Am 8. Januar überholte Tesla-Chef Elon Musk seinen Milliardärs-Kontrahenten Jeff Bezos an der Spitze des sog. Bloomberg Billionaires Index. Mit einem Vermögen von rund 195 Milliarden Dollar (158,98 Milliarden Euro; Stand: 8. Januar) und damit etwa zehn Milliarden Dollar mehr als Amazon-Gründer Bezos ist Musk nun „reichster Mensch der Welt". Dass er dafür (mediale) Lorbeeren erntet, zeigt ein grundlegendes Missverständnis: Niemand ist Milliardär wegen seiner Leistung, weil er seine Dollar verdient hat. Eine der effektivsten sozialpolitischen Maßnahmen wäre es, Milliardäre zu verbieten. Denn es gibt keine moralischen, politischen, sozialen, demokratischen und noch nicht einmal ökonomische Argumente, die dagegensprechen würden.
Zunächst: Dass Musk, Bezos und Konsorten ihre Milliarden horten, bedeutet im Umkehrschluss, dass dieses Geld andernorts fehlt. Derlei Summen entspringen nicht ihrer eigener Hände Arbeit, sondern der Ausbeutung von Ressourcen und Arbeitskräften. Selbst wenn Musk oder Bezos 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche arbeiten würden, leisten sie in dieser Zeit nicht das 250.000-fache eines Anlagenmonteurs, einer Supermarktkassiererin oder eines Krankenpflegers. Die beiden mögen erfinderischer, intelligenter, fleißiger und risikofreudiger sein als 99,9 Prozent der Menschheit - aber nicht in dieser Dimension. Würde ihr Vermögen tatsächlich ihre Leistung widerspiegeln, hätte Musk in seinen 49 Lebensjahren so viel geleistet wie ganz Kroatien in den letzten drei Jahren - oder ein durchschnittlicher Krankenpfleger in 6,5 Millionen Jahren (bei einem Bruttojahreslohn von 30.500 Euro).
Eine simple Idee...„Bei manchen Ideen, die die Welt besser machen sollen", schreibt der Autor Tom Scocca bei Hmm Daily, „bedarf es vorsichtiger und differenzierter Überlegungen zum Ausgleich einander widerstreitender Interessen". Bei anderen Ideen wiederum sei die Lage klar: „Milliardäre sind schlecht. Wir sollten Milliardäre vermutlich loswerden. Alle". Was spräche wohl gegen die simple Idee, Milliardär-Sein zu verbieten, Vermögen auf eine Milliarde Dollar bzw. Euro zu deckeln? Moralisch wohl wenig, so viel ist klar.
Auch angesichts sozialer Ungleichheiten - zwischen Ländern des Globalen Nordens und des Globalen Südens sowie innerhalb dieser - spräche nichts dagegen, dort anzusetzen, wo es am wenigsten wehtut (bei Milliardären), um dorthin umzuverteilen, wo es am meisten gebraucht wird (bei den Armen).
Aus politischer und demokratischer Sicht spricht wohl ebenso wenig dagegen, gegen die Konzentration von Vermögen in den Händen einiger Superreicher vorzugehen. Weltweit nutzen Milliardäre ihr Vermögen, um Wahlen, Regierungsbildungen, Gesetze und die öffentliche Meinung zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Was wiederum dazu führt, dass Milliardäre das bleiben, was sie sind: steinreich, unverschämt reich.
.... mit wenigen Verlierern ...Nicht, dass dieser Punkt hier besonders stark gemacht werden soll - aber selbst aus kapitalistischer Sicht sollte man der Idee etwas abgewinnen können. Schließlich schadet eine zu große Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen der Reproduktion. Konzentriert sich das Kapital zu sehr, fehlt andernorts die Kaufkraft, um zu konsumieren. Die Warenzirkulation kommt zum Stillstand, die Wirtschaft schrumpft.
Anders gefragt: Wem schadet's? Den Milliardären? Sicher nicht! Nehmen wir mal an, wir streichen 158 von Musks Euro-Milliarden, womit ihm genau noch eine Milliarde übrig bleibt. Elend sieht anders aus. Der Tesla-Chef könnte immer noch täglich 100.000 Euro ausgeben, und zwar 27 Jahre lang, bis er letztlich pleite wäre. Er könnte (bei einem Bierpreis von 3,50 Euro) jeden der 13 Millionen Einwohner Bayerns auf 23 Bier einladen.
Wenn das so einfach ist, warum ist das nicht schon längst passiert? De facto passiert das Gegenteil: statt als Verantwortliche für das Elend von Millionen Menschen im Lichte allgemeiner Verachtung zu stehen, zieren Milliardäre die Cover von Hochglanz-Magazinen und Boulevardblättern; sie sind gern gesehene Gäste bei öffentlichen Veranstaltungen und TV-Shows; wir interessieren uns für deren Privatleben, bewundern deren „Erfindergeist" und deren „Genialität" und lesen deren Biografien. Andererseits können wir uns nur allzu sehr darüber echauffieren, dass ein Erwerbsarbeitsloser ein paar Hundert Euro monatlich vom Staat bekommt, obwohl er diese nicht verdient habe, er ja nichts dafür geleistet habe. Ein paar Hundert Euro - ein Betrag, den Musk in ein paar Sekunden einstreicht.
.... und vielen Gewinnern.Ein vielgeäußertes Argument an dieser Stelle lautet: Vermögen zu deckeln sei utopisch, praktisch nicht umsetzbar. Erstens ist dieses Argument empirisch falsch: Es gibt historisch gesehen Dutzende Beispiele von Ländern - nicht zuletzt Deutschland -, die ihre Reichen ordentlich zur Kasse gebeten haben ( und nein, diese verließen daraufhin nicht alle fluchtartig das Land). Und zweitens ist Reichtum kein „Naturgesetz": Milliardäre werden nicht automatisch zu ebensolchen, sondern weil es rechtliche und politische Rahmenbedingungen erlauben. Rechtliche und politische Rahmenbedingungen, die veränderbar sind. Wenn wir denn wollen. Anders formuliert: Jeder Milliardär ist auch ein politisches Versagen!
Die Coronakrise bringt derzeit Millionen Menschen weltweit um ihre wirtschaftliche und soziale Existenz - die derzeitige Wirtschaftskrise zwingt einzelnen Staaten Kredite auf, deren Rückzahlung wohl Jahrzehnte, Generationen in Anspruch nehmen wird. Eine radikale Vermögenssteuer wird ein paar wenige zur Kasse bitten (ohne sie dabei „arm" zu machen), aber eine ganze Generation könnte davon profitieren. Wenn wir denn wollen.
Kommentar: Johannes Greß