Herr Schaar, wieso schreibt ein langjähriger und immer noch engagierter Datenschützer ein Buch über Grundrechte?
Peter Schaar: Es ist kein Buch allein über Grundrechte, sondern es geht um Politik, darum wie die Gesellschaft sich mit Digitalisierung auseinandersetzt. Die immer effektiveren Informationstechnologien sollten nicht nur von technischen und juristischen Fachleuten behandelt werden. Sie gehören viel stärker ins Blickfeld der allgemeinen Öffentlichkeit, denn es geht darum, wie sich unsere Gesellschaft entwickelt. Natürlich spielt dabei auch das Spannungsverhältnis zwischen Bürger- und Menschenrechten und den Sicherheitsbedürfnissen eine große Rolle - aber es geht letztlich um mehr.
Bräuchte der Datenschutz in diesem Spannungsverhältnis hierzulande mehr Gewicht, müsste er durch die Politik wichtiger genommen werden?
Schaar: Das auf jeden Fall. Wir müssen die Frage beantworten, wie viel Freiheit die Gesellschaft in Zukunft noch bietet. Gefährdungen für die Freiheitswahrnehmung kommen einerseits von Technologiekonzernen, sie kommen aber auch von staatlichen Stellen, die die technischen Möglichkeiten ebenfalls nutzen. Mehr noch: Manche Politiker instrumentalisieren die Gefährdungen, um Machtpositionen zu sichern oder auszubauen - das sehe ich kritisch.
Meinen Sie das auf Deutschland bezogen?
Schaar: Das geschieht weltweit, nicht nur bei ohnehin diktatorischen Regimes. Besonders kritisch sehe ich es, dass sich angesichts des Terrorismus auch Rechtsstaaten in eine autoritäre Richtung entwickeln - das sehen wir in den USA, aber dasselbe passiert auch in Deutschland und Europa. Freiheitsrechte werden eingeschränkt oder sogar beseitigt, im Extremfall - wie in Frankreich - bis zur Ausrufung des Ausnahmezustands, bei dem die Menschenrechte suspendiert worden sind. Kritisch sehe ich aber auch die schleichende Erosion von Grundrechten.
Zum Beispiel?
Schaar: Etwa der Verlust der Unschuldsvermutung. Damit meine ich das ziellose Überwachen und Registrieren von Menschen, unabhängig davon, was sie tatsächlich getan haben oder vermutlich tun werden, sondern allein, um zu erkennen, ob jemand irgendeine nicht gewollte oder sogar verbotene Handlung plant. Dieses Vorgehen kommt bei der Vorratsdatenspeicherung zum Tragen, bei der Speicherung von Flugpassagierdaten und nicht zuletzt bei der Videoüberwachung.
Letztere wird technisch immer weiter entwickelt...
Schaar: Diese smarten Überwachungssysteme sind nicht nur in der Lage, Menschen anhand biometrischer Merkmale zu erkennen, beispielsweise am Gesicht, sie sollen auch Menschen anhand ihres Gangs identifizieren. Zudem ermöglichen sie es, Emotionen zu erkennen und daraus Rückschlüsse zu ziehen. Allerdings: Wenn jemand stark schwitzt, kann er Rad gefahren sein, oder er ist krank - die Schlüsse, die dann gezogen werden, sind nicht zwangsläufig die richtigen. Wenn immer mehr Daten gesammelt werden, können noch häufiger als bisher Personen unter falschen Verdacht geraten.
Belegen das denn auch schon reale Fälle?
Schaar: Welche gravierenden Folgen die sehr umfangreiche, häufig auf vagen Anhaltspunkten beruhende Speicherung haben kann, zeigen die Vorkommnisse am Rande des G20-Gipfels in Hamburg. Es wurden mehrere Journalisten von der Berichterstattung ausgeschlossen, zum großen Teil auf Basis falscher Informationen und zum Teil auch auf Daten, die die Behörden gar nicht hätten speichern dürfen. Ein Journalist wurde wegen einer Namensverwechslung als Reichsbürger geführt und deshalb nicht mehr zu Pressekonferenzen zugelassen. Ein anderes Beispiel ist der „Muslim-Ban" in den USA, durch den selbst fünfjährige Kinder an der Einreise gehindert wurden, denen man beim besten Willen keine terroristischen Absichten unterstellen kann. Aufgrund pauschaler und teils unrichtiger Annahmen werden Personen als gefährlich eingestuft mit der Folge, dass ihnen dann erhebliche Nachteile entstehen.
Sind daran aber nicht eher schludrige Arbeit der Behörden schuld, und weniger die verschärften Gesetze? Schaar: Falsche Verdächtigungen hat es natürlich auch schon früher gegeben. Wenn der Gesetzgeber aber einseitig auf neue Technologien setzt, die gewisse Ungenauigkeiten mit sich bringen, dann nimmt die Zahl der Menschen zu, die unter falschen Verdacht geraten. Das gilt etwa für die automatische Gesichtserkennung. Die Frage ist, wieviel Unschärfe man in Kauf nimmt. Sofern die Erkennungssysteme so konfiguriert werden, dass Verwechselungen, die sogenannten „false positives", nur in extrem seltenen Fällen auftreten, werden auch Zielpersonen vielfach nicht erkannt. Angesichts des Terrorismus wird man die Erkennungsschwelle aber eher heruntersetzen, damit einem möglichst niemand entgeht. Und das führt zu vielen Fehlerkennungen.
Als Alternative zur fehleranfälligen technischen Aufrüstung raten Sie in Ihrem Buch zu „intelligenterer Polizeiarbeit".
Schaar: Damit meine ich die Konzentration auf gezielte Polizeiarbeit an Stelle immer größerer Schleppnetze und Rasterfahndungen, bei denen eine große Anzahl von Personen hängen bleiben, die nichts verbrochen haben. Bei den meisten Attentaten der letzten Zeit waren die Täter den Behörden vorher bekannt. In einigen Fällen gab es gravierende Fehleinschätzungen. So haben sich in den Monaten vor dem Anschlag am Berliner Breitscheidplatz viele Behörden mit der Person des Attentäters Anis Amri beschäftigt, seine Daten wurden abgeglichen, seine Telefone abgehört, sein Internetverkehr überwacht, auch seine falschen Identitäten waren den Behörden überwiegend bekannt - trotzdem wurde offenbar nichts unternommen. Dort hat kein Mangel an Informationen vorgelegen, sondern ein Mangel an Urteilsvermögen.
Was müsste sich bei der Polizeiarbeit ändern?
Schaar: Zum einen würde ich zu mehr Fortbildung und höherer Qualifikation raten. Aber es gibt auch …
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