Als Bestattungsunternehmerin Karla Fazius muss sie sich mit dem Tod ihres Ehemanns abfinden und entdeckt bei dessen Beerdigung ihr Talent zur Trauerrednerin: Anke Engelke glänzt in einer tragikomischen Mini-Serie - und befreit sich von "Ketten".
Sie ist seit langem ein allgegenwärtiger Fernseh-Promi: Bei den privaten Sendern mit der "Wochenshow" als Ricky und in "Danke, Anke" bekannt geworden, beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk regelmäßig vor der Kamera - als Moderatorin des Eurovision Song Contest 2011 und des Deutschen Fernsehpreises, als Schauspielerin (Tatort, Lindenstraße, Kommissarin Lucas), auch auf der Kinoleinwand ("Der Wixxer", "Lippels Traum" oder "Frau Müller muss weg!"). Dazu singt Anke Engelke, synchronisierte March Simpson und Dorie (aus "Findet Nemo"), gewann unzählige Preise (mehrfach Deutscher Comedypreis, Adolf-Grimme-Preis, Bayerischer Fernsehpreis) - und jetzt hat sie erstmals eine eigene Serie auf Netflix. Auch ein Zeichen dafür, dass die großen Streaming-Anbieter immer wichtiger und attraktiver für Film- und Fernsehstars werden.
"Wir müssen uns von Ketten befreien"Nun hält sie also Trauerreden. Anke Engelke als Karla Fazius, eine extrovertierte Frau im Bestattungs-Business, die schräge Einfälle hat und meist - wie schon der Titel der Serie verspricht - "Das letzte Wort" behält. So kennen wir Engelke in ihren Rollen, sympathisch, lustig, ein bisschen grotesk und irgendwie anders. Die Serie "Das letzte Wort" ist denn auch eine Tragikomödie, die in erster Linie von ihrer Hauptdarstellerin lebt.
Prominent in Film und Fernsehen
Neu ist, dass wir sie, die Engelke, jetzt auf Netflix sehen können, neben Amazon, AppleTV+ und Disney+ einer der großen Streaming-Anbieter in Deutschland, die immer marktbeherrschender und damit einflussreicher werden. Für die Schauspielerin und Moderatorin allerdings macht das keinen Unterschied: "Ich glaube, wir müssen uns alle ein bisschen befreien von den Ketten, in denen wir uns befinden, dass man schauen muss, wo etwas dann später wahrgenommen werden kann. Man geht ins Kino, man schaut was im Fernsehen oder bei Streaming-Diensten. Das tun doch alle. Ich finde es schwierig zu sagen, das ist so ungewöhnlich. Ich finde das nicht ungewöhnlich."
"Wunderbare Produktionen"Nicht ungewöhnlich, im Gegenteil, ein anhaltender Trend. Immer mehr bekannte Film- und Fernseh-Grössen arbeiten auch in Deutschland für und mit den Streaming-Diensten zusammen. Zuletzt stand Jessica Schwarz als eiskalte Universitäts-Professorin in "Biohackers" (bei Netflix) vor der Kamera, Daniel Brühl gibt den "Alienist", Jan Böhmermanns "BildundTonFabrik" produziert die Erfolgsserie "How To Sell Drugs Online (Fast)" und Engelkes ehemaliger "Wochenshow"-Kollege Bastian Pastewka wechselte mit seiner eigene Comedy-Serie von Sat. 1 zu Amazon. Was sagt Anke Engelke zum Streaming-Hype?
"Hypes per se mache ich nicht mit, das finde ich eher blind. Aber ohne Streaming-Dienste wäre ich nicht in den Genuss von 'Breaking Bad' gekommen oder 'House of Cards' oder 'Fleabag' - das sind wunderbare Produktionen."
Seit der Jahrtausendwende hat sich die Fernsehlandschaft ausgehend von den USA und den HBO-Qualitätsserien "Breaking Bad", "The Sopranos" oder "Mad Men" bekanntlich nachhaltig verändert. Seitdem wurden die Streaming-Dienste mit ihren Eigenproduktionen zu "Big Players" und gewannen prominente Schauspielerinnen wie Reese Witherspoon und Ellen Page, Regisseure wie Martin Scorsese und Ridley Scott für ihre Millionen-Projekte. Netflix hat im vergangenen Jahr 15,3 Milliarden Euro für seine Inhalte auf der ganzen Welt ausgegeben, hat allerdings wohl auch fast genauso viele Schulden.
"Dreckige Thriller" sind in Deutschland schwierigDer deutsche Regisseur Thomas Sieben, der seinen Thriller "Kidnapping Stella" 2019 auf Netflix veröffentlichte, begründet das so: "Ich glaube, dass ganz andere Geschichten möglich sind aus Deutschland. Deutschland ist ja bekannt für Krimis. Wenn man aber sagt, ich habe hier einen dreckigen Thriller, dann ist das viel schwieriger, den zu finanzieren, und da gibt es bei Netflix einen ganz anderen Ansatz. Das Programm ist immer abrufbar, man ist nicht an eine FSK gebunden."
Tac Romey von der Hochschule Film und Fernsehen München nennt noch einen weiteren Vorteil, nämlich "dass die Plattformen die Möglichkeit bieten, ein sehr großes Publikum zu erreichen, und das spannende ist ja nicht nur ein Publikum in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt."
170 Millionen Abonnenten hat Netflix in 190 Ländern (nur in China, Nordkorea und Syrien ist der Dienst nicht verfügbar), hierzulande nutzt bereits jeder Dritte Streaming-Angebote - und kann dann Produktionen aus Brasilien, Japan oder Polen in Synchronisierungen sehen. Die Corona-Krise hat das Wachstum in diesem Jahr zusätzlich beschleunigt und die Anbieter weiter in den Mainstream gerückt.
Unfaire ArbeitsbedingungenAuf Abruf streamen ist vergleichsweise günstig und liegt im Trend, aber es gibt auch zahlreiche Kritikpunkte, wegen der Monopolstellung der Streaming-Riesen, zu möglicher Einflussnahme auf oder Kommerzialisierung von Filmen, zur Konkurrenz für kleine Kinobetreiber, die sich immer wieder beschweren. Oder zu unfairen Arbeitsbedingungen, wie sie bei der Serie "How To Sell Drugs Online Fast" bekannt wurden.
Und dann sollte sich jeder Zuschauer selbst fragen: Will ich meine Fernseh-Vorlieben kostenlos zur Analyse freigeben? Und mir von Algorithmen Filme und Serien empfehlen lassen? Anke Engelke jedenfalls setzt bei der Frage Kino, lineares Fernsehen oder Streaming auf Pluralität: "Ich mache alles. Ich bin, was die Kunst angeht, total offen. Also: Ich mache alles."
"Das letzte Wort" startet auf Netflix am 17. September.