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Boston Calling – Potsdamer Studierende nehmen an internationalem Biotechnologie-Wettbewerb teil

Sie stellen ein eigenes Forschungsteam auf die Beine, setzen sich ein ambitioniertes Ziel und planen akribisch umfangreiche Experimente. Studierende der Universität Potsdam scheuen keine Mühen, um an einem großen internationalen Wettbewerb der Synthetischen Biologie teilzunehmen.

Bryan Nowack, Lukas Golombek und Robin Michael haben ein gemeinsames Ziel: Sie wollen nach Boston. Alle drei studieren an der Universität Potsdam - Biowissenschaften, Computational Science, Biochemie und Molekularbiologie. Doch neben ihrem Studium stehen die 21, 22 und 24 Jahre jungen Studenten mit einem Bein bereits voll im Forscherleben. Gerade stecken sie mitten in den Vorbereitungen für einen Wettbewerb, der ihnen einiges abverlangt: Zeit, Geld und jede Menge Enthusiasmus sind vonnöten, um an der iGEM-Competition teilzunehmen. Im Herbst 2019 werden sie als Team nach Boston fahren, um die Ergebnisse von einem Jahr harter Arbeit zu präsentieren und sich mit Hunderten weiteren Forscherteams aus der ganzen Welt zu messen. Doch bis dahin gibt es noch viel zu tun. Seit einem halben Jahr feilen die Studierenden an ihren Ideen, schmieden Pläne für die anstehenden Arbeiten und stellen ein Team aus Studierenden, Wissenschaftlern und Professoren zusammen. Etwa 40 Studierende unterschiedlicher Fachrichtungen werden letztlich dazugehören. Natur- und Biowissenschaftler sind ebenso beteiligt wie Informatiker, Philosophen oder Psychologen. Betreut und beraten wird das Team von rund 20 Doktoranden, Postdocs, Professoren und Technischen Assistenten. Neben Wissenschaftlern der Universität Potsdam kann das Team auch auf die Unterstützung der Potsdamer Max-Planck- und Fraunhofer-Institute und des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung zählen.

Biotechnologie am Computer

Bei Robin Michael und Bryan Nowack laufen alle Fäden des Vorhabens zusammen. Für Nowack ist es nicht das erste Mal, dass er bei iGEM mitmacht. Schon vor zwei Jahren hat er ein Team in den Wettbewerb geführt. „Es hat sehr viel Spaß gemacht", erklärt der Student. Doch das ist nicht der einzige Grund dafür, dass er sich noch einmal in das Abenteuer iGEM stürzt. Nach der ersten Teilnahme war der Ehrgeiz des 21-Jährigen geweckt: „Wir haben damals das Ziel, das wir uns gesetzt haben, nicht erreicht. Am Ende war die Zeit einfach zu knapp." So ergeht es den meisten Teams des Wettbewerbs. Doch bei den Potsdamern soll es in diesem Jahr anders sein. „Jetzt erst recht" ist das Motto. Dabei sind die Ziele des iGEM-Teams auch in diesem Jahr ambitioniert: „Wir wollen ein Protein, das normalerweise bei Temperaturen von 20 bis 45 Grad Celsius aktiv ist, so verändern, dass es hitzestabil wird und auch bei höheren Temperaturen aktiv ist", erklärt Robin Michael. Industriell genutzte Proteine - wie etwa Enzyme in der Lebensmittelindustrie - könnten damit in ganz neuen Bereichen angewendet werden, ohne ihre Stabilität und Funktion zu verlieren. Um ihr Ziel zu erreichen, werden die Studierenden ganz klassisch im Labor experimentieren - und auch mit neuronalen Netzwerken am Computer arbeiten. „In silico" nennt sich dieser Forschungsansatz, der auf Experimenten mit Computersimulationen beruht. Die Struktur des Proteins, das die Nachwuchsforscher für ihre Untersuchungen verwenden wollen, ist bereits bekannt. Aus Datenbanken filtern sie zusätzliches Wissen heraus. Mithilfe eines künstlichen neuronalen Netzes lässt sich dann ein digitales Modell des Eiweißes erstellen, das die gewünschte Hitzestabilität besitzt. Entscheidend ist dabei, wie das Protein gefaltet ist, wie die Aminosäuren zueinander angeordnet sind und welche Bindungen zwischen den einzelnen Atomen bestehen. Abertausende Kombinationen sind möglich. Es ist eine Sisyphos-Arbeit, für die enorme Rechenressourcen notwendig sind. Das iGEM-Team wird dabei vom Institut für Informatik unterstützt. „Entscheidend sind die Trainingsdaten für das neuronale Netz", erklärt Lukas Golombek. Die Hauptaufgabe des Informatikteams wird es sein, geeignete Daten zu recherchieren und so in das neuronale Netz einzuspeisen, dass es lernen kann, Wahrscheinlichkeiten für Mutationen vorherzusagen und das optimale Eiweißmodell zu erstellen.

Optimierte Proteine aus dem Labor

Zeitgleich startet auch die Laborarbeit, für die das Team Laborräume am Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) und am Max-Planck-Institut (MPI) für Kolloid- und Grenzflächenforschung nutzen kann. Hier wollen die Forscher zufällige Mutationen in den Genabschnitten induzieren, die den Code für das Protein in sich tragen. Die Erbinformation verändert sich, das entstehende Protein weist neue Eigenschaften auf. Anschließend screenen und selektieren die Studierenden die entstehenden Moleküle und Mutanten auf höhere Thermostabilität. „Die größte Herausforderung wird das Screening sein", erwartet Robin Michael. Denn im Labor werden Tausende von Mutanten entstehen, die so schnell wie möglich analysiert werden müssen. Unter ihnen - so hoffen die Nachwuchsforscher - wird mindestens eine sein, die die gewünschten Merkmale besitzt und die Information für ein Protein in sich trägt, das hitzestabil und zugleich funktionsfähig ist. Mit dieser Methode, die in der Fachwelt als „gerichtete Evolution" bekannt ist, lassen sich Proteine gezielt optimieren und verbessern. Mit Spannung wird das iGEM-Team nicht nur auf die Laborergebnisse, sondern vor allem auch auf die Computerexperimente blicken. Denn das neuronale Netzwerk erarbeitet parallel die Sequenz für ein Protein, das die gewünschten Eigenschaften in sich trägt - ganz ohne Laborarbeit. Das große Ziel ist es, beide Ansätze so miteinander zu verbinden, dass ein Teil der Laborarbeit durch den Computer ersetzt werden kann und der Gesamtprozess dadurch effizienter und kostengünstiger wird.

Eine Frage der Zeit - und des Geldes

„Der Zeitaufwand ist enorm", stellt Robin Michael klar. Bis zum Oktober 2019 gibt es wenig Freizeit für die Teammitglieder. Das Labor wird täglich besetzt sein - in jeweils vierstündigen Schichten während der Vorlesungszeit, in den Semesterferien sogar acht Stunden lang. Alle zehn Tage treffen sich die Teammitglieder, die in verschiedenen Gruppen arbeiten, zu einem Meeting und besprechen wichtige Ergebnisse und anstehende Arbeiten. „Es ist ein Vollzeitjob - neben dem Studium", so Michael, der selbst jedoch gut weiß, worauf er sich einlässt: Vor dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Biologisch-technischen Assistenten und arbeitete in molekularbiologischen Laboren in Berlin und Irland. Es sind Erfahrungen, die ihm und seinem Team nun gute Startbedingungen für den Wettbewerb verschaffen. Es ist nicht nur die Zeit, die dem Team im Nacken sitzt. Auch das nötige Geld muss erst noch aufgebracht werden. „Es ist ein sehr teures Projekt, das wir komplett aus Spenden finanzieren müssen", erklärt Robin Michael. „Mehrere Tausend Euro kostet allein die Anmeldung zum Wettbewerb." Deshalb gehört zu den anstehenden Arbeiten auch die Suche nach Sponsoren. Einige Materialien für die Laborarbeit sind zumindest schon gesichert: Hier springen die Unternehmen Eppendorf, ZymoResearch und Promega ein. Am Ende der Arbeiten, die bis zum Oktober 2019 laufen werden, wartet auf das Team der große Abschluss in Boston - das „Giant Jamboree". Tausende Studierende, Wissenschaftler und Juroren werden sich vier Tage lang die Präsentationen und Forschungsergebnisse der über 300 Teams anschauen. 20 Minuten haben die Potsdamer dann Zeit, um ihre eigenen Ergebnisse zu präsentieren. Auf eine Platzierung in den ersten Rängen kommt es ihnen nicht an. Was zählt, sind die Resultate - und der Spaß. iGEM steht für international Genetically Engineered Machine. Ursprünglich vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) organisiert, steht der Wettbewerb inzwischen auf eigenen Füßen und wird von einer unabhängigen Stiftung getragen. Er findet seit 2003 statt und richtet sich vor allem an Studierende, die sich mit Projekten zur Synthetischen Biologie bewerben können. Das Fachgebiet vereint Molekularbiologie, Nanotechnologie, organische Chemie, Ingenieurwissenschaften und Informationstechnik. Das Ziel der Forschung ist es, biologische Systeme mit neuen Eigenschaften zu erzeugen, die in der Natur nicht vorkommen. Neuartige Enzyme, therapeutische Substanzen, Materialien oder auch Treibstoff können mit der Synthetischen Biologie hergestellt werden. www.igem.org

Die Studierenden

Bryan Nowack ist 21 Jahre alt und studiert im Masterstudiengang Molekularbiologie im 1. Semester. Lukas Golombek ist 24 Jahre alt und studiert Computational Science im 9. Semester. Robin Michael ist 22 Jahre alt und studiert nach einer Ausbildung zum Biologisch-technischen Assistenten Biowissenschaften im 3. Semester. igem.up@gmail.nomorespam.com

Zum Film: iGEM@UP 2019 - Wo Forschen Studentensache ist

Text: Heike Kampe Online gestellt: Alina Grünky Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktion@uni-potsdam.nomorespam.de

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