Menschen in Sicherungsverwahrung kennen sich mit dem Warten aus. Sie haben ihre Strafe im Gefängnis verbüßt und bleiben doch eingesperrt - unter Umständen für immer. Ein System mit Widersprüchen.
er Beschluss fällt negativ aus: Christian Twachtmann wird nicht entlassen. Er sei immer noch „gefährlich", urteilt das Landgericht Arnsberg in Nordrhein-Westfalen bei einer Routineüberprüfung im Juni 2023. Unter anderem, weil er nicht an den geforderten Behandlungen teilnehme. Doch die, sagt Twachtmann, werden doch gar nicht angeboten. Ohne Angebot aber keine Therapie, ohne Therapie keine Entlassung.
Der Besuchsraum der Justizvollzugsanstalt Werl liegt im Erdgeschoss. Sonne fällt durch die Gitter hinein. Um helle Holztische sind Stühle mit bunten Lehnen gruppiert. An den Wänden ein Regal mit Gesellschaftsspielen, ein Kaffeeautomat, ein Tisch am Fenster ist mit Computer und Kamera ausgestattet, offenbar für Videotelefonate.
Christian Twachtmann trägt helle, lichte Haarstoppeln, ein hellblaues T-Shirt und eine dunkelblaue gestreifte Hose. Nach mehreren Jahren Haft wegen Banküberfällen und Betrügereien ist er seit 2021 in der Sicherungsverwahrung. Offiziell ist er damit nicht mehr im Gefängnis; raus kommt er trotzdem nicht.
Vielleicht nie wieder.
Oder aber noch dieses Jahr, wenn die Sammelklage des Anwalts Adam Ahmed Erfolg hat.
In die Sicherungsverwahrung kommen Menschen, die ihre Haftstrafe verbüßt haben, die ein Gericht aber weiter für eine Gefahr für die Gesellschaft hält. Abwiegen muss es dabei das individuelle Recht auf Freiheit und den Schutz der Bevölkerung. Keine einfache Entscheidung.
45.000 Menschen sitzen, Stand 31. März 2023, in Deutschland in Gefängnissen, 604 in Sicherungsverwahrung, davon 2 Frauen. Seitdem ist eine dritte Frau hinzugekommen. Zwei Drittel der Verwahrten sind Sexualstraftäter, die übrigen sitzen wegen Mordes oder Raubes, auch ein paar Brandstifter sind dabei.
In die Sicherungsverwahrung kommt man nicht einfach so. Aber immer einfacher. Und immer schwieriger wieder raus.
Werl ist die größte Einrichtung für Sicherungsverwahrte in Deutschland. 155 sitzen hier im Juli 2023 ein. 120 von ihnen haben den Münchner Anwalt Adam Ahmed als Rechtsbeistand beauftragt, gegen die weitere Verwahrung zu klagen. In einer der Klageschriften, sie umfasst 27 Seiten und liegt der taz vor, resümiert Ahmed zehn Jahre nach der letzten Reform der Sicherungsverwahrung: „Die gesetzlichen Vorgaben werden in Werl nicht eingehalten." Die Sicherungsverwahrung in Werl sei daher unverhältnismäßig, und die Betroffenen müssten sofort „auf freien Fuß" gesetzt werden.
Die Defizite sind aus Sicht von Ahmed: Überbelegung, zu wenig Personal, unzureichende Unterstützung bei der Resozialisierung und der Entlassungsvorbereitung - darunter mangelhafte Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten - sowie fehlende individuelle Betreuung, vor allem durch Therapeut*innen. Laut Ahmed wurde in Werl darüber hinaus bei keinem Insassen die zu Beginn verpflichtende Behandlungsuntersuchung durchgeführt, die ermitteln soll, welche Therapien ein Verwahrter braucht. Die Gefängnisleitung verweigere zudem, Personalakten von Untergebrachten herauszugeben, sodass „ein rechtsstaatliches Verfahren nicht garantiert" sei.
Die Insassen bekräftigen die Vorwürfe. Der taz liegen 68 eidesstattliche Erklärungen von Untergebrachten aus Werl vor. Darin bemängeln sie unter anderem wie auch ihr Anwalt fehlende Behandlungsuntersuchungen und mangelnde Akteneinsicht. Darüber hinaus werfen sie dem zuständigen Landgericht Arnsberg vor, bei Klagen von Verwahrten oder bei Haftprüfungen die Personalakten von Untergebrachten nicht vollständig anzufordern. Ausgänge vor die Mauern würden oft nicht oder nur begleitet und mit Fesselung gewährt, notwendige Therapiegruppen nicht angeboten werden, auch individuelle Behandlungen werden entweder gar nicht oder zu selten durchgeführt. „Seit 2,5 Jahren wird mir keine deliktorientierte Behandlung angeboten", schreibt einer. So könne er seine Straftat nicht, wie gesetzlich gefordert, aufarbeiten und habe deshalb keine Aussicht auf Entlassung.
Twachtmann sagt: „Wenn man nach Recht und Gesetz verurteilt und eingesperrt wird, sollte man in einem Rechtsstaat auch nach Recht und Gesetz behandelt und therapiert werden. Das ist in der Sicherungsverwahrung in Werl nicht der Fall."