Der „harte Lockdown" - die einen fürchten ihn, die anderen sehnen ihn herbei. Und ich, ich fasse mir bei jeder neuen Meldung an den Kopf. Nicht wegen der politischen Maßnahmen, vielmehr wächst meine Abneigung gegen den Begriff „Harter Lockdown".
Denn wir verwenden ihn nicht nur falsch und unpräzise: Wer die hiesigen Corona-Einschränkungen als „Harten Lockdown" beschreibt, wird Schwierigkeiten bekommen, die Zustände in China, Italien oder afrikanischen Staaten, wo tatsächlich wochenlang strenge Ausgangssperren herrschten, noch adäquat zu benennen.
In dieser Rubrik geben wir Autorinnen und Autoren die Gelegenheit, über ihr persönliches Hasswort zu schimpfen. Eine Redewendung oder Formulierung, die nervt, sinnlos ist oder falsch eingesetzt wird - die aber ständig auftaucht, in Texten, im Radio oder im Fernsehen. Alle Hasswörter finden Sie hier.
Lockdown bedeutet, aus dem Englischen übersetzt, Ausgangssperre. So steht es auch im Duden. Wie hart oder weich die sein kann, steht dort nicht. Fest steht aber: Flächendeckende Ausgangssperren verordneten die Regierungen in Deutschland bisher nicht. Harte Ausgangssperren - was immer das sein mag - schon gar nicht.
Ohnehin klang das Ganze im März doch noch ganz anders. Als damals Geschäfte, Gastronomie und Schulen schließen mussten, hieß es in Medien und Politik noch: „Öffentliches Leben wird eingeschränkt". Die Wirtschaft nannte es „Shutdown", übersetzt ein Herunterfahren. Das ist ebenfalls ein unschöner Anglizismus, der stimmte aber wenigstens.
Und immer wieder wurde darauf hingewiesen, dass die Einschränkungen eben kein Lockdown seien. Hier zum Beispiel. Oder in sehr vielen „Es gab nie einen Lockdown"-Tweets.
Warum also bezeichnen wir ähnliche Einschränkungen wie damals heute nicht nur als „Lockdown", sondern gleich als „harten Lockdown"?
Die Maßnahmen in anderen LändernIn Italien durften Menschen ihr Haus wochenlang nur mit einem Zettel verlassen, der einen guten Grund dafür bescheinigte. China riegelte die Stadt Wuhan und weitere Regionen ab. In Südafrika verhängte die Regierung Ausgangssperren, die teilweise mit Polizeigewalt durchgesetzt wurden. Wer in Deutschland von einem „harten Lockdown" spricht, suggeriert solche Zustände wie in Ländern, die teilweise viel härter getroffen waren.
Der AutorJulian Hilgers arbeitet als Redakteur im Wirtschaftsressort der Mediengruppe RTL und als freier Journalist für verschiedene Medien. Neben Wirtschaft liegt sein Fokus vor allem auf Themen rund um den afrikanischen Kontinent. Er twittert unter @julianhilgers.
Was sich heute hinter der Diskussion um einen „Harten Lockdown" verbirgt, scheint ebenfalls niemand so recht definieren zu können. Wenn die „Tagesschau" „Merkel dringt auf harten Lockdown" titelt, meint sie Geschäftsschließungen und die Minimierung von Unterricht an den Schulen. Ein „Harter Lockdown spätestens ab Weihnachten" (NDR) in Schleswig-Holstein umfasst auch ein Alkoholverbot. Und der „harte Lockdown in Sachsen" („Die Welt") weitet unter anderem die Maskenpflicht aus. Tatsächlich diskutiert Sachsen nun auch Ausgangssperren. Und das im „harten Lockdown". Verrückt.
Der Begriff ist so undurchsichtig, wie die Maßnahmen selbst. Aber Sprache darf nicht beliebig werden. Besonders nicht, wenn die Regierung bei der Bekämpfung der Pandemie auf Vertrauen und auch Verständnis der Bevölkerung angewiesen ist. Wer von einem „harten Lockdown" spricht, dramatisiert, verunsichert (wir denken wieder an die Bilder aus China) und macht sich angreifbar. Das gilt für die Politiker*innen wie Wissenschaftler*innen und Journalist*innen gleichermaßen.
Problem erkannt und ignoriertEinige Medien haben das Problem sogar erkannt und verteidigen sich. Der „Faktenfinder" der „Tagesschau" argumentiert: „Eine eindeutige Definition des Begriffs Lockdown existiert im Deutschen bislang nicht." Wäre nicht gerade dann die Übersetzung die beste Option? Oder der Verweis auf den Duden? Der Deutschlandfunk räumt sogar ein, dass man das Wort „Lockdown" strenggenommen falsch benutze, man wolle aber „verstanden werden".
Ja, Journalismus muss verständlich sein. Aber: „Präziser", wie der Deutschlandfunk schreibt, ist der Begriff „Lockdown" nicht - und der „harte Lockdown" schon mal gar nicht.
Nein, er ist etwas anderes: Der Begriff ist bequemer. Plakativer. Das „Handelsblatt" erfindet so den „Lockdown-Paragraphen" (gemeint ist die Änderung des Infektionsschutzgesetzes). Und laut „Bild" droht sogar der „Knallhart-Lockdown". Der Superlativ unter den Beschränkungen. Was das Blatt wohl schreibt, wenn es - was ich natürlich nicht hoffe - auch in Deutschland mal zu tatsächlichen Ausgangssperren wie in Italien oder China kommt?
Formen Medien die Sprache? Oder ist es umgekehrt?„Sprachgebrauch ist in diesem Fall mächtiger als das Wörterbuch", schreibt der Deutschlandfunk zur Begründung. Aber ist das nicht ein Zirkelschluss? Beeinflussen nicht die Medien mit solchen Schlagzeilen den Sprachgebrauch?
Präzision und Differenzierung täte Politiker*innen und Journalist*innen jedenfalls gut. Wer sensibler und korrekter formuliert, erhält vielleicht weniger Aufmerksamkeit, aber unter Umständen mehr Verständnis.
Wahrscheinlich aber werden wir den „harten Lockdown" nicht mehr los. Das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache weicht die Definition bereits auf. Gut möglich, dass bald sogar der Duden nachzieht. Gut finden muss man das nicht.