32 subscriptions and 55 subscribers
Article

Smarter gärtnern

Die Digitalisierung nimmt eine der letzten Bastionen ein: den Kleingarten. Der Gartenschlauch wird intelligent, das Gemüse übers Netz gesät, und in den Ferien übernimmt der Autopilot.

Text: Jakob Vicari

Eine Oase der Ruhe, das Gefühl feuchter Erde an den Händen, das Mobiltelefon im Flugmodus - das war bisher das Kleingarten-Ideal. Man war entspannt, hing seinen Gedanken nach, die Sonne im Gesicht. Doch manche verzichten jetzt auf die sinnliche Erfahrung: Denn die Digitalisierung ist dabei, die analoge Parzelle in einen smarten Greenspace zu verwandeln.

Alles, was Arbeit im Garten macht, erledigt die Technik: Mähroboter nutzen künstliche Intelligenz, GPS und Ultraschallsensoren für den optimalen Weg über den Rasen, Apps sammeln Daten und senden Informationen zu jedem Strauch und jeder Staude an das Smartphone. Mit dem Kleingarten fällt eine der letzten analogen Bastionen des Alltags. Der prüfende Finger im Beet weicht dem Blick aufs Handy.

Beim digitalen Gärtnern zeigt die Technik an, wenn der Boden trocken ist oder gedüngt werden muss. Temperatur- und Lichtsensoren geben vor, wo Pflanzen stehen und was sie brauchen. Der persönliche Pflanzenassistent gibt Tipps zu Pflege und Ernte. Das intelligente Bewässerungssystem reagiert auf den Druck eines Buttons in der App aus der Ferne. Der Kleingärtner hat plötzlich mehr Daten über seine Pflanzen als über sein eigenes Laufverhalten.

Das eigentliche Ereignis aber ist: Wer keinen Garten vor der Haustür hat, kann einen in der Ferne steuern.


Maus statt Harke

Im dünnbesiedelten Nirgendwo der deutschen Provinz, auf den Feldern von Warnau, im Bundesland Sachsen-Anhalt, steht der erste komplett ferngesteuerte Garten der Welt. Die Parzellen heissen "Gurkzilla Island", "Weltverbesserungs-Testanlage" und "Ernesto Che Gemüse". 16 grün-braune Rohre ragen dazwischen hinauf, an denen auf allen Seiten Kameras, Lichter und Bewässerungsventile montiert sind. An einer der Säulen geht das Licht an.

Angeknipst hat es Martin Kruszka, der 101 Kilometer entfernt am Schreibtisch sitzt, in einer ehemaligen Fabrik in Berlin. Seine Werkzeuge sind nicht Harken und Spaten, sondern die Maus und der Bildschirm. Er gibt die Befehle im Bürostuhl, die eigentlichen Arbeiten wird später ein Bauer ausführen.

Kruszka ist ein Pionier der Gartendigitalisierung. Den Ferngarten hat er sich ausgedacht, weil er weder einen grünen Daumen noch viel Zeit hat. "Ich habe dieses Grundstück geerbt und einmal Zucchini gesät", erzählt er. "Als ich nach Monaten das nächste Mal Zeit dafür fand, wuchsen da Unmengen." Mit riesigen Zucchini und einer Idee fuhr er zurück in die Grossstadt. Die Zucchini kochte er ein, aus der Idee machte er ein Unternehmen: einen Garten, den Grossstadtbewohner aus der Ferne steuern können.

Zusammen mit einem Partner gründete er IP-Garten und entkräftete damit die üblichen Ausreden hinsichtlich eines eigenen Gartens: "Wir lösen das Problem, dass Städter kaum Platz und Zeit für einen Garten haben", sagt Kruszka. "So können auch sie sich mit Lebensmitteln versorgen."

Der IP-Garten greift im Digitalen ganz ähnliche Motive auf wie die Leute, die vor hundert Jahren zur Gründung der Kleingartenbewegung beitrugen. Im Zeitalter zunehmender Industrialisierung und Urbanisierung wuchs die Sehnsucht nach einem kleinen, grünen Refugium. Im Jahr 1925 wurde der Schweizerische Kleingärtnerverband gegründet. Mit der Industrialisierung waren Landbewohner in Städte wie Zürich und Winterthur gezogen. Sie hatten das Wissen der Gartenbewirtschaftung. Doch die zeitintensive Pflege stellte die Hobbygärtner schon immer vor Herausforderungen.

Der Vorteil zeitsparender Erfindungen war offensichtlich: Der Rasen liess sich kurz halten dank dem mechanischen Rasenmäher, einer Erfindung im Jahre 1827 des englischen Ingenieurs Edwin Beard Budding. 1957 trat die erste elektrische Heckenschere ihren Siegeszug an. 1998 kam der Automower G1 auf den Markt. Er war der erste Mähroboter, der etwas intelligent war und zwischendurch in seine Ladestation zurückkehrte. Damit brachte er rudimentäre Digitalfunktionen in den Garten - und mehr Liegestuhlzeit für seine Besitzer.

Der Mähroboter kurvte direkt in die Aufbruchsphase des Digitalzeitalters. 2002 waren zum ersten Mal mehr Informationen digital verfügbar als analog. Die Reservate des Analogen begannen zu schrumpfen: ob im Job, beim Einkaufen oder bei der Partnersuche. Stets war der digitale Weg effizienter und bequemer als der analoge. Beim Mähroboter war es nicht anders: Die Bequemlichkeit trieb die Digitalisierung trotz hohen Kosten auch im Kleingarten voran. Und heute können auch Menschen ohne viel Know-how oder Zeit einen Garten haben - ohne ihr Suchen, Scheitern und Neu-Ansetzen vor den Augen eines Kleingartenvereins zu offenbaren.


Hier könnte ein Schlüssel zur Ernährung der Weltbevölkerung liegen.

Auf einer der 16-Quadratmeter-Parzellen des IP-Gartens zum Beispiel, die standardmässig mit drei Kartoffelsorten bepflanzt werden. Dazu kommen Knoblauch, Zwiebeln, Kohl, Blumen und Kräuter, die die Hälfte der Fläche ausmachen. Den Rest kann man individuell gestalten. Sind Kartoffeln oder Karotten reif, werden sie von einem Gärtner geerntet und nach Berlin gefahren. Das kostet rund 430 Franken pro Jahr. Die Pächter dürfen ihre Gärten jedoch nicht physisch beackern. "Das wäre ja nicht mehr ökologisch, wenn jetzt alle rausfahren würden", sagt Kruszka.

Ein Schweizer Investor unterstützt das Startup. Theoretisch könnte man so eine Parzelle auch von der Schweiz aus steuern. Es ist dann aber eher kontemplatives Vergnügen, die Ernte kommt der Berliner Obdachlosenhilfe zugute. "Wir verschicken nicht. Das würde ja der Regionalität widersprechen", sagt Kruszka. Eine Expansion schliesst er jedoch nicht aus - auch aus Asien gebe es grosses Interesse.

Nicht mehr bloss Marathonläufe, auch Gartenerfolge werden in den sozialen Netzwerken teilbar. Wenn die Wohnung mit Apps gesteuert wird und der Sprachassistent zu Hause das Licht und die Musik einschaltet, ist die Bewässerung des Gartens nur die logische nächste Aufgabe für digitale Assistenten wie Amazons neuen Sprachassistenten Alexa und Co.

Daten vergrössern Ernteertrag

Die Digitalisierung des Gemüseanbaus ist weit mehr als Hobby. In der Digitalisierung von Beet und Acker könnte ein Schlüssel zur Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung liegen. So brauchen mit Sensoren überwachte Felder weniger Wasser und Energie. Mit Satellitendaten verknüpfte Maschinen können präziser düngen und ernten. Moderne Mähdrescher fahren schon auf drei Zentimeter genau die Felder ab. Auch soll der Ertrag höher sein, wenn der Gärtner seine Pflanzen mithilfe der Sensordaten endlich versteht. Und noch viel wichtiger: Die smarte Technik könnte mit grossen Datenmengen mehr Wissen über den Zusammenhang von Bodenqualität, Licht und Temperatur haben als jeder heutige Kleinbauer. Wenn Apps Kleinbauern Empfehlungen zur Fruchtfolge und zum Düngemitteleinsatz liefern, so die Hoffnung, wächst auch der Ertrag. Verknüpft mit grossen Datenmengen, ob nun aus Schweizer Kleingärten oder von industriellen Landwirten weltweit, könnte die Software bald schlauer sein als ein noch so versierter Gärtner.

Da schliesst sich der Kreis: Von den Daten profitiert wiederum der Hobbygärtner. Das Startup IP-Garten bietet bereits einen Autopiloten - buchbar als kostenpflichtiger Service. Bleibt nur zu hoffen, dass die Erholung nicht zu kurz kommt, wenn sich der Gärtner aus dem eigenen Garten wegrationalisiert, weit weg von Vogelstimmen und schweisstreibender Harke.



So werden Sie zum digitalen Gärtner

■ Sie wünschen sich einen digitalen Garten? Suchen Sie sich eine Parzelle, die möglichst rechteckig und eben ist. So passt sie nicht nur besser auf den Bildschirm, die Planung der technischen Einrichtungen ist auch einfacher. Spezielle Anforderungen: Die Parzelle braucht einen Stromanschluss und sollte nicht im Funkloch liegen. 

 ■ Die rechteckige Form macht die digitale Planung leichter. Apps wie "GrowVeg" helfen bei der Planung. Pflanzen lassen sich ohne Schlepparbeit schon einmal auf die virtuelle Fläche schieben. Gute Apps geben Tipps zu Standort und Fruchtfolge. Eine Alternative sind Planungstools wie "Gardenplaner" im Netz, die es aber nur auf Englisch gibt. 

 ■ Ein Rasenmähroboter ist Pflicht, am besten einer mit Sensoren, die bei Regen das Mähen unterbrechen und auch Igel und Haustiere erkennen, die sich ihm nähern. 

 ■ Bewässerungssensoren für Pflanzen sind praktisch, vor allem wenn sie mit Solarenergie arbeiten. Ob man den Sensoren die Macht gibt, selbst über Bewässerung zu entscheiden, muss jede smarte Gärtnerin und jeder kundige Gärtner selbst wissen. 

 ■ Eine Webcam erhöht den Spass beim Ferngärtnern. Eine Bordkamera auf dem Mähroboter ist das Nonplusultra. Am Besten mit ansteuerbarem LED-Strahler für nächtliche Erkundungsfahrten. 

 ■ Für die Datenanalyse eignen sich Apps wie "GreenIQ" oder "GroApp". Wichtig: Teilen Sie Ihre Erfolge in den sozialen Netzwerken! 

 ■ Bleiben Sie innovativ! Auf Plattformen wie Kickstarter und Startnext gibt es regelmässig neue Garten-Gadgets, ob neue Pflanzcontainer, Bewässerungslösungen oder Sensoren.

Original