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Feature

Ein Tag im Leben von Martin Lehr, dem Seifenkoch

Martin Lehrs Arbeitsplatz ist wie eine riesige Küche. Zwei Töpfe, hunderte von Vorratsbehältern, ein Regal voller „Gewürze“. Nur die Zutaten und vor allem die Dimensionen unterscheiden sich. Martin Lehr produziert für Sonett in Deggenhausen am Bodensee flüssige Wasch- und Reinigungsmittel, bis zu 15.000 Liter pro Tag.

Das erste, was Martin Lehr zu Arbeitsbeginn feststellt: Der Tanklaster steht noch nicht da. Früher hätte ihn das nicht gekümmert. Noch vor wenigen Jahren hatte er bei Sonett in Deggenhausen einen Aushilfsjob mit Zeit zum Ausschlafen: Seine Arbeit begann um ein Uhr Mittags, er füllte flüssige Haushaltsreiniger, Spülmittel oder Handseifen in Flaschen oder kleine Kanister ab und musste sich sonst um nichts kümmern. Jetzt ist das anders: Der ehemalige Waldorfschüler und Aushilfsjobber blieb, wurde Schichtleiter. 48 Mitarbeiter zählt das Unternehmen. Um die Produktion kümmern sich im Wesentlichen zwei. Einer davon ist Martin Lehr. Heute ist er hier allein, sein Kollege Moritz Falke hat sich in den Urlaub verabschiedet.

 

Ohne den erwarteten Tanklaster beginnt der Tag anders als geplant. Der Chemikant, so seine offizielle Berufsbezeichnung, schiebt einen großen gelben Vorhang beiseite, öffnet das Fenster und lässt die Sonne reinfluten. Er fährt den Computer hoch, prüft kurz, drückt eine Taste und schon beginnt der kleine Mischer im Stockwerk unterhalb leise zu brummen.

 

Menüs, Rezepte, Rührgerät

 

Vieles an der Tätigkeit des 30jährigen erinnert an die Arbeit eines guten Kochs. Er ruft Rezepte ab, plant die „Menüs“ der Woche und mischt Zutaten zu einem homogenen Ganzen. Dass sein Rührgerät so gut zu hören ist, liegt daran, dass die obere Hälfte der „Rührschüssel“, ein Edelstahlmischer mit einem Fassungsvermögen von 3.000 Litern, sich hier im ersten Stock befindet. Der Deckel steht hoch, auf dem Flüssigkeitsspiegel haben sich Seifenblasen gebildet und ein leichter blumig-süßer Duft schwebt durch den Raum. Der stammt von der Calendula-Handseife, die der 30jährige am Vortag hergestellt hat. Sie soll jetzt in 1.000-Liter-Container umgefüllt werden. Einmal die Treppe runter und ein Ventil geöffnet, zweimal die Tastatur des Computers berührt – und schon fließt die Seife unten in einen quaderförmigen weißen Riesenkanister, den Lehr bereits an den Mischer angedockt hatte.

 

Das kann jetzt gut 20 Minuten dauern, bis der Container gefüllt ist. Zeit für einen Kontrollgang. 12 Edelstahltanks mit einem Fassungsvermögen von je 12.000 Litern stehen unten in einem hohen Raum aufgereiht wie Säulen in einer Kirche. Durch ein hohes schmales Fenster beleuchtet Tageslicht den Gang dazwischen. „Das hab ich produziert!“ sagt der ehemalige Aushilfsjobber und zeigt auf die Beschriftungen der Tanks: Waschmittel Color oder Sonnenblumenseife steht da etwa in anthroposophischen Lettern. Der Mann mit dem kurzen blonden Schopf prüft Leitungen, Verbindungsstücke, den Flüssigkeitsstand in einem Ausgleichsbehälter. Nichts von der wertvollen Flüssigkeit soll verloren gehen.

 

Dank an das Wasser

 

Einen Raum weiter sind die beiden Mischer positioniert – der zweite, große, fasst 13.000 Liter. Und dann steht da noch ein 7.000-Liter-Wassertank, dem Lehr einen Schuss Wasser entnimmt, um zu prüfen, ob die Enthärtungs-Anlage ihre Aufgabe erfüllt. Wasser spielt eine zentrale Rolle im Hause. Das erklärt Beate Oberdorfer, eine der beiden Geschäftsführer bei Sonett, die sich kurz dazugesellt hat. „Wir verdanken dem Wasser viel, nutzen es, um unsere Waschmittel herzustellen.“ Sonett-Waschmittel sind mit Wasser hergestellt, das Quellwasser-Qualität besitzt. Ein Wasser-Verwirbler macht’s möglich. Außerdem wird jedem Produkt im Hause einen wertvoller Zusatz mitgegeben: Gold, Weihrauch, Myrrhe, Lorbeer, Olive und Rose. In mikroskopischen Mengen natürlich. Als Dankes-Gabe an das Wasser.

 

Die Pippi-Langstrumpf-Melodie ertönt – Martin Lehrs Handy klingelt. Der Tanklastzug ist eingetroffen. Lehr schnappt sich zwei kleine 500 Milliliter-Eimerchen mit Deckel, eine Kelle mit meterlangem Stiel und gelbe Gummihandschuhe. Draußen klettert er gemeinsam mit dem Fahrer über die Leiter hoch auf den Tank und füllt Proben der angelieferten Zuckertenside in Eimerchen. Auch das gehört zu seinem Job: Brechungsindex, pH-Wert, elektrische Leitfähigkeit sind oben im Labor schnell gemessen. Alles gut, die Schläuche können angedockt werden.

 

Wenns gut läuft

 

Als erstes möchte Lehr das Zuckertensid, das zur Herstellung des Oliven-Waschmittels für Wolle und Seide fehlte, in den Mischer füllen. Er steigt hoch in den Produktionsraum, kontrolliert am Computer noch einmal das Rezept. „Lieber arbeite ich mit dem Kopf“, sagt er. „Ich weiß auch, was fehlt.“ Nur wenige Zutaten sind nötig – wie bei einem edlen Gericht: Olivenölseife, Sonnenblumenölseife, Alkohol, Lavendelöl, Zitronensäure und Zuckertensid. Ein Tastendruck – die passende Menge wird in den großen Mischer weitergeleitet. Wenn’s gut läuft, produziert Martin Lehr am Tag fünf verschiedene Wasch- oder Reinigungsmittel, 15.000 Liter Flüssigkeit.

 

Draußen beim Tanklaster war’s heiß: Martin Lehr greift zum Glas und füllt aus dem Wasserhahn Leitungswasser ein. „Eigentlich“, sagt er, „schmeckt unser verwirbeltes Wasser besser. Irgendwie weicher.“ Aber dafür müsste er jetzt ein paar Meter weit laufen. Unten in der Eingangshalle und auch in der Kantine stehen Glasballons bereit. Daraus können sich die Mitarbeiter verwirbeltes Trinkwasser abfüllen, Quellwasserqualität also.

 

Zeitsprung. Martin Lehr hat mit Kollegen den Produktionsplan der kommenden Woche besprochen, den Tanklaster-Fahrer beim Löschen der Zuckertenside begleitet und fast wie nebenbei per Knopfdruck Reinigungsmittel umgefüllt und Flüssigkeiten dazugemischt. Das geht, wenn man immer mit einem Ohr in Richtung Produktion hört. Sobald eine Pumpe ihre Arbeit einstellt, kann Lehr den nächste Arbeitsgang in die Wege leiten.

 

Nichts soll verloren gehen

 

Der Chemikant steigt die zweistufige Holztreppe am großen Mischer hoch und leert eimerweise Flüssigkeit durch die runde Öffnung: passende Leitungs-Reste aus vorherigen Produktionen. Die hatte er in sorgfältig beschrifteten und verschlossenen Eimern aufbewahrt. Nichts soll verloren gehen. Deswegen wischt er die Eimer mit einem Gummischaber aus. Die 47 Liter trägt er anschließend ins Produktionsprotokoll ein. Fertig. Jetzt kann er untern Bescheid geben.

 

Nur fünf Personen im Haus – unter anderen die beiden Geschäftsführer – haben die Berechtigung, den Zusatz zuzugeben, die Dankes-Gabe an das Wasser. Der kleine in einer Zeremonie zubereitete Schatz steht bereit: eine unscheinbare bräunlich-trübe Flüssigkeit in einem einfachen Schraubglas. Nur ein kleiner Schluck kommt in den Riesen-Tank, ein Impuls. Der 3.000-Liter-Mischer nebenan ist leer. Ein Tastendruck: Martin Lehr hat die Wasser-Zuleitung zum Verwirbler in Gang gesetzt. Es gluckert wie an einem kleinen Bach.

 

Sonett OHG

Gründung 1977 als Zweimannbetrieb

Niederlassung 1996 in einer alten Ziegelei

Mitarbeiter: 48; Helfer aus den Camphill Werkstätten: 24

Umsatz: 8,5 Mio. Euro.

Produktion: 4.000 Tonnen Waschmittel pro Jahr, drei Viertel davon - 3 Mio. Liter – sind Flüssigprodukte.

Verbreitung: Sonett wird überwiegend über den Naturkost-Fachhandel vertrieben (Umsatzanteil 95%).

Exporte in 32 europäische und 15 außereuropäische Länder.

Marktanteil an ökologischen Wasch- und Reinigungsmitteln in Deutschland: über 20 Prozent

Produktanzahl: 49. Waschmittel, Spülmittel, Haushaltsreiniger, Handseifen, Desinfektionsmittel.

Geschäftsführer: Beate Oberdorfer, Gerhard Heid

www.sonett.eu

 

Der Original-Beitrag erschien mit weiteren Informationen im Heft 9-2014 der Fachzeitschrift Biohandel. 

Bild: R_K_Duba/pixelio.de