Seitdem im Februar ein Wolfspaar im Südschwarzwald fotografiert wurde, ist die Aufregung in Baden-Württemberg groß. Denn es liegt nahe, dass die beiden bald Babys bekommen – sich also ein Rudel bildet. Und nicht nur unter Tierhaltern, die Angst um ihre Schafe, Rinder und Ziegen haben, wird gestritten, auch unter Politikern. Der Fraktionsvorsitzende der FDP in Baden-Württemberg, Hans-Ulrich Rülke, diskutiert im Interview mit Markus Rösler, Sprecher für Naturschutz der Grünen im Landtag und Nabu-Wolfsbotschafter.
Herr Rülke, Herr Rösler, im Schwarzwald könnte es bald ein Wolfsrudel geben. Fluch oder Segen für Baden-Württemberg?
Rülke: Ich wäre nicht erfreut über ein Wolfsrudel, das wäre eher Fluch für Baden-Württemberg. Es würde zur Frage führen: Reduzieren wir den Wolfsbestand, was wir nach momentaner Rechtslage nicht können – oder nehmen wir erhebliche Einbrüche beim Weideviehbestand in Kauf?
Rösler: Ein Wolfsrudel wäre weder Fluch noch Segen. Wenn der Wolf kommt, dann gehört er zur biologischen Vielfalt bei uns im Land. Und dann muss man sowohl mit den kritischen als auch mit den positiven Aspekten umgehen. Wichtig ist eine sachliche Auseinandersetzung.
Müssen Spaziergänger im Wald Angst haben vor dem Wolf?
Rülke: Ich gehe oft im Wald joggen und habe keine Angst. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr gering, dass ein Wolf einen Menschen angreift. Anders könnte es sein, wenn es zur Rudelbildung kommt.
Rösler: Wir haben in Deutschland seit 23 Jahren wieder Wolfsrudel, derzeit sind es 161. Und es gab noch keine Verletzten. In den letzten 50 Jahren in Europa mit rund 20 000 Wölfen gab es ein paar tödliche Angriffe – da hatten die Wölfe aber Tollwut oder wurden vorher angefüttert. Tollwut gibt es in Deutschland nicht. Ein angefütterter Wolf wurde in Niedersachsen auf Anweisung eines grünen Ministers abgeschossen. Wenn man die Fälle von Krankheit oder Anfüttern bei Wölfen abzieht, gibt es eine außerordentlich geringe Gefahr für Menschen in Europa.
Und inwiefern ist der Wolf eine Bedrohung für andere Tiere?
Rülke: Bereits mit den Einzelwölfen kommt es zu Übergriffen auf Herden. Wenn ein Wolf in eine Herde einfällt, in eine Art Blutrausch gerät und Dutzende von Schafen reißt wie vor ein paar Jahren in Bad Wildbad, ist das ein Problemwolf, den man abschießen können sollte. Die Wahrscheinlichkeit, dass mit einer Rudelbildung die Zahl der Problemwölfe steigt, ist hoch.
Rösler: Es ist eine Falschaussage, dass ein Wolf, der einen Massenriss getätigt hat, ein Problemwolf sei.
Rülke: Dann sagen Sie mal dem Schäfer in Bad Wildbad, dass es kein Problemwolf war, der seine Herde dezimiert hat.
Rösler: Das ist ein Problem, aber von der Definition her ist das kein Problemwolf. Wenn Sie die Ökologie der Tiere kennen, dann sollten Sie wissen, was ein arttypisches und was ein untypisches Verhalten ist. Und sowohl für den berühmten Fuchs im Gänsestall als auch für den Wolf ist es verhaltenstypisch. Deshalb ist das kein Problemwolf.
Rülke: Für mich ist ein solcher Wolf ein Problem – und für den Schäfer auch.
Rösler: Jetzt verwenden Sie ein anderes Wort, und dann sollten Sie sauber in der Definition sein. Ein Problem ist etwas anderes als ein Problemwolf.
Rülke: Ich brauche von Ihnen keine Belehrungen, wie ich zu reden habe.
Es gibt jedenfalls viele Risse in Baden-Württemberg. Die Landwirte im Schwarzwald sind nervös. Können Weidetierhaltung und Wölfe koexistieren?
Rösler: Ich war in nahezu allen europäischen Regionen, in denen der Wolf überlebt hat; in den Karpaten, Abruzzen oder der hohen Tatra. Ich habe mich überall mit Weidetierhaltern unterhalten. Es gibt Probleme, aber keine Region in Europa, in der die Weidetierhaltung wegen des Wolfs ausgestorben ist.
Rülke: Nun sind wir in Baden-Württemberg und nicht in den Karpaten oder auf der hohen Tatra. Unser Land ist dicht besiedelt, wo auch die Weidetiere nah mit dem Wolf zusammenleben müssen. Das ist ein wesentlicher Unterschied.
Herr Rösler, der Schutz vor dem Wolf bedeutet einen großen Aufwand für die Landwirte und das Land gibt Millionen für Herdenschutz aus. Was bringt uns der Wolf eigentlich?
Rösler: Ich sage nicht, dass uns der Wolf viel bringt. Er führt zu anderem Verhalten des Wildes – und es ist eine Frage der Umweltethik. Der Wolf hat genauso ein Lebensrecht wie andere Lebewesen.
Rülke: Weidetiere sind auch Lebewesen. Und Tiere, die in den aufgebauten Hindernissen, um Weidetiere vor dem Wolf zu schützen, verenden, sind es ebenfalls. Das muss man einbeziehen.
Wie kann es eigentlich sein, dass so viele Weidetiere gerissen werden – reagieren die Tierhalter zu langsam, wenn es um richtige Schutzmaßnahmen geht?
Rösler: Nein. Aber es ist schon so: Kein einziger Riss in Baden-Württemberg ist bei qualifiziertem Herdenschutz passiert. Das waren also Zäune, die nicht speziell wolfsabweisend sind. Wolfsabweisende Zäune und Herdenschutzhunde fördert das Land zu 100 Prozent. Aber: Nicht jeder kann mit Herdenschutzhunden umgehen. Mit unseren Projekten für Landesschafzuchtverband und Nabu setzen wir auf Kooperation, auf Brückenbauen. Dort wurden sogar höhere und zugleich leichtere Zäune entwickelt.
Macht das Land genug, um die Nutztiere vor dem Wolf zu schützen?
Rülke: Natürlich kann sich das Land noch stärker am Schadensersatz beteiligen. Aber mir geht es hauptsächlich um den Herdenschutz: Dass man den Wolf nicht erst mal wüten lässt und dann die Besitzer entschädigt, sondern verhindert, dass der Wolf überhaupt wütet.
Rösler: Da stimme ich mal explizit zu. Herdenschutz, bevor der Wolf da ist, ist von zentraler Bedeutung.
Rülke: Wir sagen nicht, dass der Wolf weg muss und wir jeden Wolf, der nach Baden-Württemberg kommt, erschießen müssen. Der Unterschied liegt darin, dass wir den Jägerinnen und Jägern dieses Wolfstiermanagement zutrauen und deshalb den Wolf ins Jagdrecht aufnehmen wollen.
Rösler: Da gibt es eine falsche Annahme, Kollege Rülke. Wenn der Wolf ins Jagdrecht kommen würde, wären zwei Behörden zuständig. Und jeder weiß: Wenn in Deutschland zwei Behörden für den gleichen Vorgang zuständig sind, dann geht es nicht schneller.
Rülke: Also will ich den Wolf mehr schützen als Sie?
Rösler: Indirekt ja. Wenn Sie den Wolf ins Jagdrecht nehmen, verlangsamen und bürokratisieren Sie die Prozesse bei einem Abschuss. Wenn ein Wolf fällig ist, muss es aber schnell und unbürokratisch gehen.
Rülke: Ist das die Haltung Ihrer Fraktion?
Rösler: Ganz klar.
Auf was spielen Sie an, Herr Rülke?
Rülke: Wenn Herr Rösler von Abschießen spricht, zucken manche in seiner Fraktion.
Rösler: Ich kenne niemanden.
Der Wolf macht eine Spaltung in der Landesregierung deutlich: Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) spricht von Alarmstufe Rot, Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) scheint das gelassener zu sehen.
Rösler: Ich sehe auf meiner Facebook-Seite, dass der Wolf stark spaltet. Da ist die Rede davon, alle Grünen zu „entnehmen“, also abzuschießen, oder von „grünversifftem Linkspack“. Und natürlich gibt es auch in der Landesregierung Diskussionen, aber in der Grünen-Fraktion ist die klare Haltung: nicht ausrotten.
Wir bekommen Briefe aus Brandenburg oder Niedersachsen. Dort wundern sich Leser, wie entspannt wir in Baden-Württemberg auf eine mögliche Rudelbildung schauen. Sind Medien und Politiker zu naiv?
Rülke: Nein. Wir hatten genügend Zeit, uns darauf vorzubereiten. Und wir haben zurzeit noch keine starke Ausbreitung. Wir brauchen derzeit keine Panik zu verbreiten; aber die Entwicklung könnte irgendwann doch besorgniserregend werden.
Rösler: Nicht einmal in Brandenburg, wo es derzeit 47 Wolfsrudel gibt, wollen die Bauern, Jäger und Schafzüchter den Wolf ausrotten.
Ist der Wolf das gefährlichste Tier in Baden-Württemberg?
Rösler: (lacht) Nein. Aufgrund des Klimawandels haben wir das Tigermoskito in Baden-Württemberg, welches das Denguefieber überträgt. Die Rötelmaus überträgt das Hantavirus, Zecken die Borreliose. Auch durch Wildschweine gibt es jedes Jahr Tote und Verletzte.
Rülke: Es werden viel mehr Menschen von Hunden gebissen als vom Wolf. Darum ist der Wolf für den Menschen nicht das gefährlichste Tier. Wäre ich allerdings ein Schaf, würde ich das anders sehen.
FDP-Fraktionsvorsitzender und Grünen-Abgeordneter diskutieren
Hans-Ulrich Rülke
Der Fraktionsvorsitzende der FDP im Landtag ist Abgeordneter für Pforzheim. Seit 2006 gehört der 61-Jährige dem Parlament an, vor 14 Jahren wurde er zum Fraktionsvorsitzenden gewählt – und seither immer bestätigt.
Markus Rösler
Der 61-Jährige ist Grünen-Landtagsabgeordneter für Vaihingen an der Enz (Kreis Ludwigsburg). Er ist Sprecher für Naturschutz der Grünen im Landtag und Wolfsbotschafter des Nabu.