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"Unbelievable" und "When They See Us": Die besten Serien über wahre Verbrechen

Nach dem Erfolg von "American Crime Story" über den Gerichtsprozess von O.J. Simpson und in der zweiten Staffel über den Mord an Versace hat Netflix in den letzten Monaten zwei grandiose True-Crime-Serien veröffentlicht. In "Unbelievable" wird ein Serientäter gesucht, der Frauen vergewaltigt, und in "When They See Us" werden fünf unschuldige Jugendliche für eine Vergewaltigung angeklagt, die sie gar nicht begangen haben. Zwei Empfehlungen für bewegende, erschütternde und gesellschaftlich hochaktuelle Serien.



Marie passiert etwas, was man nur aus den allerschlimmsten Albträumen kennt: Sie schläft wie jede Nacht zu Hause, als sie von einem maskierten Mann mit einem Messer in der Hand geweckt wird. Er fesselt sie, verbindet ihr die Augen, vergewaltigt sie, verschwindet wieder.

Niemand glaubt dem Vergewaltigungsopfer

Ein unglaublicher Fall. So unglaublich, dass ihr auch die Polizei nicht glaubt. Die Jugendliche Marie muss sich einer ausführlichen Untersuchung im Krankenhaus unterziehen, immer wieder genau den Vorfall schildern und die bedrängenden, in die Ecke treibenden Fragen von zwei Polizeibeamten beantworten. Marie gilt als "schwieriges" Mädchen, das in verschiedenen Pflegefamilien aufgewachsen ist und nun in einer betreuten Wohnungseinrichtung lebt. Auch ehemalige Pflegemütter von ihr zweifeln - bis sich Marie selbst gar nicht mehr so sicher ist, was sie da eigentlich genau erlebt hat.

Basiert auf einer Pulitzerpreis-gekrönten Recherche

Diese wahre Geschichte erzählt die erste Folge der Netflix-Serie "Unbelievable" - und sie ist schwer zu ertragen. Nicht, weil hier ein furchtbares Verbrechen gezeigt wird. Davon sieht man kaum etwas, keine nackten Körper, auch nicht den Akt an sich. Unerträglich ist das Prozedere, durch das Marie durch muss, weil es so realistisch ist. Denn die Serie von Susannah Grant, Ayelet Waldman und Michael Chabon basiert auf der mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Recherche der Journalisten T. Christian Miller und Ken Armstrong. Es ist fast alles so passiert, wie in der Serie geschildert.

Tolle weibliche Kommissarinnen

Zum Glück geht die Geschichte nach dieser ersten Episode aber weiter und zeigt auch, wie ein sensibler, helfender Umgang mit Vergewaltigungsopfern aussieht. Die beiden Kommissarinnen Grace Rasmussen und Karen Duvall ermitteln in ähnlichen Fällen wie Maries, aber sie sind gegenüber den Opfern einfühlsam und hilfsbereit - und vor allem glauben sie ihre Geschichten und wollen einfach nicht aufgeben, egal wie gut der Täter seine Spuren verwischt.

Solch sympathischen weiblichen Charaktere gibt es selten in Serien zu sehen. Frauen, die Zweifel haben, die trotzdem professionell sind, die Empathie zeigen, die ein normales Leben führen und bei denen nicht die ganze Zeit darauf verwiesen wird, dass ihre Karriere für ihre Familie oder Ehe ein Problem sein könnte. Sondern die halt einfach ihren Job machen und dabei nicht nur ernst, sondern auch mal witzig sind. Dass sie sie so sympathisch wirken, liegt auch an den grandiosen Hauptdarstellerinnen Toni Collette und Merritt Wever. Auch Marie wird in ihrer Überforderung und Abwehrhaltung toll und tiefgründig von Kaitlyn Dever gespielt. Und so entwickelt die Serie, die so unerträglich angefangen hat, eine Spannung und einen Sog, dass man nicht mehr ausschalten und unbedingt wissen will, ob und wie sie den Täter kriegen.

Bewegendste True-Crime-Serie

Dass "Unbelievable" das Verbrechen auch aus Opfersicht schildert und zeigt, wie sehr solch eine Misshandlung das Leben durcheinanderbringt, dass die Serie Gewalt an Frauen nicht einfach nur nebenbei thematisiert, dass deutlich wird, wie oft solche Gewalt vorkommt und wie wichtig weibliche Blickwinkel in der Gesellschaft von Polizeirevier bis Anwaltskanzlei sind, macht sie zur besten und bewegendsten True-Crime-Serie, die sich vor allem Männer anschauen sollten. Und alle anderen auch.

Infos zur Serie "Unbelievable" Idee: Susannah Grant, Ayelet Waldman, Michael Chabon Darstellerinnen: Toni Collette, Merritt Wever, Kaitlyn Dever Eine Staffel mit acht Episoden (je 43-58 Minuten) Läuft bei Netflix

Wahr und erschütternd ist auch die Geschichte, die in "When They See Us" erzählt wird. Fünf Jugendliche - vier von ihnen sind Schwarz, einer ist Latino - werden 1989 der Vergewaltigung an einer Joggerin im New Yorker Central Park verdächtigt. Sie werden so lange und so unfair verhört, dass sie den Mord am Ende gestehen, weil sie glauben, dass sie hier endlich rauskommen, wenn sie tun, was die Polizisten von ihnen wollen. Später ziehen sie ihre Geständnisse zurück, werden aber nach einem Gerichtsverfahren zu jahrelangen Gefängnisstrafen verurteilt.

Skandal aus Opfersicht

Die Verhaftung der "Central Park 5" bekam 1989 viel Medieninteresse, außer den Familien und einigen Aktivisten glaubte niemand an ihre Unschuld, Donald Trump forderte damals in großen Werbebeiträgen sogar die Todesstrafe. Dass die fünf Jugendlichen unschuldig einsaßen, wurde erst mehr als 20 Jahre später zu einem Skandal, den nun die Filmemacherin Ava DuVernay - die mit "Selma" 2015 für den Oscar nominiert war - in einer vierteiligen Miniserie verfilmt hat.

Sie zeigt die Geschichte aus der Perspektive der Jungs und bleibt nah an ihnen dran. Sie verstehen die Welt nicht mehr und die Zuschauer auch nicht: Wieso müssen diese vier jungen und naiven Teenager, die teilweise gar nicht zu wissen scheinen, was eine Vergewaltigung ist, ins Gefängnis? DuVernay begleitet sie im Gefängnis und in der Zeit danach. Die realen Personen haben mit ihr zusammengearbeitet und zeigen sich im Nachhinein von der Verfilmung ihrer Geschichte begeistert. Die Schauspieler glänzen, vor allem Jharrel Jerome, der den 16-jährigen Korey Wise spielt, der als einziger der Fünf ins Erwachsenen-Gefängnis muss und dessen Geschichte eine eigene Folge bekommt. Jerome spielt ihn auch im Älterwerden überzeugend warmherzig, naiv und zunehmend verrückt werdend.

Nicht nur wegen Trump hochaktuell

Eine hochaktuelle Serie, nicht nur wegen des Seitenhiebes auf Donald Trump, der damals noch gar nichts mit Politik zu tun hatte. "When They See Us" zeigt, wie Rassismus funktioniert und wie strukturell er in der gesamten Gesellschaft vorkommt. Sie zeigt auch, wie schwer es ist, nach einer Gefängnis-Strafe wieder im Leben anzukommen. Und die Serie macht deutlich, wie wenig Interesse Weiße für die Schicksale von Nicht-Weißen haben - und ändert das hoffentlich gleichzeitig. Denn "When They See Us" benennt im Titel schon das Problem: Wenn sie uns sehen! Dank der Serie, die in den USA laut Netflix zu den meistgesehenen überhaupt zählt, kann man nun nicht nur "sie" sehen, sondern auch das Unrecht, das ihnen angetan wurde.

Infos zur Serie "When They See Us" Idee: Ava DuVernay Darsteller: Jharrel Jerome, Asante Blackk, Caleel Harris, Ethan Herisse, Marquis Rodriguez Eine Staffel mit vier Episoden (je 70 Minuten) Läuft bei Netflix


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