Sie rattert und rumpelt, sie ächzt und quietscht – aber alle lieben die Straßenbahn von Lissabon. Im Depot in Santo Amaro werden die alten Wagen zu neuem Leben erweckt.
Wer etwas besser verstehen will, was den mit Worten nie wirklich zu fassenden Reiz der portugiesischen Hauptstadt ausmacht, muss hierherkommen, in die Estação Santo Amaro an der Rua Primeiro de Maio. Das Depot ist so alt wie die Straßenbahn in Lissabon, die 1873 mit Pferdewagen begann. Am 31. August 1901 fuhren hier die ersten elektrifizierten Wagen aus. Alles Geschichte, aber alles auch höchst lebendig. Lissabon und die Tram, das gehört zusammen wie Tag und Nacht. Der Alltag ist chaotisch. Längst weiß jeder Tourist, dass man nur als Frühaufsteher einen Sitzplatz in einer der Eléctricos ergattern kann. So beginnt das Schlangestehen vor der Esplanada de Mouraria an der Praça Martim Moniz, Ausgangspunkt der Linie 28, eben noch eher am Morgen. Bis zum späten Abend lässt der Menschenstrom nicht nach. Überfüllte Bahnen, die sich auf engstem Raum einen aussichtslosen Wettstreit mit Autos, Lieferwagen und Passanten liefern - so sieht das bekannte Bild der Tram von Lissabon aus. Doch es gibt noch ein anderes. Das finden wir unerwartet im Depot, als wir zunächst vergeblich nach Fernando suchen.
Hoch über uns rauscht der Verkehr auf der Ponte 25 de Abril, obwohl die Betonstützen, die mitten auf dem Betriebshof Santo Amaro stehen, rund 70 Meter aufragen. Wir steigen eine schmale Eisentreppe in die Werkhallen hinunter, es wird still. Und es ist menschenleer. Plötzlich sind wir alleine mit Waggons, Ersatzteilen, Gerüsten, Leitern. Aus Lautsprechern erklingt Fado-Musik. Es wirkt wie eine Inszenierung, ist aber keine romantische Kulisse und auch nicht das Museum der Companhia Carris de Ferro de Lisboa. Es ist ein verlassener Arbeitsplatz in der heiligen Mittagszeit von Lissabon. Die Betriebskantine und die kleinen Restaurants gegenüber sind dafür voll besetzt. Glänzende Wagen, wie neu gebaut, stehen in den alten Backsteinhallen neben Wracks. Auf grobe Bohlen sind Holzgerippe auf rostigen Fahrwerken aufgebockt. Stahlräder, Achsen, Kompressoren türmen sich daneben. Es riecht nach Öl, Farbe, gefrästem Metall, Holzstaub liegt in der Luft. In den Arbeitsgruben, in die bei Tidenhub des nahen Tejo das Wasser drückt, spiegeln sich die bunten Nasen der Waggons.
Sie sind rund 80 Jahre alt, entstanden bis 1940. In den Neunzigern wurden sie mit neuen Fahrwerken und moderner Bordtechnik ausgestattet. Remodelados heißen die Rekonstruktionen auf Portugiesisch. Mit nur einem Führerstand tragen sie eine 500er Wagennummer. 45 von ihnen setzt die Verkehrsgesellschaft derzeit im regulären Fahrplan ein. Nur alte zweiachsige, wendige Wagen bewältigen die Steigungen und die engen Kurven in Graça oder Chiado, passen durch schmale Gassen wie die Rua das Escolas Gerais. Zwölf noch ältere Modelle, die 700er-Serie mit zwei Fahrständen, werden bloß noch für Sonderfahrten in Bewegung gesetzt. Die gelben Triebwagen mit den Tonnendächern prägen nicht nur das Straßenbild. Mit ihrem Rumpeln, Rattern, Brummen, Quietschen, Schleifen, Ächzen und Pfeifen schaffen sie auch den unverwechselbaren Sound der Stadt. Im Depot aber, so wirkt es, ruhen sie sich aus, für das wilde Leben draußen auf der Strecke. Wenn die Fahrer die Maschine vom Strom nehmen, hört es sich an wie tiefes, erleichtertes Ausatmen. (...) Der ganze Artikel auf faz.net als Bezahlinhalt
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