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Von der Wandervogel-Bewegung zur befreienden Pädagogik

Wandervogel-ZeichenDie Wandervogel-Bewegung vor hundert Jahren kann den Weg zu heutiger Demokratie-Vermittlung weisen
Hans BeimlerHundert Jahre im Bewusstsein von Aufbruch und Selbstorganisation
Vor hundert Jahren? Da waren Kaiser und Könige, Adel und Leibeigenschaft, Dienstboten und Industrie-Arbeit, und das VATERland schlitterte in einen "schnellen" Krieg gegen Frankreich, denn sie glaubten den Regierenden im August und September 1914: "Weihnachten sind wir wieder daheim!"

Wie das 1870 / 71 gewesen war, als man "schnell die Franzosen ausplünderte" und mit dem Geld die stolzen Stadtviertel der "Gründerzeit" hochzog, die kleinen überfüllten Herbergen wegräumte, deren Bewohnerzahl in kurzer Zeit von 5.000 auf 50.000 gestiegen war, in allen großen Städten entstanden solche "Franzosenviertel" wie in Haidhausen, wo ein hier unehelich geborenes Kind später zum Kommunisten wurde: Hans Beimler, der aus dem KZ Dachau entkam und darüber schrieb, später 1936 im spanischen Befreiungskampf fiel.

Juni 2015 landete ich im Rahmen einer europäischen Community-Fortbildung zu Degrowth, dem Ende des krankhaften Wachstums in bewusster Bildung, GROWL im Archiv der Wandervogel-Bewegung auf Schloß Ludwigstein, die mich, nach etlichen anderen Recherchen wie zu Hans Scholl, zu den folgenden Vignetten anregte. Die Baustelle wächst noch weiter, für Anregungen und Kritik danke ich im Voraus, viel Vergnügen, Fritz Letsch.
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Das Geburtshaus von Hans Beimler, der als Kommunist aus Dachau fliehen konnte und darüber ein Buch schrieb

Aus grauer Städte Mauern ... zieh'n wir durch Wald und Feld
Zur Jahrhundertwende um 1900 war eine kleine Bewegung angewachsen, die als Wandervogel zwar immer romantisch betrachtet, aber wenig in ihrer breiten Wirkung vermittelt wurde, zum Teil immer noch verheimlicht.

Es gab damals traditionell immer schon "fahrendes Volk", aber das war meist beruflich bedingt, als Händler und Handwerker, doch nun fuhren plötzlich 1896 die Kinder und Jugendlichen in größerer Anzahl los, trampten auf Ochsen- und Pferde-Fuhrwerken und wanderten "ins Blaue", wohin die Wege führen mochten, und versuchten in den Sommermonaten das Leben in Wald und Feld, redeten von Demokratie und sangen andere Lieder, als sie in den Burschenschaften, den schlagenden Verbindungen der Studierenden neben Saufen bis zum Umfallen und Rauchen im Kreise der "Alten Herren", die hier ihren Nachwuchs rekrutierten, üblich waren.

Ende 1912 kam es zum Zusammenschluss der Wandervogelbünde zum Wandervogel e.V. Als besonderes Erlebnis empfand Alfted Toepfer das Jahresfest des Wandervogels in Frankfurt/Oder und als ganz herausragend den Freideutschen Jugendtag im Oktober 1913 auf dem Hohen Meißner, wobei um die inhaltliche Ausrichtung der Jugendbewegung gerungen wurde.


Gleichzeitig wollte man sich von den großen patriotischen Jahrhundertfeiern distanzieren, bei denen mit viel Alkohol an die Völkerschlacht 1813 bei Leipzig erinnert wurde. Circa 3000 Teilnehmer besuchten den Freideutschen Jugendtag am 11./12. Oktober 1913. Hier wurde die in die Geschichte eingegangene Hohe-Meißner-Formel als Ausdruck der gemeinsamen Gesinnung und Lebensweise verabschiedet. Sie lautet: „Die Freideutsche Jugend will ihr Leben nach eigener Bestimmung vor eigener Verantwortung mit innerer Wahrhaftigkeit gestalten. Für diese innere Freiheit tritt sie unter allen Umständen geschlossen ein. Alle Veranstaltungen der Freideutschen Jugend sind alkohol- und nikotinfrei“. Aus der Geschichte der Jugendbewegung: www.buendische-blaue-blume.de/index-Dateien/Toepfer Alfred...



Nationales Gedankengut von Adel und Politikern war in der breiteren Bevölkerung ja erst im Wachsen, die vielen deutschsprachigen Länder waren noch nicht so lange im Kaiserreich vereint, und militärischer Drill und monarchischer Schwulst prägte Gymnasien und Studium, wie Heinrich Mann sehr schön beschrieb: Der Untertan (wikipedia).
Industrialisierung und Arbeitsverdichtung & der Sinn des Lebens für die Freien
Die Städte waren voll Rauch und Gestank, denn weder Abwasser, Müllabfuhr, noch Abgas-Auflagen waren denen gut geregelt, die Neues schufen, den Fortschritt betrieben, (wie heute in China, wo das Bewusstsein für die Gesundheit der Menschen erst allmählich aus den Krankheiten durch den Smog wieder wachsen muss). Es war noch nicht üblich, die Häuser, so weit sie nicht adeliger und kirchlicher oder monarchischer Besitz waren, ständig frisch zu streichen ... wie heute.
Knechtschaft war hautnah erlebbar: Dienstboten-Existenz wie Leibeigenschaft
Das bürgerliche Leben kannte die Literatur, die kleinen Leute hatten nicht die Gelegenheit und Zeit, viel zu schreiben, wie sie lebten, darum sind die Beschreibungen mager: Lena Christ aus Glonn, August Kühn im Münchner Westend, ...

Tausend Moritaten- und Volkssänger wanderten bettelnd durch die Straßen oder fanden auf hunderten von kleinen Vorstadt-Bühnen ihr kleines Einkommen aus dem Handwerker- und Vorstadt-Bürgertum der Häuslbesitzenden.

Dienstboten im Haushalt waren Köchin und Chauffeur (Fahrer), Kindermädchen und  Sekretär, die Wäscherin und Schneiderin waren als Zugeh-Kräfte auch Tagelöhner und auf der Stör, also Zeit-Gäste, und hatten froh zu sein, Aufträge zu bekommen.

Jüdische Haushalte hatten meist auch christliche Dienstboten, damit diese am "Schabbes" die Arbeit verrichten konnten, die frommen Leuten verboten gewesen wären, von diesen stammten die Laut-Nachahmungen der guten Wünsche  "Herrschaften" zu Feiertagen, die Volksmund wurden: "Guten Rutsch" zu Neujahr und "Massel gehabt" aus dem Glückwunsch Masseltov!

Wie heute noch in den südamerikanischen Ländern, wo die Hausangestellten oft noch einfach "Maria" genannt wurden, um sie mühelos auszutauschen, wenn sie von der "Herrschaft" schwanger waren: Die Schande hatte immer die Frau, und am Besten, sie "ging ins Wasser": Ertränkte sich und verdeckte die Schuld in ihrer persönlichen Scham und wechselte den Ort.
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Wasserversorgung war vor über hundert Jahren noch ein öffentlicher Treffpunkt, bevor die Wasserleitungen in die Häuser verlegt wurden, zuerst am Flur, dann in die Wohnungen.

Monarchie oder Sozialismus: Autoritäten von Gottes Gnaden
Die Arbeiterbewegung entstand im Spagat: Jüdische Intellektuelle hatten nicht die Einheit von Gott, Kaiser und Vaterland wie in den christlichen Pfarrern und Bischöfen über sich, die Kirchen hatten die Schulaufsicht und sicherten den Obrigkeitsstaat.

Nicht so in der Judenschule: Dort wurde in den Gruppen auch der theologische Dialog und Disput gelehrt, mit der Thora die einzelnen Situationen zu diskutieren, und die jüdischen Familien und Gemeinden sorgten gemeinsam für die besten Schulabschlüsse ihrer Kinder, was zu einem enormen Ärzte-Anteil in Berlin geführt hatte: Bei nur 5% Bevölkerungsanteil bis zu 30% in diesen Studien. Bernd Bocian in: Fritz Perls in Berlin 1893-1933

Katholizismus und Protestanten hielten zu Gott und der von ihm verordneten Hierarchie und Obrigkeit, die ihnen ihre Ämter und Einkommen gab, den Gehorsam über die Schulaufsicht garantierte und damit auch das Steuer-Einkommen.

Anarchie und Sozialismus hatten damals immer auch internationale Färbungen: die Hoffnungen der russischen Revolution, die die zaristischen Übergriffe beseitigte, die Kämpfe der Fraktionen dort, Lenin und Kropotkin, Leo Trotzki, später die Kämpfe in Spanien gegen Franco und die katholischen Monarchisten, aber auch die Vorbilder der Demokratie in der Schweiz und der Unabhängigkeitskämpfe wie in den USA.
Die nationalen und die militaristischen Bewegungen: Adel, Burschenschaften & christliche Elemente, autoritäts-gläubig
Das studentische Leben begann schon in den Oberstufen der Gymnasien: Die Pauker wurden in der letzten Klasse freundlicher, beinahe kollegial, je nach Typus lud er schon zum Saufen ein, und in den Kommers-Runden gab es die männlichen Abend-Runden von Rauchen und Saufen bis unter den Tisch: Was sich von den Studierenden kaum einer hätte leisten können, wurde von den "alten Herren", den Unternehmern und Honoratioren ausgegeben.

Bis in heutige Studentenverbindungen geht das weiter, und manche der Verbindungen locken mit billigen Zimmern in ihren ererbten Häusern, um jungen Zulauf zu rekrutieren, der sich in die Hierarchie einpassen mag: Füchse, die nicht nur die Schuhe putzen, um auch dabei sein zu dürfen ... und sichern sich politisch angepasste Mitarbeitende für kriegswichtige Unternehmen.
Freies Denken, körperliche Bewegungen, jüdische und gemischte Gruppen
Die Gegenbewegung formiert sich aus den schlechten Erfahrungen des Drill und der Kumpanei: Die stolz propagierte Alkoholfreiheit der Lagerfeuer-Runden und das Nicht-Rauchen in den Versammlungen wurde zum Symbol und später wieder so umstritten wie dichterisch verehrende Homo-Erotik und die Trennung von Frauengruppen und Juden, die in den einzelnen Bünden immer wieder als Forderungen auftauchen, aber auch Abspaltungen und Untergliederungen erzeugten.

Alle politischen Richtungen sind erst noch vertreten, und die gesellschaftlichen Diskussionen finden hier ihre Spitzen der Auseinandersetzung, und so mancheR wechselt durch die Bünde, so weit das möglich ist: Es gibt die Gruppen als "Nur für Männer" und auch Gemischt, nur für Frauen und als gemeinschaftliche Projektgründungen, liberal oder religiös, ernährungsbewusst und streng vegan, mit jüdischen Freunden oder (nach einem regionalen Ausschluss) im eigenen Verband ...

... wie schon vorher bei den Treffen der Anarchisten und Sozialisten, der freien Literaten am Monte Verita in der Schweiz und den Projekten der Lebens-Reformer, der nackt-badenden Naturisten mit der Freikörperkultur (FKK) und den neuen Ausdrucks-Tanzbewegungen um Rudolf Laban und Mary Wigman, die Anthroposophie, verschiedene Reform-Pädagogen und den Beginn der Reformhäuser, der Produktionsgenossenschaft Eden, eine Bewegung, die das ganze Land und alle Schichten durchzieht.
Wandervogel und Natur
Auslöser waren Erzählungen und Geschichten von jungen Lehrkräften, die darüber schrieben, von jungen Leuten, die einfach los zogen: Aus der Stadt hinaus, trampen, andere Länder sehen, den Norden mit den Sinnen erobern Naturbeobachtung, Fotografie, Kanufahren, Schwimmen ... Veganismus und Frei-Körperkultur, Arbeits-Gemeinschaften und Zeltlagern.
Arbeitsgemeinschaften als neue Lernform
Zwei Versionen der Schule gab es schon in jener Zeit: Militaristische Zucht oder die dialogische "Judenschule", die hauptsächlich die Jungs auf den Umgang mit den Diskussionen der Thora vorbereitete. Der Adel, der Königshof und das reiche Bürgertum hatte daneben noch ein System des Privat-Unterrichtes,

Die Reformpädagogik arbeitete, vor allem in den Initiativen um Adolf Reichwein, mit den neu entwickelten Strukturen von Arbeitsgemeinschaften: Der Ehrgeiz lag darin, mit den anderen Teilnehmenden eine Arbeits- und Lernsituation zu schaffen, die Hand, Herz und Hirn und alle Sinne anspricht und dabei gemeinschaftlich das Erlernte und neu Erforschte dokumentiert.

Reichwein war Zeit seines Lebens ein typischer Wandervogel geblieben, hatte eine Weltreise gemacht und eine Volkshochschule geleitet, aber auch reformpädagogisch mit Schülern gearbeitet und war im Kreisauer Kreis als Kultusminister einer Regierung nach Hitler vorgesehen. Die Teilnahme an Treffen dieses Kreises führte zu seiner Hinrichtung am 20. Oktober 1944. wikipedia
Stolperstein Adolf Reichwein

wikimedia

In manchen Klassenzimmern ist seine historische "Zeitleiste" auch heute noch zu sehen: Die Jahrhunderte "unserer Kultur" in einer langen Reihe mit den wichtigsten Ereignissen und ausgeschnittenen Bildern von den Schülern selbst gestaltet: So prägen sich Daten und der Überblick im Tun und in der verantwortlichen Mitwirkung ein;

und alle kennen aus dem Unterricht die Filme mit dem Abspann F-W-U, Reichwein hatte sich in der Reichs-Vorgänger-Institution für eine eigenständige Rolle des Films eingesetzt, hatte die Verwendung der 16mm-Filmprojektoren in den Schulen eingeleitet.

Dass das Wort "Arbeitslager" einmal eine innovative positive selbstorganisierte Einrichtung war, ist nach den Nazi-Missbräuchen aller Ideen auch nicht mehr leicht vorstellbar, macht aber die Veränderung deutlich:

Hier kamen Studenten, Jungarbeiter und Jungbauern aus allen politischen Lagern zusammen, um gemeinsam eine Lösung der Wirtschaftsprobleme im Waldenburger Notstandsgebiet herbeizuführen. „Arbeiterleistung und Arbeitereinkommen“, „Konsumgewohnheiten“ und „Verkehrsfrage in der Auswirkung auf die Preisbildung“ waren einige der behandelten Themen. wikipedia.org/...Löwenberger_Arbeitsgemeinschaft



Sieben Jahre später war der Begriff "Arbeitslager" die Drohung des nun übergriffigen Staates im Reichsarbeitsdienst geworden, nicht mehr die Sammlung für fortschrittliche Ideen, und auch nicht mehr der Freiwilligen-Arbeits-Dienst FAD, der in den folgenden Jahren noch gemeinnützig gearbeitet hatte.
Die Arbeit von Reichwein wird aktuell gewürdigt:
Das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte zeigt Eindrücke und Materialien zur Jugend- und Lebensreformbewegung vor gut 100 Jahren, die Brandenburger Wandervogel-Ausstellung in Potsdam siehe www.befreiungsbewegung.fairmuenchen.de/brandenburger-wandervogel-ausstellung-in-potsdam
Arbeiterbewegung und Partei-Denken fraktioniert die Linke
In der Arbeiterbewegung lagen die Arbeiterchöre, Fahrradzirkel und Sportgruppen als politische Zirkel mit Diskussions- und Lese-Kreisen und mit familiären Pfingst-Ausflügen in der Tradition, die Sozialisten-Gesetze zu unterlaufen, die jede politische Betätigung unterdrücken sollten, aber die reichsweiten Streiks in der Rüstungsindustrie bereiteten im Januar 1918 die Revolution noch während des Krieges vor.

In der Revolution am 7. November 1918 in München sind viele Personen beteiligt, die nicht nur sozialistische Ideen kultiviert hatten, poetisch wie Erich Mühsam in Schwabinger Lokalen und im Englischen Garten als auch Kohlrabi-Apostel wie Dieffenbach und seine Jünger, mit Vorträgen wie Rudolf Steiner und Tanz- Unterricht und Vorführungen wie von Rudolf Laban und Mary Wigman.

Nach der Niederschlagung der Münchner Räterepublik durch Freikorps und Reichs-SPD entsteht hier ab 1920 eine "Ordnungszelle Bayern", die mit offener Unrechts-Justiz und Polizeistaat den Faschismus vorbereitet: Banken und reiche Familien sponsoren Hitler und seine Partei. In den Jugend-Bewegungen gibt es auch arisch inspirierte Gruppen, die eine Anpassung des Wandervogel vorbereiten.

Von Freikorps-Leuten wurden in dieser Zeit der Saalschlachten und Polarisierungen auch schon erste Morde an bündischen Führern im Berliner Raum verübt, wie im Archiv der Jugendbewegung dokumentiert ist.
Machtübernahme und Feme-Morde
Die Gleichschaltung aller Jugendbünde und Verbände kam von 1934 bis 1936 und endet mit der Überführung in die Hitler-Jugend, das Verbot der Bündischen Jugend, ihrer Kothen und Kleidung wurde regelmäßig unterlaufen, vor allem von Gruppen, die von tusk und der dj1.11 , der deutschen jugend vom 1.11.1929 angeregt waren, und die manchmal, wie in Ulm und unter den Scholl-Jugendleitenden zwar offiziell unter "Hitlerjugend" marschierten, aber abends ganz andere Lieder am Lagerfeuer sangen und militärischen drill hassten. (Ausführlicher in: www.befreiungsbewegung.fairmuenchen.de/robert-jungk-atomstaat-kritiker)

Seine Anziehungskraft für viele Wandervögel konnte der Nationalsozialismus auch dadurch entfalten, dass er viele Ausdrucks- und Lebensformen, Symbole und Rituale der Jugendbewegung aufgriff und für seine Zwecke missbrauchte. Dabei wurden äußere Symbole, Rituale, Begriffe und Werte oft in ihrer inneren Substanz verzerrt oder ins Gegenteil verkehrt. www.wandervogel.at/lib/exe/fetch.php?media=djwv:kefermarkter_erklaerung.pdf



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Hans Scholl und Alexander Schmorell: "Verschwiegene" Mediziner, die Freiheits-Aktionen planen & Flugblätter verbreiten

Eine andere üblich-üble Methode der Gestapo war es, die Jugendlichen zu Kommunisten abzustempeln und sie auf dieser Grundlage zu verfolgen. Als „Beweis" dafür diente der in vielen Bünden der 1920er und frühen 30er Jahre verbreitete Russenkult. Vor allem die dj.1.11 mit ihren russischen Liedern und Balalaikas galt als „kulturbolschewistisch verseucht", nicht zuletzt weil deren Führer Eberhard Koebel vorübergehend Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen war. So hetzte die Führerzeitschrift der HJ „Wille und Macht" schon 1933: „Bündische Jugend ist heute Bolschewismus".


Gelang es nicht, Jugendliche aus politischen Gründen zu verfolgen, wurde auch das Verbot der Homosexualität herangezogen - dies allerdings zumeist als reiner Vorwand mangels anderer Belastungsmöglichkeiten, wie 1941 in einem Lagebericht der HJ freimütig eingestanden wurde: „Bei der Bekämpfung der Bündischen Jugend aus politischen Gründen gelang mangels anderer gesetzlicher Grundlagen die Zerschlagung der Bünde fast immer auf dem Wege über ein Strafverfahren wegen Vergehens nach §175 StGB."   http://www.jugend1918-1945.de/thema.aspx?s=5322&m=3447&open=5322



Hans Scholl hatte schon 1937 ein Verfahren wegen "bündischer Betätigung" und §175 und hatte sicher schon eine Akte, denn:




Die HJ-Fahne der Ulmer zierte auch ein Wimpel der dj1.11, den Hans dort angebracht hatte: Dieser wurde beim Reichsparteitag (1935) konfisziert.
Nach: Jäger und Gejagte: Über den deutschen Widerstand im Dritten Reich und was aus Tätern und Opfern wurde; von Bernd Wohlgut



Baden Powell und die Pfadfinder-Idee
Sprengschutz SchrobenhausenFast zur gleichen Zeit und doch ganz anders: Nur ein kleiner Teil der Wandervögel konnte sich mit der englisch-amerikanischen Art anfreunden, da diese stärker an militärischer Ordnung ausgerichtet und hierarchisch durchorganisiert war, was den Bünden weitgehend widersprach:

Eine gemeinsame Fixierung auf Gott, König und Vaterland, wie es bei den Pfadfindern als englischer Variante ausgegebene Grundlage war, die dann auch sofort in Richtung Krieg autoritativ zu mobilisieren war.
Jugend als Zeitraum
Nur für einen Teil der jungen Leute gab es die Möglichkeit, die freien Tage draußen vor den Städten zu verbringen, denn Arbeit und / oder Schule gingen oft bis zu 72 Stunden in der Woche, frei war erst ab Samstag Nachmittag oder Abend, und dann waren noch Besorgungen, Haushaltsarbeit und Zuverdienst zu verrichten.
Gleichschaltung in HJ / BDM
burg-ludwigstein-archivDie Gleichschaltung der vielfältigen Gruppen hatte sehr verschiedene Geschwindigkeiten: Die arischen und national Gesinnten stürmten mit Freude zur Hitler-Jugend, andere versuchten, innerhalb der neuen Strukturen im inneren Untergrund ihre bündischen Gewohnheiten aufrecht zu erhalten.
Das Jugendherbergswerk
übernahm dann auch die Burg Ludwigstein, die damals schon ein Archiv der Wandervogel-Bewegung begonnen hatte, das leider auf dem Transport nach Berlin dort verloren ging. (Andererseits: Vielleicht war es sicherer, dass es verschwand, wie das Wissen um die führenden Personen jener Zeit, die nun enorm gefährdet waren?) Die Burg war nach dem "Europäischen Krieg", (1914-18) wie ihn Franz Marc genannt hatte, auch ein Gedenkort für die gefallenen Brüder geworden, und ein Ort, die Friedensarbeit und die demokratische Geschichte zu pflegen.

Mit dem Familienprogramm des Jugendherbergswerk sollte ein Gegenpol zur bündischen Jugendlichkeit gebaut werden, zum Teil direkt von ehemaligen Wandervögeln, die den Übergang ins Familienleben auch für ihren gemeinschaftlichen Umkreis gestalten wollten.
Arbeits- und Kriegsdienste
leisteten die nächste Stufe der Kontrolle: Was in SA-Gruppen noch kameradschaftlich beginnen konnte, wurde bald Zwangsdienst für alle jungen Leute und militärische Ausrichtung in der Kriegsvorbereitung. Die Kinder der Familie Scholl in Ulm versuchten, unter dem Schild der Hitlerjugend ihre bündischen Fahrten und Gewohnheiten weiter zu führen, was Hans Scholl schon 1937 ein Strafverfahren wegen bündischer Betätigung eingebracht hatte, das aber gerne verschwiegen wird, weil es mit einer Anzeige wegen §175 verbunden war, beides wurde eingestellt, wohl von einem ehemaligen Wandervogel als Richter.

(ausführlicher bei ...)
Das damalige Ende des Wandervogel
Peter-Weiss-Roebert-JungkRobert Jungk wurde 1913 in Berlin als Robert Baum geboren, die Eltern waren Schauspieler, die ihn auf ein Leben zwischen den Sicherheiten vorbereiteten, ein Freund des Vaters war der schon damals legendäre „rasende Reporter“ Egon Erwin Kisch, der ihm zum jugendlichen Vorbild wird.

Mit 9 Jahren stößt er schon auf die jüdisch-demokratische Wandervogel-Gruppe, die mit Heimabenden, und jeden Sonntag mit einem Ausflug „ins Grüne“, ihre Liebe zur Natur pflegen, was auch heißt, trampen nach Gelegenheiten, die eigene Identität zwischen Anpassung und Aufbruch diskutieren.

Die vielfältigen Gruppen und Strömungen im Wandervogel beschreibt auch Robert Jungk:

Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstandenen die ersten jüdischen Jugendbünde, die die Lebensform des Wandervogels übernommen haben und in ihrem Denkmuster und agieren ebenso deutsch waren.

Die einzelnen Gruppen gingen mit ihren jugendlichen Führern „Auf Fahrt“, trafen sich zu Heimabenden, getragen von der Hoffnung auf ein „neues Leben“ und eine „neue Gesellschaft“ frei von Doppelmoral.

Suchten christlich-konfessionelle Jugendbünde als Reaktion auf die entleerten kirchlichen Rituale nach einer eigenen Spiritualität, so sehnten sich jüdische Jugendliche wie Robert Jungk als Reaktion auf ihr assimiliert-bürgerliches Elternhaus nach einer neuen jüdischen Identität, die das Deutschsein nicht ausschließen sollte.

Die Umgebung stellte allerdings ihr deutsch-jüdisches Selbstverständnis zunehmend in Frage. Bereits 1913 löste der „Zittauer Fall“ – einem jüdischen Mädchen wurde die Aufnahme in eine Wandervogelgruppe verwehrt – eine Debatte über Antisemitismus aus. Einzelne Gruppen distanzierten sich allerdings vom Antisemitismus und deutsche Juden und Jüdinnen gehörten weiterhin jüdischen als auch nicht-jüdischen Jugendbünden an. (S. 6 Helga Embacher zu Robert Jungks Judentum)

Im Kameraden mehrten sich die Zweifel an der deutsch-jüdischen Symbiose, dem bisherigen Kernelement des Bundes.Bereits 1927 war es mit dem Ausschluss des „Schwarzen Haufens“, der anarchistisch-sozialistische Positionen vertrat, zu einer ersten Abspaltung gekommen. 1932 brachen die Kameraden endgültig auseinander:

Der sozialistische Flügel bildete mit 100 bis 200 Mitgliedern die Freie Deutsch-Jüdische Jugend, die etwa 400 Mitglieder des patriotisch-deutschen Flügels schlossen sich im männer-bündischen Schwarzen Fähnlein zusammen und der Rest, rund 1.000 Mitglieder, bildete unter Menachem (Hermann) Gerson, einem Schüler von Martin Buber, die Werkleute und bereitete sich auf die Gründung eines eigenen Kibbuz in Palästina vor. (S. 12 Helga Embacher zu Robert Jungks Judentum)
Die Nachwirkungen des Wandervogel
Robert Jungk in der Humboldt-Uniregierungsumbau
Am Tag nach dem Reichstagsbrand 28. Februar 1933 hatten die Nazis schon Plakate in der Humboldt-Uni aufgehängt, und Robert Jungk wurde erwischt, als er eines abriss und einsteckte. Festgenommen und zum Abtransport festgehalten, gelang es ihm, als einen Anwalt einen Freund anzurufen, der in SA- Uniform ankam und verkündete: "Um den werden WIR uns Kümmern" und ihm damit zur Flucht verhalf.
Flucht in die Schweiz
Als Ski-Urlauber fiel er im Zug nach Österreich nicht so sehr auf, der Aufenthalt in der Schweiz wurde dann aber schwierig, weil ihm die Ausländerbehörde keine Arbeitserlaubnis als Journalist gab. Über eine Agentur in Paris, wo hin er seine Mutter gelotst hatte, versuchte er Nachrichten aus dem deutschen Untergrund in die internationale Presse zu bringen, aber vor allem zu den Themen der Konzentrationslager gelang das kaum, es wurde als Propaganda abgetan. Später hatte er ein ähnliches Problem in den Agenturen mit Nachrichten aus Hiroshima ...
internationale Bezüge
Ret Marut / B. Traven WikimediaPolitische und sozialistische Gruppen hatten sich schon zum spanischen Bürgerkrieg positioniert, eine anarchistische und gewerkschaftliche Linie gab es seit der Niederschlagung der Räterepublik nach Südamerika, wo viele wie Red Marut / B.Traven und Augustin Souchy international publizierten.
Umerziehung als US-Programm
Als ein Mittel der Umerziehung war die Jugendarbeit im alten Stil der Wandervogel-Bewegung, nun allerdings in Verbänden wie Pfadfinder, Froh- und Jungschar der Kirchenjugend, als Programm vorgesehen. Die Jugendringe auf allen Ebenen, vom Kreis über den Bezirk zur Landes- und Bundes-Ebene sind in Strukturen der Selbstorganisation aus allen Jugend-Gruppierungen und -Organisationen aufgebaut und stehen gegenüber den Verwaltungen der Kreise und Bezirke etc.
Häuser & Vermögen
die die Nazis sich unter den Nagel gerissen hatten, wurden an Verbände und Jugendringe, Jung- und Frohschar, DGB, Kirchen zurückgegeben. Sie konnten ihre Arbeit wieder aufnehmen, mit schnell gereinigten Liederbüchern und "Flamme empor" ging es in den geordneten Gruppenstunden weiter, aber gesitteter als vor dem "3. Reich".
Die Kämpfe um Bürgerrechte und gegen die Sklaverei
erschien viele Jahre nach Abschaffung der Leibeigenschaft, nach allmählicher Freiheit und Wahlrecht der Knechte und Mägde noch etwas befremdlich, der Kampf gegen den Vietnam-Krieg brachte neue Methoden des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes SDS, auch für den Kampf gegen die wiedergekehrten Nazi-Professoren in den Hochschulen und im bayrischen Kultusministerium. Rudi Dutschke und die Kommune-Bewegungen sahen sich nicht nur in Fortsetzung des

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