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Wenn dem Wasser die Kraft ausgeht

Spärlicher Niederschlag und hohe Temperaturen: Im vergangenen August sanken die Pegelstände entlang der Donau. Erstmals musste Österreich im Sommer Strom importieren, da die Eigenproduktion aus Wasserkraft nicht ausreichte. © apa / R. Schlager

Juli 2022. Während Europa den heißesten Sommer seit Beginn der Messaufzeichnungen erlebt, produzieren Österreichs Wasserkraftwerke um rund ein Drittel weniger Strom als im Jahr davor. Nur 77 Prozent des österreichischen Strombedarfs können damit abgedeckt werden. Der Rest wird importiert. Das ist ungewöhnlich, denn bis zum vergangenen Sommer galt Österreich als Stromexporteur: Im Juli 2021 wurden noch 257 Gigawattstunden Strom verkauft - so viel, wie rund 64.000 Haushalte verbrauchen.


Was 2022 noch ein Novum war, könnte in den kommenden Jahren aber die Regel sein. Denn warme, niederschlagsarme Winter und Hitzeperioden werden aufgrund des menschengemachten Klimawandels häufiger und intensiver. Und das wirkt sich in der heimischen Energieproduktion vor allem auf die Wasserkraft aus, die für den Großteil der österreichischen Stromgewinnung verantwortlich ist.


Laut den Erkenntnissen des Forschungsprojekts "SECURES" der TU Wien, das seit 2020 der Frage nachgeht, wie die heimische Energieversorgung in Zeiten des Klimawandels gesichert werden kann, werden aber nicht nur die Sommer künftig anders sein. "Generell sehen wir in den Szenarien der Wasserkraft keinen Rückgang der jährlichen Gesamterzeugung, sondern eine starke zeitliche Veränderung", sagt Franziska Schöniger, die das Projekt als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin betreut. Im Sommer werde demzufolge künftig weniger Energie durch Wasserkraft erzeugt, im Winter aber mehr, und das, "je stärker der Klimawandel fortschreitet". Beobachtungen, die sich mit denen des größten österreichischen Stromproduzenten Verbund decken: Die Erzeugung nehme nicht ab, sie verteile sich stärker über das Gesamtjahr.


Regen statt Schneefall

Ein Grund für die zeitliche Veränderung der Stromproduktion liegt im Aggregatzustand des Wassers. Niederschlag im Winter ist als Regen schneller für die Stromproduktion verfügbar als Schneefall: "Wenn wir trockene Winter haben, dann wirkt sich das bei uns im Alpenraum nicht sofort aus, sondern erst später, wenn zwischen März und Juni die Schneeschmelze einsetzt", sagt Schöniger. Bleiben große Schmelz- und Regenwassermengen bis zum Sommer aus, gibt es in den Flüssen damit also weniger Wasser, um die Turbinen der Kraftwerke anzutreiben. Nimmt die Verdunstung durch immer heißere Sommer zu, verstärkt sich der Effekt.


Die geringer werdenden Produktionskapazitäten sind aber nicht die einzige Herausforderung für die Energieversorger. Denn während die Wasserkraft im Sommer weniger Strom liefern wird, dürfte der Verbrauch spürbar steigen. "Durch die hohen Temperaturen im Sommer brauchen wir mehr Strom für die Klimatisierung", erklärt Franz Angerer, Geschäftsführer der Österreichischen Energieagentur. Derzeit wird hierzulande - anders als etwa in den Mittelmeerländern - in der wärmsten Jahreszeit noch weniger Energie verbraucht als im Winter.


Europaweit trocken

Zwei Länder erleben derzeit besonders intensiv, was es bedeutet, wenn einem trockenen Sommer ein niederschlagsarmer Winter folgt: In Frankreich ist der Winter laut dem staatlichen Wetterdienst Meteo France einer der trockensten seit Beginn der Messaufzeichnungen im Jahr 1959. Und auch in Italien lechzen Flüsse und Seen landesweit nach Wasser. Dem Santa-Giustina-Stausee im Trentino fehlen rund 30 Millionen Kubikmeter Wasser. Ein Volumen, das ausreichen würde, um den Kärntner Faaker See beinahe vollständig zu füllen.


Weil nicht genug Wasser in den Reservoirs ist, stehen im Trentino schon jetzt einige Wasserkraftwerke still. "Im Moment liegt auf den Gipfeln nur wenig Schnee, und selbst bei Tauwetter wird nur wenig Wasser ankommen. Wir hoffen nun, dass die Niederschläge in den kommenden Monaten wieder das normale Niveau erreichen, um das fehlende Wasser auszugleichen", sagt Mario Tonina, Vizepräsident der Provinz der Lokalzeitung "l'Adige".

Ähnlich mild wie in Norditalien war auch der Winter hierzulande: In der 256-jährigen Messgeschichte waren im Tiefland nur fünf Winter milder. Auf den Bergen belegt der Winter 2022/23 den zwölften Platz in der 172-jährigen Messreihe. Aussagekräftiger als die Durchschnittstemperatur für die Wasserkraft ist aber der Niederschlag. Während dieser in der österreichweiten Auswertung im Mittel lag, gab es regional sehr starke Unterschiede: im Süden und stellenweise im Osten um bis zu 45 Prozent niederschlagsreicher, im Westen Österreichs 15 bis 60 Prozent trockener als im langjährigen Durchschnitt. "Wenn es wenig regnet und wenig schneit, dann wirkt sich das schnell auf die Stromerzeugung aus", sagt Angerer. In der Donau fließe momentan knapp 1.200 Kubikmeter Wasser pro Sekunde durch die Wachau. "Im Vergleich zum langjährigen Durchschnitt von rund 1.900 Kubikmeter ist das natürlich wenig", sagt Angerer, der wie Tonina auf Niederschlag in den kommenden Monaten hofft.


Vollständig erschöpft sieht die Energieagentur das Potenzial Österreichs wichtigste Energiequelle dennoch nicht. "Wir können uns schon vorstellen, dass zu den aktuell 40 Terawattstunden jährlicher Produktion bei der Wasserkraft noch vier oder fünf Terawattstunden dazukommen", sagt Geschäftsführer Angerer. Zum einen müssten einige Donaukraftwerke altersbedingt erneuert und im Zuge dessen verbessert werden, zum anderen gebe es noch Potenzial bei den Kleinwasserkraftwerken. Zusätzlich sollen auch neue Pumpspeicherkraftwerke entstehen, die neben den Schwankungen bei Wind- und Sonnenenergie wohl auch die sich verändernden Produktionszyklen bei der Wasserkraft bis zu einem gewissen Grad kompensieren können.


Speicher und Netzausausbau

Aus Sicht der TU-Forscherin Schöniger wird es in Zukunft aber noch weiterer Flexibilitätsoptionen brauchen. "Wir benötigen mehr Speicher, bessere Netze und auch Technologien, die auf Abruf erzeugen können", sagt die Wissenschaftlerin. "Zum Beispiel die Rückverstromung von Wasserstoff."


Dass sich Produktionsengpässe zukünftig wohl nicht mehr so einfach durch Stromimporte ausgleichen lassen werden, hat bereits der vergangene Sommer gezeigt. Denn durch den Klimawandel werden nicht nur milde Winter und Hitzeperioden häufiger, auch die Wassertemperatur steigt an, was direkte Folgen für das europäische Stromnetz hat. So musste in Frankreich im vergangenen Sommer für das Kühlwasser zahlreicher Atomkraftwerke eine Notverordnung erlassen werden. Damit durften AKW Kühlwasser mit einer höheren Temperatur einleiten, als zum Schutz der Natur eigentlich vorgeschrieben ist.

Auch Angerer beschäftigen Gedanken rund um die Kühlung der Kraftwerke: "In Frankreich war es in den letzten Monaten extrem trocken, das heißt, die Atomkraftwerke haben bereits jetzt zu wenig Kühlwasser und das könnte sich in den kommenden Monaten noch verheerend auswirken", sagt der Energieagenturchef. Ähnliches gelte auch für Italien: "Wenn diese beiden Länder in der Stromproduktion deutlich ausfallen, werden wir wieder massiv hohe Preise haben. Da hilft uns der Photovoltaik-Zubau der letzten Jahre wahrscheinlich nicht über die Runden."

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