International gefeiert, preisgekrönt und Botschafter eines modernen, weltoffenen Irans: Starregisseur Asghar Farhadi rührt an Kernfragen der Moral.
Mehr als einmal den Oscar für den besten fremdsprachigen Film gewinnen –
das gelang nur einer Handvoll weltberühmter Regisseure. Vittorio De
Sica, Ingmar Bergman und Frederico Fellini zählen zu ihnen, doch unter
den Lebenden weilt nur noch er: der Iraner Asghar Farhadi. An seinen
ersten Academy Award von 2011 für das Drama „Nader und Simin – eine
Trennung“ wird er sich allerdings lieber erinnern als an den zweiten,
den die Jury in diesem Jahr völlig zu Recht seinem Film „The Salesman“
zuerkannte, den Farhadi aber nicht persönlich entgegennahm. Aus Protest
gegen das von US-Präsident Donald Trump verhängte Einreiseverbot für
Menschen aus sieben muslimischen Ländern boykottierte Farhadi die
Verleihung. In Abwesenheit ließ er ein flammendes Plädoyer für
freiheitliche Werte und Menschenrechte verlesen und nutzte die
Gelegenheit für ein kleines Manifest: „Wir Filmemacher können
menschliche Gemeinsamkeiten zeigen und stereotype Vorstellungen von
Nationen und Religionen aufbrechen. Wir können zwischen uns und anderen
die Empathie erzeugen, die wir heute mehr brauchen denn je.“ Ein
Anspruch, dem „The Salesman“ in jeder Einstellung verpflichtet ist, wie
seine Vorgänger auch. Farhadi nimmt sich viel Zeit für seine Exposition,
behutsam bringt er sein internationales Publikum auf Augenhöhe mit der
authentisch iranischen Lebenswirklichkeit seiner Figuren Emad und Rana.
Er Lehrer, sie Schauspielerin in Teheran, stecken mitten in den Proben
zu Arthur Millers „Death of a Salesman“, als ihnen buchstäblich der
Wohnraum wegbricht und sie Hals über Kopf ihr einsturzgefährdetes Haus
räumen müssen. Mangels Alternative beziehen sie eine leer stehende
Wohnung, die ihnen ein Schauspielerfreund anbietet, doch die
Hinterlassenschaften der Vormieterin werden zur ernsthaften Belastung.
Lange stellt der Film die Geduld seiner Zuschauer auf die Probe, bis die
eigentliche Story den Alltag durchbricht: Rana wird unter der Dusche
von einem Fremden überfallen, sie überlebt schwer traumatisiert, will
aber aus Scham keine Polizei einschalten, sich nicht erinnern. Während
sie den Halt verliert und ihre Ängste von ihr Besitz ergreifen, sucht
Emad auf eigene Faust nach dem Täter. Er sinnt auf Rache für seine Frau –
und verrät dabei seine eigenen moralischen Grundsätze von Mitgefühl,
Respekt und Nächstenliebe. Ein universelles, allzu menschliches Dilemma,
und eine harte Lektion in Empathie.
Unser Fazit: Ein kraftvolles, dicht komponiertes und herausragend gespieltes Drama um Schuld und Sühne, Rache und Selbstjustiz. Es lohnt sich, die langsam, aber stetig steigende Spannungskurve auszuhalten: Die letzte halbe Stunde, in der das moralische Verhängnis der Protagonisten seinen Höhepunkt erreicht, entschädigt für den langen Aufstieg.
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