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Keine Angst vor dem „bösen Wolf"? - KOMMUNALtopinform [1]

Wie die Politik Nutztiere und Wölfe gleichermaßen schützen will

Das neue Jahrtausend war nur ein paar Monate alt, als nach über 150 Jahren erstmals wieder wilde Wölfe in Deutschland geboren wurden. Ein Wolfspaar war in der Oberlausitz heimisch geworden und hatte Welpen bekommen! Die Freude war fast grenzenlos. Inzwischen hat sich der Wolf jedoch ganz schön breit gemacht, und aus einigen wenigen Wolfspaaren wurde ein Problem und Politikum, das sogar im neuesten Koalitionsvertrag einen Absatz erhalten hat.

Bundesweit gibt es heute über 60 Rudel und dreizehn Paare. Ende 2017 lebten laut Bundesamt für Naturschutz rund 160 Wölfe in Deutschland. Die meisten von ihnen traben im Osten und Norden durch die Landschaft und die Wälder, während der Westen und der Süden Deutschlands lange auf den Wolf warten musste und generell bisher nur von wandernden Wölfen Besuch bekam. Am 23. Oktober 2017 riss ein Wolf zum ersten Mal nach über 100 Jahren im Südwesten drei Schafe. Im April 2018 mussten bei Bad Wildbad sogar 17 Schafe ihr Leben lassen, zehn weitere wurden verletzt. Offenbar hatte ein Einzelgänger aus Niedersachsen das Massaker angerichtet. Auch in Bayern sind Wölfe noch seltene Gäste. Bisher sorgte nur Ende Juli bis Anfang August 2018 im Süden Bayerns ein Wolf für große Schlagzeilen, der fünf Kälber im Landkreis Oberallgäu gerissen hatte.

Der Wolf - ein Tier mit Vierfachschutz

Einige Bauern im Oberallgäu forderten eine sofortige Abschusserlaubnis, aber das Landesamt für Umwelt in Augsburg verweigerte die Genehmigung. Dem Landratsamt waren die Hände gebunden, da der Wolf als besonders bedrohte Tierart unter Schutz steht. Beim Wolf kann man sogar von einem Vierfach-Schutz sprechen. So ist der Wolf sowohl durch das Washingtoner Artenschutzabkommen als auch durch die Berner Konvention geschützt. Außerdem hat die EU über die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) eine besondere Verordnung erstellt, die alle EU-Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, den Wolf nicht nur zu schützen, sondern ihn in seiner Verbreitung auch zu unterstützen. Er soll - so die Verordnung - einen „lebensfähigen Bestand" aufbauen können. Dieser Punkt wird im § 44 des Bundenaturschutzgesetzes noch einmal ausdrücklich untermauert. Wer einen Wolf abschießt, muss mit einer offiziellen Anzeige der Staatsanwaltschaft und im schlimmsten Fall mit einer mehrjährigen Haftstrafe rechnen.

Wölfe jagen? Wenn die Jäger dürften ...

Das Jagdrecht greift bei Wölfen nicht. Nur Sachsen und Brandenburg hatten den Wolf Ende 2018 im Jagdrecht aufgenommen, den Abschuss aber weitgehend unmöglich gemacht. Er steht prinzipiell unter Schonzeit. Ausnahmen sind - wie in ganz Deutschland - nur dann möglich, wenn ein Wolf trotz umfassender Schutzmaßnahmen immer wieder eine Herde angreift oder zu einer direkten Gefahr für den Mensch wird. Der Deutsche Jagdverband forderte deshalb im April 2018 die Bundesregierung dazu auf, die Wolfsjagd im Jagdgesetz bundesweit aufzunehmen. Inzwischen haben sich auch drei Länder - Niedersachsen, Brandenburg und Sachsen - im Bundesrat zusammengetan und fordern, „den Umgang mit dem Wolf zu überdenken". Vor allem müsse man auch grenzüberschreitend mit betroffenen Nachbarländern zusammenarbeiten. Im EU-Land Schweden werden Wölfe beispielsweise durchaus zur Jagd freigegeben, da man dort den Bestand als gesichert sieht.

Die EU sah das anders und erteilte Schweden eine Rüge. Trotzdem setzte sich Schweden durch, und noch im Februar 2018 mussten 22 Wölfe ihr Leben lassen. Für den Winter 2018/19 wurde die Jagd jedoch abgeblasen, da im Moment nur 305 Tiere in diesem riesigen Land leben. Dafür sollen in der Schweiz ab kommenden Winter erstmals Wölfe zur Jagd freigegeben werden. Der Ständerat hat im Sommer 2018 dem Plan zugestimmt, dass die Kantone in Zukunft selbst entscheiden können, ob eine Jagd vertretbar ist oder nicht. Auch in Frankreich will man die Wolfsjagd bald ermöglichen.

Die Suche nach der perfekten Lösung

In Deutschland wurden die Rufe nach kontrollierter Wolfsjagd 2018 immer lauter. Im Sommer schlossen sich in Brandenburg achtzehn Kommunen zusammen und erklärten sich zu „wolfsfreien Kommunen". Eine Lösung, die alle Seiten zufrieden stellen könnte und die Jagd vermeiden könnte, kam im Herbst aus Brüssel. So werden ab sofort bis zu 100 Prozent aller Herdenschutzmaßnahmen finanziell unterstützen. Dazu gehören Zäune und andere mechanische Sicherungen und der Kauf und die Schulung besonderer Herdenschutzhunde. Der Naturschutzbund Baden-Württemberg hat in Zusammenarbeit mit dem Landeschafzuchtverband Baden-Württemberg unterschiedliche Methoden getestet und dazu eine umfangreiche Broschüre („ Herdenschutz in Baden-Württemberg ") veröffentlicht. Gerade die Anschaffung von Hunden - die für viele die wohl sicherste Lösung wäre - ist jedoch nicht einfach, da verschiedene Versicherungsfragen und andere Tierschutzverordnungen beachtet werden müssen. Einige Rassen unter den Herdenschutzhunden - wie der in der Türkei so beliebte Kangal - sind mancherorts sogar als Listenhunde aufgeführt. Ein Herdenschutzhund ist außerdem nicht unbedingt darauf erpicht, mit einem Hütehund zusammenzuarbeiten. Auf Schäfer kommen hier neue Herausforderungen zu. Wer einen oder sogar mehrere Herdenschutzhunde führen will, muss sich mit diesen speziellen Hunden auf jeden Fall sehr gut auskennen.

Das bayerische Modell

Genau wie Baden-Württemberg bezeichnet sich der Freistaat Bayern bisher noch als „Wolferwartungsland". Man weiß, der Wolf wird das Land nicht nur durchwandern, er wird sich in nicht allzu ferner Zukunft permanent niederlassen. Da sich die Anzeichen dafür mehren, präsentierte die Bayerische Staatsregierung im August 2018 den Entwurf für einen Wolf-Aktionsplan. Abschüsse sind aber auch in Bayern laut Aktionsplan nur bei Problemwölfen erlaubt. Und das auch nur dann, wenn alle anderen Maßnahmen nicht gegriffen haben.

Die Entscheidung für den Abschuss eines Wolfs wird also selbst in kritischen Situationen niemals den Kommunen oder Jagdverbänden überlassen. Außerdem wird betroffenen Tierbesitzern - den Landwirten, Viehbauern und Schäfern - genau wie überall in Deutschland, das gerissene Tier ersetzt. Der Entwurf zum zukünftigen bayerischen Aktionsplan ist alles in allem so wolfsfreundlich, dass er sogar von den bayerischen Grünen vorbehaltslos akzeptiert wurde.

Trotzdem machen sich Naturschützer Sorgen. So soll es in Bayern möglich sein, die berühmten Almen, die weder eingezäunt noch durch Herdeschutzhunde bewacht werden können, per Abschuss wolfsfrei zu halten. Zitat: „In Gebieten mit standorttreuen Wölfen setzt der Aktionsplan auf vorbeugende Maßnahmen wie beispielsweise Herdenschutzzäune. Ein Sonderfall sind unter anderem die Alm- und Alpflächen in Bayern: Experten der Umwelt- und Landwirtschaftsverwaltung werden gemeinsam entscheiden, in welchen Weidegebieten Präventionsmaßnahmen möglich sind oder nicht. Im letzteren Fall kommt eine Entnahme des Wolfs in Einklang mit dem Artenschutzrecht auch ohne vorangegangene Herdenschutzmaßnahmen in Betracht."

Bist du ein Problemwolf?

Ein besonders interessanter Ausschnitt im bisher geltenden „ Bayerischen Managementplan Wölfe in Bayern " gehört der Frage, wann ein Wolf für Menschen gefährlich werden kann. Wie muss sich ein Wolf eigentlich benehmen, bevor ihn die Naturschutzbehörden als Problemwolf einstufen und zum Abschuss freigeben? Ein Blick in die bayerische Auflistung der Auffälligkeiten zeigt: Ein Wolf muss ganz schön unangenehm werden, bevor der Jäger zur Waffe greifen darf.

Laut der bayerischen Analyse ist ein Wolf, der nachts an einer Ortschaft vorbeiläuft, beispielsweise vollkommen ungefährlich. Auch wenn er bei Tag in Sichtweiter vorbeiläuft, muss man nichts befürchten. „Es gibt grundsätzlich keinen Handlungsbedarf." Gefährlich wird es jedoch, wenn sich Wölfe wie halbzahme Hunde benehmen oder grundlos aggressiv sind. Dann könnte der Wolf die Tollwut haben, und er muss abgeschossen werden. Falls der Wolf jedoch einen Jagdhund tötet, sei das „ganz normales Verhalten". Nur dann, wenn er öfters und mehrere Hunde tötet, sollte der Wolf „entfernt werden".

Weitere Informationen in der „Chronik: Wölfe in Deutschland" vom NaBu.
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