„Kannst du das hier lesen? Wenn ja, antworte mir mal bitte!“ Das war die erste WhatsApp-Nachricht meiner Mutter. Abends um 23.24 Uhr.
Fünf Minuten später antwortete ich ihr: „Ich bin stolz auf dich!“ Und das war ich wirklich, denn: So einfach, wie das jetzt klingt, war es gar nicht. Zuerst musste ich ihr nämlich ihr halbes Telefon erklären.
Nicht, dass sie es nicht versucht hätte. Die Bedienungsanleitung lag noch aufgeschlagen auf dem Tisch. Sie blickte zwischen ihr und mir hilfesuchend hin und her und sagte: „Bitte frag nicht, wie ich das geschafft hab. Aber das ist hier jetzt alles auf Englisch und ich komme nicht weiter.“ Die Sprache wieder umzustellen, war nicht das Problem. Schließlich hatten wir beide noch Glück: Es hätte auch Chinesisch sein können. Schwieriger war es, ihre vielen Fragen zu beantworten.
„Und wie mache ich das jetzt, dass ich mit dir schreiben kann?“ – „Dafür brauchst du eine App. Sie heißt WhatsApp.“ Kurze, einfach Sätze. So hat sie schließlich auch angefangen, mit mir zu reden. „Und wo bekomme ich die her?“ – „Das geht ganz schnell. GooglePlay-Store öffnen, Namen der App eingeben, downloaden, warten. Und dann öffnen.“
Als ich von ihrem Smartphone aufblicke, sehe ich, wie sie auf einem Block eifrig mitschreibt. „Wie schreibt man App? Und kannst du mir das noch mal zeigen, diesmal ein bisschen langsamer?“
„Na klar, Mama.“ Schließlich bin ich auch ein paar Mal hingefallen, bevor ich richtig Laufen konnte.
„So, und wie kann ich dir jetzt schreiben?“ Zeit für ein bisschen Selbstständigkeit: „Wie auf deinem Computer gibt es auch hier eine Funktion, die sich Google nennt. Dort gibst du jetzt ein: ‚Kontakt zu WhatsApp hinzufügen.‘ Und wenn du schon dabei bist, guck doch auch gleich mal nach ‚Emojis‘. Ich geh jetzt ins Bett. Du schaffst das schon.“ Sie hat es tatsächlich geschafft.
Schon nach einer Viertelstunde konnte sie in der digitalen Welt ihre ersten Schritte ganz allein gehen. Ich habe dafür in der richtigen Welt Monate gebraucht.
Doch das mit den Emojis hätte ich ihr lieber nicht so früh sagen sollen. Seitdem gibt es keine Nachricht, die nicht mindestens drei Emojis enthält. Besonders beliebt: das Gespenst.
Am nächsten Morgen hatte sich zwischen die Nachrichten meiner Freunde auch eine meiner Mutter geschlichen: „Hi Süsse (lächelnder Smiley) Wollte gucken, ob es noch geht. (lachender Smiley, pinkes Herz, Zunge)“ Meine Antwort: „Und ich erkläre dir nachher mal, wie du ein ‚ß‘ hinbekommst . . .“ Ihre Antwort: „Po“. Dann: „sorry. Da war der Finger wohl zu schnell. sollte okay werden und ich wollte korrigieren. Schwups war’s weg. (lachender Smiley)“ Da habe ich mich gefragt, wie es sich wohl angehört hätte, wenn meine ersten Sprechversuche gleich von einer Autokorrektur verbessert worden wären. Abends habe ich ihr dann noch das mit dem ‚ß‘ erklärt und in nur 24 Stunden wurde sie in der digitalen Welt überlebensfähig. Oder anders gesagt: erwachsen.
Für mich war es selbstverständlich, meiner Mutter zu helfen. Denn sie war genauso hilflos, wie ich es am Anfang war. Ich kann die Menschen nicht verstehen, die sich über ihre vermeintlich „dummen“ Eltern beschweren, die „mal wieder nichts auf die Reihe bekommen“.
Dann sollten wir uns einmal fragen, wo wir ohne sie wären. Ohne die vielen Stunden, in denen sie uns zugehört und die Dinge erklärt haben. Außerdem verbringe ich schon so zu wenig Zeit mit ihr. Und vielleicht sage ich das auch, weil ich mir insgeheim wünsche, dass meine Kinder später einmal genauso denken. Wer weiß schon, was für Technik es in 30, 40, 50 Jahren geben wird.
Und welche Fragen ich dann haben werde.
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