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Wo die Orangen immer blühen

SÜDKURIER, 23.12.16. Wenn Gonzalo Urculo früh morgens durch seinen Orangenhain in Bétera nahe Valencia spaziert, weiß er, dass er die richtige Entscheidung getroffen hat. Prall orange hängen die Früchte an den Zweigen, auf 2000 Schildern stehen Namen wie „Love of my life“, „Bettina“ oder „Daniel“: Keine neuen Sorten, sondern die Namen, die die Paten ihren Bäumen gegeben haben.
„Was wir hier machen, ist Landwirtschaft 2.0,“ lacht der 30-jährige Spanier und pflückt eine Clementine vom Baum. „Crowdfarming“ haben er und sein drei Jahre älterer Bruder Gabriel ihre Idee genannt: Für 80 Euro, später 60 Euro pflanzen die Landwirte treuhänderisch einen Baum. Der Pate erhält im Gegenzug die Jahresernte von 80 Kilogramm Orangen, Klementinen und Zitronen in Bio-Qualität – und kann via Internet das Wachstum seines Bäumchens verfolgen.
Rund 2000 Menschen aus fünfzehn Ländern haben in den letzten zwei Jahren eine Patenschaft übernommen, viele von ihnen besuchen ihr Bäumchen regelmäßig, im Sommer oder zur Ernte in den Winterferien. „Crowdfarming ist die nächste landwirtschaftliche Revolution“, gibt sich der junge Landwirt selbstbewusst.

Tatsächlich ist der Erfolg von „Naranjas del Carmen“ ein Hoffnungsschimmer für eine Branche, die seit Jahren in der Krise steckt.

Valencias Orangenbauern leiden unter der internationalen Konkurrenz und dem Druck der Zwischenhändler. Seit der Jahrhausendwende sind die Preise gefallen. Für ein Kilo Oranten erhalten Landwirte zwischen 13 und 16 Cent, für Klementinen 20 Cent. Das deckt oft nicht einmal die Kosten für Bewässerung und Dünger, von den Arbeitskosten ganz zu schweigen. Die Nachbarn der Brüder Urculo haben fast alle das Rentenalter überschritten, bewirtschaften ihr Grundstück nebenbei. Andere geben auf. Im Jahr 2015 ging die Anbaufläche in der Region um 1650 Hektar zurück. Eine Entwicklung mit schweren wirtschaftlichen - und ökologischen Folgen. Die verlassenen Plantagen lassen die Landschaft veröden, die Gefahr für Waldbrände steigt.

Auch Gonzalo und Gabriel Urculo wussten zunächst nichts mit ihrem Land anzufangen. Sie hatten die 25 Hektar große Finca von ihrem Großvater geerbt. Als Stadtmenschen – die beiden lebten damals in Madrid und Berlin - verbanden sie mit dem Hain vor allem Kindheitserinnerungen: Spazierfahrten auf dem Traktor, Nachmittage im Schatten der Bäume. Das Grundstück lag brach. Erst als die Eltern 2010 mit dem Verkauf des Familienerbes drohten, wagten die beiden den Sprung – aus „Sentimentalität“. Gonzalo, Wirtschaftswissenschaflter und Logistik-Fachmann, und sein Bruder, von Haus aus Ingenieur, versuchten sich als Biobauern, verkauften an Zwischenhändler und auf lokalen Märkten.

Doch erst 2013, als sie den Verkauf unbehandelter Zitrusfrüchte mit „Crowdfarming“ kombinierten, schrieb der Betrieb schwarze Zahlen. „Wir haben den Zeitgeist erkannt“, so der Nachwuchs-Landwirt. „Die Kunden möchten wissen, woher ihre Lebensmittel – und wer es produziert.“

Zwischen 1,50 und 3,50 Euro kostet bei ihnen das Kilo Orangen. Durch die Logistik und Kundenpflege ist die Arbeit sehr viel aufwändiger als bei traditionellen Betrieben, aber die Anstrengung lohnt. „Zu wissen, für wen ich die Orangen pflücke, beflügelt mich jeden Tag“, sagt Gonzalo und erzählt gerührt die Geschichte eines deutschen Pensionärs, der eigens nach Valencia reiste, um sein Bäumchen zu pflanzen und zwei Tage mit der Familie auf dem Landhaus verbrachte.

Inzwischen haben auch andere spanische Bauern den Trend erkannt, die Nachbarn blicken neugierig über den Zaun. Bei Naranjas del Carmen hat man nicht nur den Vertrieb, sondern auch die Anbaumethoden verändert. Während in den Grundstücken ringsum die Bäumchen dicht an dicht stehen, stehen Urculos Bäume bis zu sechs Metern auseinander. Nur so haben sie genug Licht. „Wir setzen nicht auf maximalen Ertrag por Hektar, sondern auf maximale Qualität pro Baum.“ Ausgetüftelt hat das System eine junge Agraringenieurin.

25 Menschen beschäftigt der Familienbetrieb inzwischen: Wenn der Bienenzüchter mit der Social-Media-Expertin diskutiert, stoßen schon einmal Welten aufeinander. Gonzalo Urculo musste mühsam lernen, dass sich in der Landwirtschaft nicht jede Marketing-Idee sofort umsetzen lässt. Inzwischen schätzt der Jungbauer das geruhsamere Tempo. Jeder neu gepflanzte Baum ist ein Vertrag zwischen ihm und der Finca seines Großvaters, für die nächsten 25 Jahre. So lange lebt ein durchschnittlicher Orangenbaum, so lange verpflichtet er sich, ihn zu hegen und pflegen.