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Kritik an ÖVP-Wahlbüros: Diskriminierung von Menschen mit Behinderung

Wahlkampfbüro „Team Kurz“ in Hall in Tirol

Laut „Selbstbestimmt Leben Österreich" sind viele der eingerichteten Wahlkampfbüros nicht barrierefrei.

Barrierefreiheit in Österreich ist eine Baustelle - und das trotz der ratifizierten UN-Behindertenrechtskonvention, die Menschen mit Behinderung eine gleichberechtigte gesellschaftliche, kulturelle, politische und rechtliche Teilhabe garantieren soll. Konsequente Barrierefreiheit ist auch das Anliegen der Interessenvertretung „Selbstbestimmt Leben Österreich" (SLIÖ), die in einem Offenen Brief die Wahlkampfbüros von Sebastian Kurz (ÖVP) kritisiert. Diese wären ein Beispiel dafür, wie leichtfertig in Österreich mit den Grundrechten von Menschen mit Behinderung umgegangen wird.

Dabei geht es unter anderem um Wahlkampfbüros in Innsbruck, Hall in Tirol (Bild rechts), Wien und Salzburg. Was dabei besonders sauer aufstößt: Die ÖVP setzte in Tirol und in der Steiermark Menschen mit Behinderung an die erste Stelle ihrer Landeslisten. Doch weder die bekannte Sportlerin Kira Grünberg, noch die ehemalige Bürgermeistern Barbara Krenn können ohne fremde Hilfe die eigenen Wahlkampfbüros betreten. Beide sitzen im Rollstuhl. Für viele Menschen mit Behinderung ein Zeichen dafür, dass die ÖVP Inklusion nicht ernst nimmt. Auf die Bilder der Eingänge zu den Wahlkampfbüros angesprochen, sagt Grünberg auf Anfrage von Unsere Zeitung:

„Stufenlose Übergänge sehen anders aus. Ich hatte Glück, und bis jetzt hat mich immer noch jemand über die Kante gelupft. Aber ja, es gibt noch sehr viel zu tun für ein barrierefreies Österreich."

Die SLIÖ sieht hingegen eine Diskriminierung im Sinne des Bundes-behindertengleichstellungsgesetztes (BGStG) und fordert „die sofortige Herstellung von umfassender Barrierefreiheit". Mit mobilen Rampen, die bei Bedarf angebracht werden könnten, damit die Wahlkampfbüros auch für RollstuhlfahrerInnen zugänglich sind, will man sich nicht abspeisen lassen. Diese würden nicht das Problem lösen und in der Praxis meist nur schlecht oder gar nicht funktionieren. Vorstandsmitglied der SLIÖ und Innsbrucker Universitätsprofessor Volker Schönwiese: „Die Diskriminierung im Sinne des BGStG ist von Kurz/ÖVP entweder nicht bedacht oder einfach in Kauf genommen worden. Beides ist für den Zustand österreichischer Akzeptanz von Menschenrechten symptomatisch."

Barrierefreiheit muss Standard werden

Von der konsequenten Umsetzung von baulicher Barrierefreiheit in allen Bereichen des Lebens, sei es in den eigenen vier Wänden, in öffentlichen Einrichtungen oder dem öffentlichen Verkehr, würden alle Menschen profitieren, meint SLIÖ-Vorsitzende Bernadette Feuerstein: „Im Laufe des Lebens sind nahezu alle Menschen auf Barrierefreiheit angewiesen, z.B. Personen nach einem Unfall mit (zeitweiliger) Bewegungseinschränkung, Menschen mit Behinderungen oder alte Menschen."

Auch Schönwiese sieht in Österreich dringenden Reformbedarf und fordert eine Beseitigungs- und Unterlassungspflicht im BGStG zu verankern: „Geringer Schadensersatz-Anspruch, wie jetzt, reicht nicht." Außerdem muss laut Schönwiese die Barrierefreiheit in der Bundesgewerbeordnung verankert werden. In den Landesbauordnungen solle die verpflichtende Zuziehung von Sachverständigen für Barrierefreiheit festgelegt werden und die Bundesmittel an die Länder (z.B. Wohnbauförderung) müssten an die Einhaltung der UN-Behindertenrechtskonvention gebunden werden.

Barrieren mit Folgen

Obwohl Barrieren vor allem mit baulichen Einrichtungen (z.B. Stufen) in Verbindung gebracht werden, sind viele weitere Lebensbereiche davon betroffen. Will man gleiche Chancen und Bedingungen für alle Menschen schaffen, und dazu hat sich Österreich bereits verpflichtet, müssen Barrieren auch in Bereichen wie etwa Kommunikation, Medien und Verkehr wahrgenommen, thematisiert und behoben werden. Barrieren sind nicht nur ein kleines Ärgernis, sondern haben oft fatale Folgen: Menschen werden in gesellschaftliche Isolation gedrängt, benötigen oft zeitintensive Unterstützung von Familie und Freunden oder mehr persönliche Assistenz. Auch die mangelnde Barrierefreiheit in vielen Privatwohnungen und die finanzielle Belastung die zustande kommt, will man mobil sein, zwingt viele Menschen in Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen. Als höchst politisches Thema verärgert mangelnde Barrierefreiheit im Wahlkampf besonders.


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