Wer die Massen erreichen will, muss deren Sprache sprechen - rechte Wortführer wie Hofer oder Trump haben das verstanden. Auch wenn es schaurig klingt: Die Linke muss von ihnen lernen.
Verständlich sein für alle. Populisten wissen, wie das geht. Die Massen begeistern. Auch noch die letzten zersoffenen Gehirnzellen im Bierzelt abholen. Zur Not mit falschen Tatsachen, gedehnten Wahrheiten und unlogischen Gedankenschlüssen. In den vergangenen Monaten haben sich die Rechtspopulisten einen Platz in der Debattenlandschaft erobert, mit ihren Äußerungen spielen sie am Thermostat des gesellschaftlichen Klimas. Schön viel Pathos und Appelle ans Gefühl.
Und was machen die anderen? Die Zukunftsoptimisten, Progressiven, Linken? Menschen, die für die Gleichstellung von Männern und Frauen kämpfen, von Homo- und Heterosexuellen, für die Einwanderung und die Zukunft der EU? Sie führen vielversprechende Debatten - an der Gesellschaft vorbei.
Nehmen wir den Feminismus. Schon der Begriff schließt die männliche Hälfte der Gesellschaft aus. Dabei geht es nicht allein um Frauenrechte, sondern um Menschenrechte, um soziale Gerechtigkeit. Um diese zu erreichen, muss sich die ganze Gesellschaft hinter diesem Ziel versammeln. Das schließt eigentlich auch die Männer mit ein.
Wer gesellschaftlichen Wandel will, muss auch die Sprache der Gesellschaft sprechenDonald Trump hat es schon lange kapiert. Marine Le Pen auch. Norbert Hofer sowieso. Es geht um die Sache mit dem Volk und dem Maul. Trump, Le Pen und Hofer, sie alle halten Reden, die eine mal breitere, mal schmalere Masse der Bevölkerung ansprechen. Die behaupteten Tatsachen mögen fragwürdig sein, ihre Wirkung ist es nicht. Denn Trump, Le Pen, Hofer und die anderen im Club der Populisten erreichen einen beachtlichen Teil der Gesellschaft. Wie kann es sein, dass die Leute einem Hire-and-fire-Kapitalisten wie Trump zutrauen, eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen? Das liegt auch an der Sprache der Populisten.
Wer will, dass sich die Gesellschaft verändert, muss auch die Sprache der Gesellschaft sprechen. Dringlicher formuliert: Schließt die Leute nicht aus! Reißt die soziokulturellen Mauern nieder! Ja, man kann über Geschlechterrollen sprechen, ohne Judith Butler gelesen zu haben. Und ja, man kann auch die Auswüchse des Neoliberalismus kritisieren, ohne "Das Kapital" von Karl Marx durchgeackert zu haben. Aber halt, ein kurzer Einwurf, bevor die Verschwörungstheoretiker-Falle zuschnappt: Ganz sicher ist die Welt zu komplex für einfache Erklärungsmodelle und eindimensionale Argumentationen. Das darf aber keine Ausrede sein, um einen Großteil der Gesellschaft von vornherein auszugrenzen.
Was wir brauchen, ist eine tolerante, offene Debattenkultur: ein Sprechen über den gesellschaftlichen Wandel, das sich nicht darin verliert, die eigene Gruppe abzugrenzen - weder von rechts noch von links.
Die Rechtspopulisten haben die Linken rhetorisch überholt. Sie haben ihre Sicht auf die Welt weit in die gesellschaftliche Mitte getragen. Wenn in der Tagesschau die Rede vom "Flüchtlingsstrom" ist, dann ist das ein Triumph der Rechtspopulisten, die ihr Vokabular erfolgreich in den Diskurs eingespeist haben. Die Neue Rechte bedient sich für ihre Debattenstrategie bei dem italienischen Kommunisten Antonio Gramsci, der Anfang des vergangenen Jahrhunderts festhielt, dass sich Machtwechsel in westlichen Gesellschaften nicht mehr durch Revolutionen, sondern durch ideologische Überzeugungsarbeit in der Gesellschaft vollziehen. Gramsci prägte dafür den Begriff der Kulturellen Hegemonie. Die herrschende Gruppe stimmt sich mit den Interessen der untergeordneten Gruppe ab. Dieser Austausch bildet ein Gleichgewicht, das sich immer wieder verändert und neu zusammensetzt. Er bleibt den Reaktionären überlassen, wenn sich die progressiven Kräfte immer nur innerhalb ihrer eigenen Lebensblase reproduzieren, weil sie eine Debatte führen, der nur sie folgen können.
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