationen, einige im Verein mit berühmten Sponsoren wie Patagonia kämpfen weiterhin dafür, die gesamte Tarkine Region als Weltnaturerbe schützen zu lassen.


Wildnis - kein Werbeslogan für Abenteuer-Outfit

Im Südwesten Tasmaniens ist dieser Schutzstaatus seit Jahren Realität. 1,5 Millionen Hektar Wald, Flüsse und Gebirge werden dort nur unwesentlich von der Zivilisation gestört: Zur Tasmanian Wilderness World Heritage Area gehören inzwischen der Cradle Mountain und Lake St. Clair Nationalpark, die Hartz Mountains sowie die Mount Field, Wall of Jerusalem und South West Nationalparks. Wandern und bewundern ist hier erlaubt, Bäume fällen verboten. Seit 1983 gehört auch der Franklin und Gordon Wild Rivers Nationalpark dazu.

Nach den massiven Protesten verhinderte dort schließlich das Oberste Gericht, dass Regenwald und mäandernde Flussläufe - wie der Gletschersee Lake Pedder weiter südlich - unter einem Stausee verschwanden. Im gleichen Jahr erklärte die Unesco die Flusslandschaften zum Welterbe. Dennoch ist der Schutz von Natur und alten Regenwäldern keine Selbstverständlichkeit in Tasmanien.


Allein die Idee, diese majestätische Wildnis unter Wasser zu setzen, erscheint irrwitzig wenn man zwischen den mächtigen Bäumen am Franklin River innehält. Riesige Scheinulmen tragen Mäntel aus Moos, zwischen olivfarbenen Flechten bahnt sich der Fluss einen Weg über Gestein und zerborstene Stämme. Herrlich unaufgeräumt ist das Grün des gemäßigten Regenwaldes. Es riecht nach Pilzen, graugrüne Flechten hängen wie Elfenhaare von schimmernden Ästen. Irgendwo ruft ein Gelbbauchsittich, sonst ist es völlig still.

Ein Schild am Ufer erzählt von dem Umweltprotest, der die Tasmanier über Jahre hinweg spaltete: in Befürworter von Wasserkraftwerk Nummer 24 und dessen Gegner, die mit jahrelangen Kampagnen und zuletzt Blockaden das Fluten der Flüsse verhinderten. Mehr als 6.000 Menschen machten sich damals auf den Weg in den abgelegenen Küstenort Strahan um gegen den Staudamm zu demonstrieren, Protestmärsche auf dem Kontinent unterstützten die Kampagne, Dennoch wurden 1.500 Protestierende auf dem Fluss festgenommen.


Bob Brown, ab 1992 Chef der australischen Grünen, war damals Direktor der Wilderness Society und einer der Initiatoren des Protests. Er paddelte zwischen Hunderten anderen in Schlauchbooten auf dem "besetzten" Fluss, wurde von Gegnern angegriffen und von Polizisten festgenommen.


"Den Franklin zu fluten, wäre wie die Mona Lisa zu zerkratzen",

sagte Brown damals während der oft lebensgefährlichen Kampagne. 2012 zog sich Australiens berühmtester Grüner aus Parlament und Parteipolitik zurück. Er gründete die Bob Brown Foundation, mit der er seither nicht weniger entschlossen für Natur und Umwelt kämpft, vor allem in seiner Heimat Tasmanien.


Südwestlich von Hobart und in küstennahen Waldgebieten sorgen sich nicht nur die Bob Brown Foundation, sondern auch Arten- und Vogelschützer um den Swift Parrot. Der leuchtend grüne Schwalbensittich mit rotgelbem Gesicht und türkisfarbenen Flügelfedern brütet nur in Tasmanien. Im Südhalbkugelwinter fliegt er zur Nahrungssuche über die Bass Straße auf das australische Festland. Er hat eine eigene Twitterfangemeinde und wird erforscht und unterstützt von Vogelforschern an der Australian National University (ANU) - auch, weil er vom Aussterben bedroht ist - wie eine Vielzahl seiner Artgenossen: In ganz Australien wird das Überleben von mindestens zehn der 156 bedrohten Vogelarten als kritisch eingestuft. Insgesamt gibt es in Australien 828 Vogelarten.


Zu den Sorgenkindern der Difficult Bird Research Group der ANU-Wissenschaftler gehört auch der Forty Spotted Pardalote. Die getupften Panthervögel sind nicht größer als eine Streichholzschachtel und leben inzwischen nur noch auf einigen Tasmanien vorgelagerten Inseln wie Bruny Island. Dort sind sie auf Manna genannte Nahrung in den White Gum genanten Eucalyptus viminalis angewiesen. Auch ihr Überleben in Tasmanien ist - wie der der Orangenbauchsittiche und der Neuhollandeulen - durch Habitatverlust und Rodung gefährdet.


"In Tasmanien ist nur noch begrenztes Habitat für den Swift Parrot übrig. Zugleich hört die Abholzung dessen kritisch gefährdeten Lebensraums nicht auf, obwohl es dringend notwendig ist, den dramatischen Rückgang der Art aufzuhalten", sagt Jenny Weber, Sprecherin der Bob Brown Foundation. Sie kritisiert die Abholzung der südlichen Inselwälder durch die umstrittene Firma Ta Ann aus Borneo. "Tasmaniens Forstbehörde hätte 2020 einen Plan verabschieden sollen, der alle einheimischen Wälder von der Abholzung ausschließt, einschließlich des Lebensraums für den kritisch gefährdeten Vogel."

Stattdessen muss der schillernde Papagei vorerst weiter auf seine Fangemeinde setzen.


5.813 Millionen Tonnen Holzfasern

Tasmanien hat eine Fläche von 6,81 Millionen Hektar - 68.100 Quadratkilometer - und ist damit etwas kleiner als Irland.


Fast die Hälfte der Insel - 3,35 Millionen Hektar - ist bewaldet, davon sind 91 Prozent heimischer Wald, die übrigen 9 Prozent Forstplantagen.


69 Prozent des heimischen Waldes ist Eukalyptuswald, zu den Nicht-Eukalyptuswäldern gehören Regenwälder und Wälder mit Mimosen, Myrthenheiden, Silber-Akazien, Kausarinen und Zypressenarten.


Wie kompliziert der tasmanische Wald ist, zeigt die Tatsache, dass sich in Australiens kleinstem Bundesland nicht weniger als vier Behörden um ihn kümmern, beziehungsweise darum, was mit den Hölzern der Wälder passiert. Gleich zwei von ihnen - Sustainable Timber Tasmania und Private Forests Tasmania schreiben in ihren Selbstdarstellungen das Wort "Nachhaltig" ( sustainable) groß. Ob sie das immer auch so meinen, ist umstritten. Zu ihren Aufgaben gehört die Holzwirtschaft auf staatlichem beziehungsweise privatem Land. Zudem reguliert und verwaltet die Forest Practices Authority Markt und Umwelt, und über allen dreien steht das Department of State Growth, das sich um die wirtschaftliche Entwicklung des Bundeslandes im Allgemeinen kümmert, zu der der Wald im Besonderen gehört.


Knapp zwei Drittel (59 Prozent) der heimischen Wälder Tasmaniens, das sind 1,79 Millionen Hektar, stehen unter Schutz, dazu gehören 85 Prozent der alten Wälder.

Im Wirtschaftsjahr 2018/19 wurden Bäume zu 5.813 Millionen Tonnen Holzfasern bzw Zellstoff verarbeitet. Etwa 78% davon kam aus Plantagen. Gut 3.000 Menschen waren in dem Zeitraum direkt in der Holzindustrie beschäftigt.


Quelle der Zahlen: Department of State Growth
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